IBM: Berater haben Oberwasser

01.08.2005
Big Blues Dienstleistungssparte will mit Branchenlösungen wachsen. Daher ist künftig IT-Consulting Trumpf.
53 Prozent des gesamten IBM-Umsatzes entfielen zuletzt auf den Servicebereich. Er ist damit kaum noch lenkbar und wird künftig in die drei Sparten Consulting, Outsourcing und Supply Chain getrennt.
53 Prozent des gesamten IBM-Umsatzes entfielen zuletzt auf den Servicebereich. Er ist damit kaum noch lenkbar und wird künftig in die drei Sparten Consulting, Outsourcing und Supply Chain getrennt.

Das Outsourcing-Geschäft verliert innerhalb der IBM-Organisation künftig an Bedeutung, weil das Unternehmen seine auf vertikale Märkte ausgerichteten Aktivitäten verstärkt. Diese Strategie wird vornehmlich von den IT-Beratern in der Unternehmensgruppe Business Consulting Services (BCS) getragen, die wiederum erheblich von den Mitarbeitern der übernommenen Pricewaterhouse Coopers Consulting geprägt wird. "Es sieht so aus, als ob der BCS-Bereich seinen Einfluss innerhalb der gesamten IBM-Organisation geltend macht", umschreibt die Ovum-Analystin Katharina Grimme, Analystin bei Ovum, die Veränderungen bei Global Services.

Hier lesen Sie …

• wie sich IBMs Servicestrategie verschiebt;

• warum die Servicesparte sich auf Branchenlösungen konzentriert;

• welche Rolle der Outsourcing-Bereich künftig spielen wird.

Serviceumsatz steigt

Die Dienstleistungssparte IBM Global Services ist im zweiten Quartal 2005 gegenüber Vorjahr um sechs Prozent gewachsen. Der Bereich gliedert sich folgendermaßen:

• Strategic Outsourcing umfasst alle IT-Betriebsdienstleistungen wie Hosting, Application-Management und Netzdienste. Die Einnahmen aus derartigen Angeboten legten im zweiten Quartal 2005 gegenüber Vorjahr um fünf Prozent zu. Nach einem schwachen ersten Quartal konnte der Bereich 80 Prozent mehr langfristige Verträge als imVergleichszeitraum des Vorjahres abschließen.

• Business Consulting Services steigerte seine Einnahmen zuletzt um neun Prozent. In diesem Segment führt IBM sowohl die Aktivitäten der Berater (Consulting and Systems Integration = C&SI) als auch Services für das Business Transformation Outsourcing (BTO). Die BTO-Einnahmen wuchsen um 25 Prozent, der Auftragseingang sogar um 192 Prozent. Die Auslastung der Berater erreichte Höchstwerte, und die Preise haben sich laut IBM stabilisiert. In Europa verzeichnete BCS zweistelliges Wachstum.

• Der Umsatz mit Integrated Technology Services wie hardwarenahen Reparaturdiensten und Wartungsaufträgen nahm um fünf Prozent gegenüber Vorjahr zu.

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www.computerwoche.de/go/

*78880: Entlassungen bei IBM;

*78513: Service-Chef Joyce verlässt IBM;

*74002: Berater gehören nicht in den Betrieb.

Spätestens seit der Demission des IBM-Global-Services-Chefs John Joyce Mitte Juli hat sich gezeigt, dass der Konzern vor dem andauernden Kleinkrieg zwischen Consultants und Outsourcing-Mitarbeitern kapituliert und die Integrationspläne von Beratung und Betrieb zumindest auf organisatorischer Ebene ad acta gelegt hat. "Dem integrativen Ansatz ist auf jeden Fall die Dynamik genommen", orakelt Andreas Burau, Research Analyst bei der Meton Group, über die Personalentscheidungen bei IBM. "Man positioniert beide Bereiche künftig bewusst sehr unterschiedlich." In einer Pressemitteilung hatte IBM kürzlich angekündigt, Global-Services-Chef Joyce durch drei Verantwortliche zu ersetzten. Mike Daniels leitet ab sofort den Bereich Strategic Outsourcing. Ginni Rometty übernimmt die Consulting- und Business-Performance-Sparte, und Robert Moffat kümmert sich federführend um alle Services, die den Themenkomplex Supply Chain berühren. Alle drei Manager berichten direkt an Konzernchef Samuel Palmisano.

"In kleinen Firmen mag die Integration funktionieren, bei großen Häusern ist der Abstimmungsaufwand aber in aller Regel sehr hoch. Letztlich muss konstatiert werden, dass IBM seine Struktur konsequenterweise an den eigenen Entwicklungspfad und veränderte Marktanforderungen, wie etwa die Notwendigkeit kürzerer Entscheidungswege, anpasst", erläutert Peter Kreutter vom Institute for Industrial Organization der Wissenschaftlichen Hochschule für Unternehmensführung in Vallendar.

Berater haben die Kontakte

In der Komplexität einer Matrixorganisation, die sich aus lösungsorientierten Business-Lines und branchenorientierten Sector-Lines zusammensetzt, spiegele sich die Marktmacht von IBMs Dienstleistungssparte wider: "Aufgrund der vorhandenen kritischen Masse sowohl hinsichtlich des Know-hows als auch bei Kostenstrukturen kann IBM Global Services in allen wichtigen Kernbereichen sehr wettbewerbsfähig agieren." Bleibt allein die Gretchenfrage: Wem obliegt künftig die Entscheidungskompetenz: den Technikern aus den Business-Lines oder den Beratern aus den Sector-Lines?

IT-Betrieb nicht mehr wichtig

Die Entscheidung ist vermutlich schon gefallen, denn als Wachstumslokomotive der Zukunft ist längst das Geschäft mit Business Transformation Services ausgemacht. Dabei geht es darum, die Prozesse der Kunden zu analysieren, zu überarbeiten und bei Bedarf auch zu betreiben. Hier lassen sich umfangreiche Beratungs-, Integrations- und Betriebsaufgaben verkaufen. Die dafür erforderlichen Kontakte in die oberen Chefetagen der Anwenderunternehmen und das erforderliche Prozesswissen bringen die Berater mit. "Wenn man einmal in dem Unternehmen ist und mit dem CIO oder den Fachabteilungen über Verbesserungspotenzial in den Prozessen diskutiert, dann lassen sich danach auch weiterführende Services etwa im Outsourcing-Bereich verkaufen", schildert Burau die Mechanismen.

IBM folgt mit dem deutlichen Schwenk zur Vertikalisierung den veränderten Anforderungen in den Unternehmen, wo der reine IT-Betrieb aufgrund fortschreitender Standardisierung und Automatisierung kaum noch strategische Bedeutung hat. Diese Entwicklung hat IBM selbst mit seiner On-Demand-Strategie gefördert. IT-Services aus der Steckdose haben für das Kerngeschäft der Anwenderunternehmen einen ähnlichen Stellenwert wie der Strom aus der Steckdose: Die Verfügbarkeit ist selbstverständlich, und der Provider wird vornehmlich unter Kostenaspekten gewählt. "Die On-Demand-Idee und das entsprechende Konzept von IBM bleiben bestehen, werden aber wohl langfristig nicht mehr vorherrschende Wachstumstreiber sein", prognostiziert Grimme.

Betriebsdienste für den Profit

Das heißt allerdings nicht, dass das Outsourcing- und IT-Servicegeschäft unwichtig geworden wäre. Nach wie vor steuert es 40 Prozent zum Gesamtumsatz von IBM Global Services bei und ist damit die größte Einnahmequelle neben BCS und den Bereichen Integrated Technology Services und Maintenance. "Betriebsdienste wie Hosting und Outsourcing dienen IBM dazu, die Profitabilität und Rentabilität des Konzerns zu verbessern", ergänzt Burau. "Dazu muss IBM die Ressourcen dort einkaufen, wo sie am günstigsten sind." IBM wird das globale Sourcing, also die Verlagerung von Aufgaben in Ländern mit günstigen Lohnkosten, demnach fortsetzen. Standortschließungen ähnlich der Maßnahmen in Schweinfurt und Hannover wird es bei IBM weiterhin geben - die Delivery-Kompetenz verlagert sich nach Ost und Fernost.

Dem Geschäft schadet das nicht, der Bereich Strategic Outsourcing legte nach einer Flaute im ersten Quartal 2005 im zweiten Quartal wieder um fünf Prozent zu, und auch mit dem Auftragseingang zeigte sich Chief Financial Officer (CFO) Mark Loughridge sehr zufrieden: "Die abgeschlossenen Verträge erzeugen keinen unmittelbaren Umsatz, bieten uns aber einen erheblichen Vorteil über einen langen Zeitraum."

Vertikalisierung ist nichts Neues

Doch die Berater waren besser: Sie konnten weltweit mit neun prozentigem, in der Region Emea (Europa, Mittlerer Osten und Afrika) sogar mit zweistelligem Umsatzwachstum aufwarten. Innerhalb der Beraterorganisation BCS legte das Geschäft mit dem Business Transformation Outsourcing (BTO) um 192 Prozent zu. Und auch in Loughridges Präsentation der Quartalszahlen schlug sich die Vorliebe IBMs für Transformationsleistungen durch: Insgesamt 18 Deals mit einem Wert von mehr als 100 Millionen Dollar schloss IBM im abgelaufenen Quartal ab, besondere Erwähnung fanden nur die drei BTO-Abkommen.

Mit der Vertikalisierung des Servicegeschäfts schlägt IBM in der Branche kein neues Kapitel auf, sondern beschreitet lediglich einen Weg, den die IT-Beratungshäuser schon seit langem gewählt haben. IT-Consulting-Dienstleister wie Accenture, Bearingpoint und Capgemini arbeiten bereits in branchenorienierten Teams. Sie werden von den Kunden vor allem aufgrund der Synthese von Prozess-, Industrie- und IT-Know-how verpflichtet. Für reine Outsourcing-Dienstleister ist die Branchenorientierung weniger wichtig, denn der RZ-Betrieb für eine Bank unterscheidet sich nur marginal von dem eines Energieversorgers. Für Anbieter wie CSC, EDS und Hewlett-Packard geht es vornehmlich darum, die IT-Servicelieferung effizient zu gestalten. "IBM will in einigen Bereichen dorthin, wo Accenture bereits ist: innovative, geschäftsprozessorientierte Konzepte entwickeln, die durch entsprechende IT-Anwendungen umgesetzt und von IT-Dienstleistern betrieben werden", fasst Ovum-Analystin Grimme zusammen. Wie bei allen anderen IT-Service-Providern klaffen aber Anspruch und Wirklichkeit noch auseinander: "Heute sind angebotene Lösungen oft noch generische IT-Dienste, aber Projekte wie die Entwicklung eines Straßenmautsystem für die Stadt Kopenhagen oder die Management-Beratung für Norwich Union illustrieren, wohin sich IBM entwickeln will."