US-Flugchaos

Hunderttausende Gestrandete nach 5G-Start befürchtet

18.01.2022
Von 
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 
Flugverspätungen und Streichungen – in den USA könnte es zu chaotischen Verhältnissen kommen, wenn AT&T und Verizon wie geplant ihre 5G-Netze in Betrieb nehmen. Diese können die Instrumente im Flieger stören.
In den USA droht möglicherweise ein Chaos im Luftverkehr, wenn AT&T und Verizon ihre 5G-Netze in Betrieb nehmen, da diese Fluginstrumente stören können.
In den USA droht möglicherweise ein Chaos im Luftverkehr, wenn AT&T und Verizon ihre 5G-Netze in Betrieb nehmen, da diese Fluginstrumente stören können.
Foto: Santiparp Wattanaporn - shutterstock.com

In den USA spitzt sich die Lage um den landesweit geplanten Start der 5G-Mobilfunknetze von AT&T und Verizon zu. In einem Brandbrief warnen US-Fluglinien vor "katastrophalen Störungen im Flugverkehr", falls AT&T und Verizon ihre 5G-Netze wie geplant in Betrieb nehmen. In dem Brief warnen nach einem Bericht von Reuters unter anderem die Chefs von American Airlines, Delta, United Airlines, Southwest Airlines und anderen Fluggesellschaften vor über Tausenden von Flugstreichen, Umleitungen und Verspätungen mit Hunderttausenden an gestrandeten Passagieren, falls die Mobilfunknetze an den Start gehen.

5G stört Fluginstrumente in den USA

Stein des Anstoßes sind dabei nicht die Smartphones der Passagiere, sondern die Funkmasten der Mobilfunkbetreiber am Boden. Wie jedes Mobilfunknetz nutzt auch 5G unterschiedliche Frequenzbänder, darunter auch das sogenannte C-Band mit Frequenzen zwischen 3,3 Ghz und 5 Ghz. Gerade in diesem C-Band haben Verizon und AT&T im Zuge der US-Frequenzvergabe für 5G zahlreiche Frequenzpakete erworben. Damit wollen sie ihren Kunden nicht nur eine bessere Netzabdeckung offerieren, sondern auch eine höhere Download-Geschwindigkeit bieten. So konnten laut US-Berichten in 5G-Tests im C-Band von Verizon Transferraten von bis zu 1,4 Gbit/s gemessen werden, während bei T-Mobile USA - der Carrier verwendet Frequenzen im Bereich von 2,5 Ghz - nur Geschwindigkeiten von bis zu 400 Mbit/s gemessen wurden.

Streit um 5G zwischen FCC und FAA

Durch 5G-Interferenzen drohen Störungen der funkgestützten Höhenmesser.
Durch 5G-Interferenzen drohen Störungen der funkgestützten Höhenmesser.
Foto: Oliver Tindall - shutterstock.com

Der Haken an der Nutzung der US-amerikanischen C-Band-Frequenzen ist wohl, dass diese die Höhenmesser und andere empfindliche Fluginstrumente stören können, die im Spektrum von 4,2 bis 4,4 Ghz arbeiten. Darüber, inwieweit das wirklich der Fall ist, ist in den USA zwischen der Federal Communications Commission (FCC) und der Bundesluftfahrtbehörde Federal Aviation Administration (FAA) ein offener Streit entbrannt. Aufgrund von Eingaben der FAA mussten Verizon und AT&T bereits zweimal den Start ihrer C-Band-Funkstationen verschieben. Jetzt soll es am 19. Januar losgehen, was die Airlines zu oben erwähntem Brandbrief veranlasste.

Keine Landung bei schlechter Sicht

Wie schwer die befürchteten Schwierigkeiten sind, zeigen die jüngsten Anweisungen der FAA. Erst am 14. Januar wies die Behörde Betreiber der Boeing 787 im Rahmen einer Lufttüchtigkeitsmitteilung (Airworthiness Noftfication) an, zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, wenn auf nassen oder verschneiten Start- und Landebahnen an Flughäfen gelandet werde, auf denen der 5G-C-Band-Dienst eingeführt wird. 5G-Interferenzen mit dem Funkhöhenmesser des Flugzeugs könnten den Übergang der Triebwerks- und Bremssysteme in den Landemodus verhindern, wodurch ein Flugzeug nicht auf der Landebahn zum Stehen kommen könnte. Hiervon seien in den USA 137 Flugzeuge und weltweit 1.010 Exemplare betroffen. Da die Boeing 787 vor allem als Langstreckenflugzeug verwendet wird, dürfte dies besonders Interkontinentalflüge betreffen.

In Europa sieht die Situation in Sachen 5G anders aus, weil unter anderem die Pufferzonen größer sind und die Antennen anders und mit weiniger Sendeleistung strahlen.
In Europa sieht die Situation in Sachen 5G anders aus, weil unter anderem die Pufferzonen größer sind und die Antennen anders und mit weiniger Sendeleistung strahlen.
Foto: FAA

Am 16. Januar gab die FAA bekannt, dass rund 55 Prozent der US-Verkehrsflieger an Flughäfen, an denen das 5G-C-Band am 19. Januar eingeführt wird, nicht mehr für Landungen bei schlechter Sicht zugelassen sind. Lediglich zwei Funkhöhenmessermodelle, die in einer Vielzahl von Boeing- und Airbus-Flugzeugen eingebaut sind, genehmigte die FAA. Diese Kombination aus Flugzeug- und Höhenmesser-Zulassung ermöglicht die Freigabe von Start- und Landebahnen an 48 der 88 Flughäfen, die am unmittelbarsten von 5G-C-Band-Interferenzen betroffen sind. Ansonsten wäre keiner der 88 Flughäfen mehr für Landungen bei schlechten Sichtverhältnissen verfügbar gewesen.

Nur einige Flieger bei 5G erlaubt

Zu den zugelassenen Flugzeugmodellen gehören einige Boeing 737, 747, 757, 767, MD-10/-11 sowie die Airbus-Modelle A310, A319, A320, A321, A330 und A350. Auch hier ist auffallend, dass Langstreckenmodelle wie die Boeing 777, 787 oder der Airbus 340, 380 nicht dazu gehören. Darüber hinaus empfiehlt die FAA Passagieren, sich bei ihrer Airline zu erkundigen, ob an einem Zielort, an dem 5G-Störungen möglich sind, Wetterbedingungen vorhergesagt sind, die eine Landung unter schlechten Sichtverhältnissen womöglich erfordern.

Wie es in dem Streit zwischen Mobilfunkindustrie und Luftfahrt in den USA weitergeht, ist noch offen. Einerseits will die FAA in den nächsten Tagen nach weiteren Überprüfungen eventuell weitere Zulassungen zu Landungen auf Flughäfen mit 5G-C-Band erteilen. Auf der anderen Seite zeichnet sich möglicherweise ein Kompromiss ab. Dieser sähe vor, dass die Mobilfunker vorerst darauf verzichten Mobilfunkmasten in einem Abstand von etwa zwei Meilen zu Start- und Landebahnen in Betrieb zu nehmen (sogenannte Pfufferzonen).

Europa gibt Entwarnung

In Europa sieht die Situation glücklicherweise anders aus. Zwar sah sich auch die European Union Aviation Safety Agency (EASA) im Dezember genötigt, ein Safety Information Bulletin zu veröffentlichen, indem sie vor möglichen 5G-Interferenzen im Flugbetrieb in den USA warnte. Für Europa gibt die EASA Entwarnung, denn hier bestehe ein größerer Abstand zwischen den genutzten 5G-Frequenzen und den von den Flugzeuginstrumenten verwendeten Frequenzen. Zudem seien hier die Pufferzonen größer und die verwendeten Sendeleistungen geringer.