Hultzschvoll

20.07.1984

Es gehört zur journalistischen Hygiene, Fakten von Meinungen zu trennen, als Fakten und Meinungen kenntlich zu machen. Was CW-Redakteurin Claudia Marwede-Dengg und CW-Redakteur Wolfgang Merkert über die Intentionen der Benutzerorganisation Share European Association (SEAS) im Hinblick auf das EG-Kartellverfahren gegen die IBM in Erfahrung brachten, ergab den Aufmacher der letzten Ausgabe (CW Nr. 29 vom 13. Juli 1984, Seite 1: "SEAS: EG-Votum gegen IBM schadet Anwendern"). Ein Tatsachenbericht, der keine Wertung enthielt.

Bereitwillig legte SEAS-Präsident Hagen Hultzsch die Papiere auf den Tisch. Darin heißt es unter anderem: "Wir betrachten IBMs derzeitige Geschäftspraktiken nicht als unnormal und unakzeptabel in einem wettbewerbsintensiven Markt". Das nennt man vorbildliche User-Disziplin. Mit einem Wort: Hul(d)tzschvoll.

Daß eine mächtige Kunden-Lobby, die sich als Vereinigung von Großsystem-Anwendern versteht, so eindeutig Position für ihren Lieferanten bezieht, wirft neue Fragen auf. Nicht daß wir die Argumente der SEAS nicht verstehen könnten. Es wäre in der Tat unangenehm für viele Großanwender, wenn der Marktführer auf ein negatives Votum der EG-Kommission mit einer Informationssperre gegenüber seinen Kunden reagieren würde.

Nur: Die von der SEAS vermutete Konfliktsituation zwischen Big Blue und Brüssel (IBM: "Haust Du mich, dann hau ich meine Kunden") besteht in Wirklichkeit nicht. Der Rechnerriese wird eine negative Entscheidung der EG-Kommission wohl oder übel akzeptieren müssen. Was bleibt ihm denn anderes übrig? Der europäische Markt ist für die IBM zu wichtig, als daß sie sich mit Sanktionen Feinde im Lager ihrer Großkunden machen könnte. Nein, die Vorstellung, der Marktführer würde sich rächen, wirkt doch zu weit hergeholt. Wichtig jedoch in diesem Zusammenhang: Die EG-Behörde ist nicht erpreßbar.

Aber bestätigt nicht Hultzschs Umgang mit der Presse (die Initiative zur Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen der SEAS und den Brüsseler Kartellhütern ging von ihm aus) vielmehr die uralte These, daß es sich bei dem Verhältnis der IBM zu ihren Kunden um einen Fall von Abhängigkeit handelt? Muß man nicht der EG-Kommission emotionell recht geben - auch wenn der IBM im Einzelfall, siehe die Klage von Amdahl und Memorex, wohl eine Verletzung der Wettbewerbsvorschriften nicht nachgewiesen werden kann?

Man sollte nicht einen Augenblick vergessen, daß es für die DV-Anwender letztlich unerläßlich ist, über Alternativen im Großrechnermarkt verfügen zu können. Wenn versucht wird, die Bedeutung der IBM in diesem Geschäft (Tendenz gegen 100 Prozent Marktanteil) herunterzuspielen, entsteht Schaden für die Volkswirtschaft. Es ist ja nicht so, daß die IBM-Konkurrenten im Großrechnergeschäft - etwa Siemens, Burroughs, Control Data, Honeywell Bull, NCR oder Sperry - marode Maschinen hätten. Ihre "Armut" kommt nicht von der Powertè, sondern resultiert aus der Tatsache, daß Big Blue mit sogenannten "De-facto-Standards" (3270, SNA, MVS/XA etc.) die Kunden gängeln kann.

Um es klar zu sagen: Wir brauchen keine EG-Kartellrichter, um den Wettbewerb im Computermarkt zu erhalten. Wir brauchen eine ganz nüchterne, an den Anwenderinteressen orientierte Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Dann wird sich das Problem "IBM-Monokultur" von selbst erledigen.