Neue Browser-Software kommt Mitte des Jahres

HTML 4.0 vereinheitlicht dynamische Web-Seiten

30.01.1998

Rund zwölf Monate nach der Vorstellung von HTML 3.2 präsentierte das World Wide Web Consortium (W3C) die vierte Version der Web-Sprache. Unternehmen wie Adobe, Hewlett-Packard, IBM, Netscape, Microsoft, Sun sowie Hotwired arbeiteten in der "HTML Working Group" gemeinsam an dieser Spezifikation.

HTML 4.0 trägt damit den Bedürfnissen von Anwenderunternehmen Rechnung, die Applikationen ins Web bringen und dazu Programmcode, Grafiken und Audiodaten integrieren wollen. Mit der neuen Auszeichnungssprache lassen sich nun beliebige Binärcodes über allgemeingültige Tags (Markierungen) in Webpages integrieren. Die HTML-Seite fungiert so als ein Container für Objekte aller Art. Mit dem "Object Element" ersann das W3C ein standardisiertes Verfahren, um Binärdaten mit HTML-Seiten zu verknüpfen. So kann ein Web-Entwickler beispielsweise Plug-ins, Applets, Bilder, Audiodateien, Active X Controls, Zahlenwerte sowie sich zur Laufzeit ändernde Daten in eine Page einfügen. Dadurch fällt etwa das "Applet-Element" älterer HTML-Versionen weg, mit dem Programmierer bisher nur Java-Code mit den Web-Seiten verknüpfen konnten, nicht aber Microsofts plattformabhängige Active X Controls. Dies heißt allerdings nicht, daß unter Net- scapes Communicator nun auch automatisch die Software der Redmonder läuft. Hierzu müßte erst die entsprechende Ablaufumgebung implementiert werden. Dazu hat die Internet-Company aber noch keine Bereitschaft signalisiert. Drittanbieter entwickelten jedoch Plug-ins, die dem Browser der Barksdale-Firma diese Gabe verleihen.

Auch in Sachen Skripting ändert sich etwas. Zwar bringen Web-Developer auch weiterhin wahlweise mit "Javascript" oder "Visual Basic Script" Dynamik in ihre Web-Seiten. Neu ist allerdings die Einigung der Mitglieder des W3C auf ein Event-Modell zur Verarbeitung von Benutzerinteraktionen wie beispielsweise Bewegungen mit der Maus. Hier floß ein Teil von Netscapes "Javascript 1.2" ein.

Da immer mehr Sites außerhalb des englischsprachigen Raums entstehen, trägt der neue HTML-Standard auch der Internationalisierung von Web-Seiten Rechnung.

Eigentlich umfaßt HTML 4.0 alle Funktionen, die Softwarehersteller bisher über untereinander inkompatible Eigenentwicklungen abdeckten. Bedeutet die W3C-Empfehlung nun die erhoffte Einigkeit zwischen den Browsern? Zunächst ist HTML 4.0 lediglich ein Vorschlag (Recommendation), über den alle Mitglieder der Organisation abgestimmt haben. Ein Hersteller kann also nicht dazu gezwungen werden, alle Funktionen zu implementieren. Außerdem bleibt es dem Anbieter vorbehalten, über die Spezifikation hinaus seine Produkte mit Zusätzen auszustatten. Nach den Worten von Arnaud Le Hors, einem der Autoren der neuen Auszeichnungssprache, entscheiden letztlich die Kunden, ob sie Produkte möchten, die genau dem W3C-Vorschlag folgen, oder ob sie lieber Software mit proprietären Erweiterungen wünschen.

Ein erster Schritt zu einer Vereinheitlichung wurde bereits vollzogen, als noch HTML 3.2 der Internet-Standard war. Nachdem das W3C Netscapes Layer-Tags als Standardisierungsvorschlag zur Manipulation von Web-Seiten ablehnte, schwenkte die Barksdale-Company auf Cascading Style Sheets (CSS) um, die ebenfalls als W3C-Vorschlag vorliegen. Zwar werden nach den Worten von Oliver Hoeveler, Product Marketing Manager bei Netscape Deutschland, auch in Zukunft die Browser des Unternehmens aus Gründen des Investitionsschutzes Layer unterstützen. Doch empfehlen die Softwerker den Web-Designern nun, Seiten mit CSS zu erstellen. Auch die Konkurrenz aus Redmond versah ihren "Internet Explorer 4.0" mit dieser Funktion.

Style Sheets enthalten Kontrollinformationen, die das Aussehen von HTML-Seiten beeinflussen. Statt Web-Seiten mit Textattributen, wie Fontgröße, Rahmen oder Farbe zu überfrachten, erlaubt CSS dem Internet-Publizierer eine Trennung von Inhalt und Layout. Auf diese Weise zeigen verschiedene Browser Web-Inhalte gleich an. Außerdem beschleunigt diese Kombination den Download von Web-Pages, da die Layout-Informationen häufig schon lokal vorliegen und nur noch Content geladen werden muß. Das Konsortium empfiehlt, Style Sheets mit HTML 4.0 zu kombinieren. Denn durch die absolute Positionierung lassen sich auch sehr aufwendige Tabellen elegant darstellen.

Obwohl Microsoft und Netscape HTML-4.0-konforme Browser anbieten wollen, werden viele Surfer nicht gleich auf die neue Version umsteigen, sondern ihre alte Software nutzen. Dieser Umstand bewog das W3C, HTML 4.0 in drei "Geschmacksrichtungen" zu spezifizieren. "HTML 4.0 Strict" steht für rein in der neuen Auszeichnungssprache erstellte Seiten. Alle Layout-Informationen befinden sich in Cascading Style Sheets. Daher sind diese Inhalte nur solchen Browsern zugänglich, die sowohl HTML 4.0 als auch CSS unterstützen. Damit aber auch ältere Web-Clients in den Genuß der neuen Features kommen, definierten die Hüter des Web-Standards "HTML 4.0 Transitional", womit Funktionen der alten und der neuen Sprache vereint und keine CSS vorausgesetzt werden. Gleichzeitig will das W3C auf diese Weise Content-Provider in die Lage versetzen, ihre Web-Seiten von HTML 3.2 auf 4.0 umzustellen. Nach Ansicht des W3C-Autors Le Hors kann es jedoch noch Jahre dauern, bis alle Web-Seiten diesen Anforderungen genügen. Die dritte Varinante, "HTML 4.0 Frameset", definiert Frames, mit denen Web-Designer den Browser-Bildschirm in zwei oder mehr Rahmen teilen können.

Content-Provider wie zum Beispiel der Suchmaschinenanbieter Lycos versprechen sich einen großen Nutzen von der neuen Web-Sprache. Peter Klingenburg, Leiter Produkt-Management bei Lycos Europa in Gütersloh, erwartet, daß seine Mitarbeiter viele Funktionen, die sie heute mit Frames unter HTML 3.2 realisieren, in Zukunft mit Cascading Style Sheets eleganter implementieren können. Als Beispiel nennt Klingenburg die Navigationsleisten auf den Homepages des Unternehmens.

Einen weiteren Vorteil der Version 4.0 erhofft sich der Lycos-Mann bei der Auswertung von Pageviews. Wenn in Zukunft Surfer Inhalte einer HTML-4.0-Seite anschauen, dann läßt sich genauer feststellen, was sie im einzelnen interessiert hat, als es heute bei Web-Pages mit Frames der Fall ist.

Nach Einschätzung verschiedener Experten wird es lange dauern, bis die Millionen Anwender mit HTML-4.0-fähigen Web-Clients das WWW durchstöbern. Dagegen könnten Firmen die Desktops ihrer Intranet-Benutzer schnell dem neuen Standard anpassen.

Unternehmen, die Web-Software herstellen, warten so lange mit der Implementierung von HTML 4.0 in ihre Produkte, bis entsprechende Browser den neuen Internet-Dialekt verstehen. Zu ihnen gehört Hexmac in Leinfelden-Echterdingen. Die Firma entwickelt Publishing-Programme, Web-Datenbanksysteme und Font-Software für HTML-Browser. "Wir unterstützen in unseren Produkten HTML 4.0, sobald die Browser das können", sagt Mikko Linnamäki, Geschäftsführer der deutschen Niederlassung. Ferner erhofft sich der gebürtige Finne sehnlichst eine Vereinheitlichung im Browser-Markt, damit "irgendwann mal diese heimtückische Strickerei aufhört". Man habe mit den Cascading Style Sheets schon einiges in dieser Richtung erreicht, so Linnamäki weiter.

Da sich die Browser-Entwicklung verlangsamt hat, rechnet Mikko Linnamäki mit HTML-4.0-fähigen Browsern nicht vor Sommer dieses Jahres. Diese Ansicht deckt sich mit den Produktplanungen von Netscape und Microsoft. Die Barksdale-Company will noch im ersten Quartal 1998 eine erste Betaversion des "Communicator 5" vorstellen, der das vierte Release der Markup-Language versteht. Microsofts Internet Explorer enthält nach Herstellerangaben bereits den größten Teil der HTML-4.0- Spezifikation. Wann eine vollständig konforme Software auf den Markt kommt, ist allerdings noch offen.