Social Learning mit YouTube Tutorials

HR denkt in der Weiterbildung um

17.11.2017
Die Abteilung Human Resources gibt in Sachen Weiterbildung nicht mehr strikt den Weg vor. Stattdessen sind Mitarbeiter aufgefordert, mit Hilfe von Talent- Management-Software selbst Fortbildungsmaßnahmen zu initiieren. Die Vorteile dieses "Mitspracherechts" erklärt folgendes Interview.

Herr Boos, Sie sind in Ihrem Geschäftsfeld mit dem Bereich "Learning & Development" vertraut. Wie hat er sich in den letzten Jahren in Unternehmen verändert?

Marc Boos: Noch vor Kurzem wurde der in den Unternehmen verfolgte Learning-Ansatz in der Regel von der Abteilung Human Resources vorgegeben. Die Weiterbildung der Mitarbeiter war also HR-zentriert und von oben bestimmt. Dies hat sich deutlich geändert. Der Trend geht heute klar dahin, dass die Mitarbeiter immer größeren Einfluss auf ihre Entwicklung und die Maßnahmen erhalten, die in Sachen Weiterbildung und Karriereentwicklung eingeleitet werden.

Christian Grimm, Sales Director DACH Talent Management bei Lumesse.
Christian Grimm, Sales Director DACH Talent Management bei Lumesse.
Foto: Grimm - Lumesse

Gibt es neue Ansätze im Learning?

Christian Grimm: Neu ist auch das Konzept des Social Learning. Wir alle merken das, wenn wir YouTube öffnen. Hier werden uns unter anderem Zigtausende Tutorials zu allen möglichen Themen wie zum Beispiel Stricken, Reparaturen technischer Geräte, Kochen etc. angeboten. Der Ansatz, dass ein "Experte" ein kurzes Video von sich dreht, in dem er erklärt, wie etwas zu tun ist, lässt sich auch auf die Arbeitswelt übertragen. Das heißt, ein Mitarbeiter stellt sich als Spezialist zur Verfügung und gibt sein Wissen weiter, und alle, die möchten, profitieren davon.

Wie äußert es sich, dass Mitarbeiter mehr Kontrolle über ihre Laufbahnplanung und Weiterbildungsmaßnahmen haben?

Boos: Unternehmen verändern sich gerade dahingehend, dass sie ihren Mitarbeitern ein Stück weit die Zügel in die Hand geben. Mit der geeigneten Software für das Talent Management sind diese zum Beispiel in der Lage, ihr eigenes Profil einzusehen, mögliche Karrierepfade zu überblicken und Einsicht in Skills, die sie für eine angestrebte Position benötigen, zu nehmen und mit den eigenen Fähigkeiten zu vergleichen. Daraufhin können die Mitarbeiter - in Übereinstimmung mit ihren Vorgesetzten oder gemeinsam mit der Personalabteilung - Weiterbildungsmaßnahmen einleiten und Trainings absolvieren.

Marc Boos, Product Manager Learn bei Lumesse.
Marc Boos, Product Manager Learn bei Lumesse.
Foto: Boos - Lumesse

Grimm: Nicht selten ist es für die Verantwortlichen schwer ersichtlich, welche Skills benötigt werden. Mitarbeiter können dies oft besser einschätzen. Sie werden im Berufsalltag immer wieder mit wechselnden Herausforderungen konfrontiert, die sich kurzfristig wieder ändern können. Wenn Beschäftigte entsprechend proaktiv handeln und gezielt Trainingseinheiten auswählen sowie absolvieren, sind sie in der Lage, diese Herausforderungen anzugehen. Das ist sowohl für die Mitarbeitermotivation als auch für die Bindung an den Arbeitgeber gut. Für Unternehmen ist das besonders wichtig, da hochqualifizierte Mitarbeiter heutzutage schnell den Arbeitgeber wechseln können.

Wie sehen diese Trainingseinheiten aus?

Boos: Geht es um eine umfassende Fähigkeit, die es zu erlernen gilt, gibt es immer noch Präsenzveranstaltungen und Online-Kurse mit mehreren Einheiten. Soll bereits erlerntes Wissen aufgefrischt oder eine spezielle Tätigkeit erläutert werden, so können sich Mitarbeiter online Kurzvideos - wir nennen sie Learning Nuggets - ansehen.

Grimm: Innerhalb eines solchen Learning Nuggets werden Aufgaben beschrieben wie zum Beispiel: Wie öffne ich ein Ticket im Workflow- Tool" oder "Wie übertrage ich Zahlen von einem Excel Sheet in ein anderes, ohne sie kopieren zu müssen". Die Optionen sind hier vielfältig.

Wie groß ist der Bedarf am Markt für Learning-Lösungen?

Boos: Aus zahlreichen aktuellen Studien - wie zum Beispiel einer der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) - geht hervor, dass für Berufseinsteiger die Chance der Weiterbildung einer der wichtigsten Faktoren dafür ist, sich für ein Unternehmen zu entscheiden. Monetäre Vorteile allein reichen diesen Arbeitnehmern längst nicht mehr aus. Die Nachfrage an geeigneten Plattformen ist dementsprechend hoch.

Was müssen die Plattformen leisten?

Grimm: Hier ergibt sich allerdings eine Diskrepanz zwischen den Studienergebnissen und dem Status quo in den Unternehmen. Vielerorts herrschen unserer Erfahrung nach traditionelle Lernmodelle vor, und Trainingskataloge liegen oft auch heute noch in Papierform vor. Deswegen erwarten Firmen von den Learning-Software-Anbietern, dass die Produkte die standardisierten, traditionellen Prozesse weiterhin unterstützen, aber gleichzeitig die Möglichkeit bieten, die Mitarbeiter mehr einzubinden und zukünftig neue Technologien zu integrieren. Selbstverständlich müssen diese Lösungen auch die unternehmensweiten Compliance- und Sicherheitsschulungen im Zuge des Onboardings abdecken.