Anwenderbericht Universitäts-Kinderklinik Tübingen:

HP-Rechner überwacht herzkranke Säuglinge

07.04.1978

Die Abteilung für Pädiatrische Kardiologie der Universitäts-Kinderklinik Tübingen behandelt Kinder mit vorwiegend angeborenen Herzfehlern. Auf den Arzt strömt dabei eine Unzahl von Meßdaten ein, die erfaßt (registriert), ausgewertet und archiviert werden müssen. Sinnvoll kann dies nur mit Hilfe der EDV geschehen. Deshalb haben wir uns bereits vor Jahren um eine rechnergestützte Intensivübervachung und -behandlung bemüht. Im Frühjahr 1977 wurden schließlich zwei Computersysteme HP 21 MX von Hewlett-Packard in der Abteilung installiert. Eine Anlage dient der Intensivüberwachung, die andere der Programmentwicklung.

Wegen der hohen Letalität angeborener Herzfehler (durchschnittlich 70 Prozent im ersten Lebensjahr) kommt vor allem der Diagnostik und Therapie im Neugeborenen- und frühen Säuglingsalter besondere Bedeutung zu. Ohnehin ist die Säuglingssterblichkeit insgesamt in der Bundesrepublik wesentlich höher als in vergleichbaren Ländern. Einen nicht unerheblichen Anteil hieran haben die angeborenen Herzfehler. Daher muß es unser Bestreben sein, insbesondere die prä- und postoperative Behandlung zu optimieren. Die postoperative Intensivüberwachung und Intensivbehandlung ist heute ohne eine Vielzahl von Maschinen (Beatmungsgeräte) und Apparaten (Überwachungsgeräte) nicht mehr durchführbar und auch gar nicht mehr denkbar. Das bedeutet eine Technisierung der Medizin und eine psychische Alteration - zumindest für ältere Kinder. Einige für eine postoperative Intensivbehandlung unerläßliche Parameter können bisher nur durch "blutige Messung" erhalten werden - eine weitere Belastung für den Patienten.

Zur Entlastung der Kinder und zur Verbesserung der Behandlungsergebnisse verfolgten wir mit Hilfe der EDV von Anfang an drei Ziele:

þDie invasiven Messungen nach Möglichkeit durch nicht-invasive Methoden zu ersetzen,

þdie zu messenden Parameter miteinander zu koppeln, um zu erkennen, ob einige von ihnen irrelevant sind und daher auf sie künftig verzichtet werden kann,

þein Frühwarnsystem zu erhalten, das aufzeigt, wann sich eine Verschlechterung im Zustand des Patienten anbahnt, bevor diese klinisch erkennbar wird.

Zu den Aufgaben des HP-Computers gehören:

þDokumentation von Daten, die manuell über Tastaturen eingegeben werden (Beispiele: Nahrungsaufnahme, Stuhl und Urin, Medikamente, Beobachtungen zum Patientenzustand).

þAusgabe dieser Daten in Form von Berichten (Schichtbericht, Notizenbericht) über Druckern.

þFortlaufende Erfassung und Speicherung von Meßwerten: Herz- und Atemfrequenz, Temperatur, Sauerstoff-Partialdruck im Blut. Sauerstoffgehalt der eingeatmeten Luft, arterieller Blutdruck, zentralvenöser Druck.

Üblicherweise werden nicht alle dieser "Vitalparameter" vom System aufgenommen, sondern eine Auswahl, die sich nach dem Zustand des Patienten richtet. Wählbar ist die Häufigkeit, mit der Meßwerte vom System "gelesen" werden. In unserem Falle werden von jedem Vitalparameter zwei Werte pro Minute registriert und auf Magnetplatte gespeichert.

þAusgabe der fortlaufend erfaßten Meßwerte in graphischer Form auf Bildschirmen und als Papier-Kopie.

Veränderungen im Patientenzustand - insbesondere Gefahrensituationen - lassen sich mit Hilfe der fortlaufend registrierten und auf Bildschirmen dargestellten Meßwerte (Trendkurven) besser beobachten. Durch vergleichende Beobachtung der Trendkurven verschiedener Patienten mit gleichartigen Krankheitsbildern können bestimmte Verlaufe als "typisch" erkannt werden. Letztlich führt das zu Verbesserungen in der Pflege und Therapie.

*Prof. Dr. J. Apitz ist ärtzlicher Direktor der Abteilung für Pädiatrische Kardiologie der Universitäts-Kinderklinik Tübingen