HP laviert zwischen den Gegnern Microsoft und IBM Der Griff nach der Open-Systems-Krone

02.07.1993

Microsofts Gipfelsturm zwingt selbst den erfolgreichen Unix- Spezialisten Hewlett-Packard zum Umdenken. Als offen gelten dort neuerdings Systeme, wenn sie von HP stammen und mit moeglichst vielen Betriebssytemen - vor

allem auch mit Microsofts Windows NT - ausgestattet werden koennen. Diese Neudefinition nahm Lewis Platt, President und CEO des Unternehmens, im Gespraech mit CW-Redakteur Hermann Gfaller vor. Das Microsoft-Engagement hindert HP jedoch nicht daran, gemeinsam mit Big Blue die Fuehrerschaft im Bereich heterogener DV-Umgebungen zu beanspruchen.

CW: HP unterstuetzt die Peripherie-Architektur "Microsoft at Work", die Bill Gates kuerzlich vorgestellt hat. Versucht Microsoft, der Industrie nach Windows, ODBC und Mapi einen weiteren hauseigenen Standard aufzuzwingen und auf diese Weise den Markt zu kontrollieren?

Platt: Das entscheiden allein die Kunden. Es kommt darauf an, ob die Architektur funktioniert und ob die Kunden sie wollen. Ich glaube aber nicht, dass der neue Standard geschaffen wurde, um damit den Markt zu dominieren.

CW: HP ist als Open-Systems-Anbieter bekannt, nicht aber Microsoft...

Platt: So ist es!

CW: Nun hat Microsoft eine ganze Reihe offener Standards aufgegriffen, wie DCE und SQL, und davon eigene, herstellerspezifische Varianten erstellt. Heftet sich hier Microsoft nicht ein Open-Systems-Etikett an, das durch die proprietaere Art der Implementierung gar nicht gerechtfertigt ist?

Platt: Natuerlich ist das die Microsoft-Strategie. Aber solange das Unternehmen mit seinen Varianten von offenen Standards die Beduerfnisse der Benutzer trifft, kann ich daran nichts Verwerfliches sehen.

CW: Sie denken also, dass es gleichgueltig ist, ob Microsoft ein Monopolist ist oder nicht, solange die Anwender zufrieden sind?

Platt: Ja, genau.

CW: Aber die Anwender von proprietaeren Systemen muessen bei jedem Technologiewechsel mit riesigen Schwierigkeiten rechnen.

Platt: Richtig, sie werden beim Austausch ihrer Systeme Probleme haben. Mir waere es auch lieber, wenn Microsoft dem Open-Systems- Gedanken naeherstuende. Aber, wie gesagt, die Anwender entscheiden, wem sie ihr Geld geben wollen. Sie waren es, die Microsoft eine dominante Rolle im PC-Bereich verschafft haben. Nicht die Offenheit, sondern die Zufriedenheit war hier ausschlaggebend.

CW: Sie haben nicht nur einen Drucker fuer die Microsoft-at-Work- Architektur herausgebracht, sondern auch das Windows-Notebook "Omnibook". Gibt es bei HP weitere Festlegungen auf Microsoft- Techniken?

Platt: Es gibt keine neuen Entscheidungen. Bei PC- und Peripherieprodukten arbeiten wir aber schon laenger mit Microsoft zusammen. Wir werden auch in Zukunft alles unterstuetzen, was uns sinnvoll erscheint.

CW: Microsoft at Work zielt, wie auch andere Multimedia-Techniken, auf die Verschmelzung des DV-Marktes mit dem der Konsumelektronik. Wird HP diesen Weg auch gehen?

Platt: Das ist die Richtung, in die heute alle gehen. Wir haben gar keine andere Wahl, als diesen Weg ebenfalls einzuschlagen - mit Microsoft, solange das Unternehmen hier einen guten Job macht.

CW: Wie sehen Sie die Zukunft von Microsoft?

Platt: Darueber denken wir bei HP sehr ernsthaft nach, schliesslich betrifft das auch unsere Zukunft. Wir haben uns definitiv fuer offene Systeme entschieden. Nun entsprechen die Betriebssysteme von Microsoft nicht unbedingt dem Geist offener Systeme. Fuer uns heisst das, dass wir Offenheit auch so deuten

muessen, dass auf unseren Systemen moeglichst viele Betriebssysteme laufen koennen. Das heisst: Wir machen keine Religion aus unseren Produkten, wie das zum Beispiel die IBM mit OS/2 macht. Deshalb haben die Verantwortlichen dort grosse Probleme, Microsoft- Betriebssysteme zu unterstuetzen.

Aber: Wir gehoeren zu den Marktfuehrern im Unix-Markt und werden dieses Betriebssystem auch weiterhin unterstuetzen.

CW: Das gilt aber nicht - wie urspruenglich versprochen - fuer das OSF/1-Unix von der Open Software Foundation.

Platt: Das nicht, aber wir sind, wie gesagt, eine Unix-Company. Nur unterstuetzen wir auch Windows NT, auf Desktop-Ebene Windows und daneben auch Steven Jobs' Nextstep-Betriebssystem. Diese breite Streuung zeigt die Offenheit von HP fuer die Forderungen des Marktes.

CW: Viel enger als mit Microsoft kooperieren Sie derzeit mit der IBM. Erst kuerzlich haben Sie angekuendigt, ihre objektorientierte Domf-Technik mit dem als SOM bezeichneten System Object Model der IBM zu verschmelzen*. Es gibt auch Geruechte ueber ein HP- Engagement im Bereich Power-PC.

Platt: Unsere Domf-Technik laeuft auf der Power-Architektur, insofern gehoert diese Plattform in der Rahmen unserer Kooperationen mit der IBM. Speziell die Produkte, die aus der Verschmelzung von Domf und SOM entstehen, werden, denke ich, kuenftig auf der gesamten Palette der HP- und IBM-Systeme zu finden sein.

CW: Bedeutet diese Kooperation, dass IBM und HP mit einer identischen Objekttechnik auf den Markt gehen werden?

Platt: Ja, das ist das Ziel der Zusammenarbeit. Zur Zeit sind die Techniken lediglich aehnlich, aber nicht identisch.

CW: Domf ist in enger Kooperation mit Sun Microsystems entstanden. Ersetzt nun die IBM Sun als Partner?

Platt: Nein. Auch wenn Sun nicht formal an der Verschmelzung der beiden Techniken beteiligt ist, so doch dadurch, dass die Sun- Techniken in Domf eingeflossen sind. Es geht darum, eine moeglichst einheitliche Grundlage im objektorientierten Bereich zu schaffen. Das ist dieselbe Idee wie bei der COSE-Initiative**. Eine Zeitlang haben wir eng mit Sun zusammengearbeitet, momentan konzentrieren wir uns mehr auf die IBM. Das bedeutet aber nicht, dass wir unsere Verbindung mit Sun aufgeben.

CW: Derzeit haeufen sich die Meldungen ueber IBM-HP-Kooperationen. An Corba, SOM und COSE reihen sich die DCE-Projekte, objektorientierte Erweiterungen fuer DME und die Entwicklungsumgebung Softbench. Diese Haeufung legt den Schluss nahe, dass sich hier ein Herstellerpaar zusammengetan hat, um der Industrie seine Standards vorzugeben.

Platt: Im wesentlichen stimme ich dieser Deutung zu, aber lassen Sie es mich in meinen Worten sagen: Wir bemuehen uns, dass alles, was HP und IBM auf den genannten Gebieten tun, allgemein akzeptierten Standards entspricht. HP hat sich entschieden, bestimmte Techniken wie Softbench mit der Industrie zu teilen. Dabei geht es um sogenannte Middleware-Techiken, die heterogene Umgebungen verbinden sollen. Middleware funktioniert aber nur, wenn sich die Industrie auf Standards einigt.

Der Grund, warum wir dabei soviel mit der IBM zusammenarbeiten, liegt darin, dass dieses Unternehmen das groesste Interesse und das groesste Engagement bewiesen hat. IBM hat sich schlicht als besonders kooperativ gezeigt.

CW: Existiert ein formales Abkommen, das beschreibt, auf welche Gebiete sich die Zusammenarbeit erstreckt?

Platt: Nein, ausser vielleicht die COSE-Vereinbarung. Dort sind fast alle Bereiche genannt, in denen wir auch mit IBM zusammenarbeiten. Die Middleware-Schicht, die wir im COSE-Abkommen beschreiben, ist im uebrigen nicht Unix-spezifisch. Sie wird auch auf OS/2 angewandt. Aber es ist nicht so, dass IBM und HP sich zusammengesetzt haben, um die Zukunft des IT-Markts zu planen.

CW: Sie wollen offene Industriestandards setzen. Sind dafuer nicht Open-Systems-Organisationen wie Unix International oder die OSF zustaendig?

Platt: Wir haben festgestellt, dass es manchmal schneller geht, wenn man direkt mit den anderen Herstellern spricht. Das heisst nicht, dass wir nicht mehr mit der OSF zusammenarbeiten.

CW: Das klingt so, als ob HP und IBM nicht mehr glauben, dass die Diskussionen in den Open-Systems-Gremien zu einer Standardisierung fuehren koennen. Treiben sie deshalb die Festlegung von Techniken fuer verteilte DV quasi im Alleingang voran?

Platt: Genau das tun wir. Es hat sich als immer schwieriger erwiesen, die Open-Systems-Anbieter unter einen Hut zu bringen. Das gilt im besonderen Masse fuer OSF-Sponsoren. Deshalb wollten wir endlich Bewegung in die Sache bringen. Dabei ging es uns jedoch nicht darum, irgend jemanden auszuschliessen.

Unsere Vorgehensweise ist die, eine Technik im Zweierteam soweit voranzutreiben, dass sie auch fuer andere interessant wird. Wir haetten Sun nie fuer COSE gewinnen koennen, wenn wir nicht in der starken Position gewesen waeren, zu sagen: "Wir machen das - mit oder ohne euch. Wollt Ihr dabei sein?"

CW: Wollen Sie damit sagen, dass IBM und HP als Zugpferde antreten, um den Rest der Industrie mitzuziehen?

Platt: Ja, jeder der mitmachen will, ist willkommen.

CW: Richtet sich das Buendnis mit IBM gegen Microsoft?

Platt: Wir sehen das nicht aus diesem Blickwinkel, schliesslich arbeiten wir auch mit Microsoft zusammen. Allerdings kann ich an dieser Stelle nicht fuer die IBM sprechen. Wir kooperieren mit dem Unternehmen, weil es sich um wichtige Standards fuer offene Systeme bemueht.

Auch COSE ist, entgegen vielen Pressemeldungen, keine gegen Microsoft gerichtete Initiative. Natuerlich ist es eine moegliche Folge, dass COSE durch die Staerkung von Unix den Erfolg von Windows NT bremst. Aber das war nicht der Grund, um COSE ins Leben zu rufen.

CW: Es heisst haeufig, dass COSE die letzte Chance ist, Unix zu einem erfolgreichen Massenprodukt zu machen. Das funktioniert nur, wenn die Unterschiede heterogener Systeme hinter einer einheitlichen Anwenderumgebung verschwinden. Diese Einheitlichkeit kann aber Microsoft mit Windows und Windows NT viel ueberzeugender versprechen als die COSE-Mitglieder.

Platt: Das ist richtig. Die Microsoft-Umgebung ist weitaus einheitlicher.

CW: Trotzdem halten sie daran fest, dass es bei COSE nicht um eine Auseinandersetzung zwischen den Unix-Anbietern und Microsoft geht?

Platt: Ich glaube, in zwei bis drei Jahren wird die am weitesten verbreitete Konfiguration die mit Unix-Servern und NT-Clients sein. Im Server-Bereich hat Unix einen Vorsprung, den NT in absehbarer Zeit nicht einholen kann.

CW: Das hoert Bill Gates sicher nicht gern. Schliesslich ist Windows NT ja als Server-Betriebssystem positioniert.

Platt: Ich sehe nicht, wie Windows NT mit Unix als Server- Betriebssystem gleichziehen kann.

CW: Wo sehen Sie den Unix-Spezialisten HP in einer Welt, die von unterschiedlichsten Betriebssystemen wie Windows, Windows NT, Chicago, Cairo, Macintosh, Nextstep, OS/2 und Taligent bestimmt wird?

Platt: Wir bleiben eine Unix-Company. Dieses Betriebssystem hat so viele Vorteile im Server- und Netzwerkbereich, dass ich die meisten der genannten Systeme als Clients in Unix-Umgebungen sehe.

CW: Eine letzte Frage. Stimmt es, dass sich HP in das IBM/AppleJoint-venture einkaufen will?

Platt: Kein Komentar.

CW: Heisst das nein?

Platt: Kein Kommentar.

CW: Ich bedanke mich fuer dieses Gespraech.

*Sowohl Domf als auch SOM stellen herstellerspezifische Implementationen des objektorientierten Messaging-Standards Corba dar, der die transparente Nachrichten- und Befehlsuebertragung in heterogenen vernetzten Umgebungen regelt.

**Das Common Open Systems Environment (COSE) wurde von HP und IBM initiiert, um sich mit wichtigen Herstellern auf eine einheitliche DV-Umgebung in den Bereichen Benutzeroberflaeche, Middleware und Multimedia zu einigen. Zu den Mitgliedern gehoeren neben HP und IBM die Novell-Tochterunternehmen Univel und USL sowie SCO, Sun und neuerdings auch DEC. (Anm. der Redaktion)