Commerce im Internet

Hot-hot-hot: Die Ideen der Netrepreneure

11.04.1997

Von Simon Waldman*

Die Olims hatten keine Lagerbestände, keine wirklichen Geschäftsräume und kaum Mitarbeiter. Durch den Zusammenschluß mit einigen Großhändlern in verschiedenen Teilen der USA, die ihre Bestellungen erledigen konnten, waren sie jedoch in der Lage, über 165000 CDs und Videos anzubieten - ein Spektrum, von dem jede Niederlassung von Tower Records oder anderen großen Händlern nur träumen kann. Dazu kommen Biografien der Künstler und Hörproben, die ihren Kunden die Kaufentscheidung erleichtern.

Das Geschäft hat nicht nur überlebt, es boomt. Unter der Adresse http://www.cdnow.com kann man sehen, was für ein hochrespektables Unternehmen inzwischen daraus geworden ist. "Wir hatten im ersten Jahr einen Umsatz von 300000 Dollar erwartet", sagt Jason, "und wir haben diese Zahl um 700 Prozent übertroffen." In diesem Jahr rechnet man mit einem Umsatz von etwa sechs Millionen Dollar bei einer Gewinnspanne von um die 20 Prozent. Derzeit deutet nichts auf einen Rückgang der Geschäfte.

Die Olim-Brüder gehören zu den sogenannten Netrepreneurs. Deren Gemeinde wächst rasant und unaufhaltsam, so daß auch der neue Begriff nicht lange auf sich warten ließ: In einem launigen Wortspiel wurde aus dem englischen "entrepreneur" - Unternehmer - durch einfache Umkehrung zweier Buchstaben der "netrepreneur" als Unternehmer im Netz.

Die Pioniere eines neuen Geschäftsmodells, das all das Tamtam um das Internet in gewissem Maße durchaus rechtfertigt, kommen aus den unterschiedlichsten Sparten. Unter ihnen gibt es Ingenieure und Programmierer ebenso wie Inhaber kleiner Läden oder auch Finanziers. Und sie verkaufen alles und jedes, von der Salami bis zum Saab Turbo. Gemeinsam aber ist ihnen eines: Alle haben ihre Blicke auf das globale Computernetz gerichtet, und während alle Welt mühsam versucht hat, diesem überhaupt einen Sinn abzugewinnen, haben sie ihm sogar Profit abgewonnen.

Noch steckt dieses Geschäft in den Kinderschuhen. Das Web selbst, in dem sich die Netrepreneurs tummeln, ist nicht einmal fünf Jahre alt. Außerdem war es ursprünglich für wissenschaftliche Forschungen gedacht, nicht als Umschlagplatz für die neueste Oasis-CD.

Bei Forrester Research aber veranschlagt man den Gesamtwert der über das Internet umgesetzten Waren mit etwa 518 Millionen Dollar (880 Millionen Mark). Diese Zahl werde bis zur Jahrtausendwende auf 6,6 Milliarden Dollar beziehungsweise 11,2 Milliarden Mark klettern, was einem Anstieg um das Zehnfache in fünf Jahren entspricht. Nicht zuletzt auch aufgrund der relativ niedrigen Einstiegskosten kann man hier gutes Geld verdienen. Im Juni gaben bei einer Befragung von 1100 kommerziellen Site-Betreibern 31 Prozent an, profitabel zu arbeiten, und 28 Prozent erwarteten sich Gewinne in den nächsten zwölf bis 24 Monaten.

Noch immer wird das Terrain vornehmlich von wagemutigen Jungunternehmern beackert. Denn trotz immenser Wachstumsraten sind die Summen, absolut betrachtet, für die meisten größeren Unternehmen doch relativ gering. Zum Vergleich: Die Supermarktkette Sainsbury schloß im März mit einem Jahresumsatz von 20,5 Milliarden Dollar (34,8 Milliarden Mark) ab. Das große Geschäft läßt also noch auf sich warten, aber die unternehmerischen Vorteile liegen auf der Hand.

So kommt der Keller in Pennsylvania nur durch eine clevere Programmierung wie der größte Plattenladen der Welt daher. "Im Internet", sagt Jason Olim, "kann sich selbst ein kleines Unternehmen den Kunden gegenüber genauso zuverlässig und solide darstellen wie die großen. Das Netz hat die Möglichkeit geschaffen, ein Geschäft zu eröffnen und ihm eine größere Ladenfläche zu verpassen, als sie noch der namhafteste Konkurrent vorzuweisen hat."

Chris Byrne, 28 Jahre alt, betreibt "Wedding Web", das Heiratswilligen Informationen und Dienstleistungen anbietet. "Das Netz räumt viele der Hindernisse aus dem Weg, mit denen man bei der Gründung einer neuen oder der Erweiterung einer bereits bestehenden Firma zu kämpfen hat", meint er. "Damit ist der Traum vom Unternehmertum wahr geworden."

Wer zudem einmal die ersten Online-Erfolge gehabt hat, darf mit mehr rechnen. Vinny Barbieri, Mitinhaber des "Franklin Square Italian Supermarket" in New York und des dazugehörigen Cybershops namens "Salami. com", ist überzeugt: "Wer jetzt nicht auf den Zug aufspringt, verpaßt den Anschluß. Im Netz liegt die Zukunft. Jeder, der nicht mitmacht, wird meines Erachtens in fünf bis zehn Jahren zahlreiche Gelegenheiten und potentielle geschäftliche Erfolge verpassen."

Salami.com wurde im Januar 1995 gestartet und setzt heute monatlich über 8000 Dollar online um. Gewiß, das ist nur ein Bruchteil der sechs Millionen, die der Supermarkt einnimmt, aber immerhin kommt unter dem Strich ein Gewinn heraus.

"Am meisten hat uns das Echo aus dem Ausland überrascht", gesteht Barbieri. "Wir haben angefangen mit der Vorstellung, daß wir mit New Yorkern zu tun haben würden, die es anderswohin verschlagen hat. Und jetzt versenden wir unsere Waren nach Japan, Guam, Alaska und Puerto Rico, um nur einige der ferneren Länder zu nennen."

Im Gegensatz zu den Olims, die erst über das Netz ins Geschäft kamen, kann Barbieri das Cyber-Business mit unternehmerischen Erfahrungen aus der realen Welt vergleichen. Für ihn steht fest, worauf es im Online-Geschäft ankommt: "Kundendienst, Kundendienst und nochmal Kundendienst. Seine Bedeutung kann nicht genug hervorgehoben werden. Der Kunde muß gern bei dir einkaufen und wissen, daß du hinter jedem deiner Artikel stehst. Du mußt die Aufträge zuverlässig erledigen und dafür sorgen, daß der Kunde mit dem Produkt, das er bekommt, absolut zufrieden ist."

Aus diesem Grund werden per E-Mail Auftragsbestätigungen verschickt, die Ware wird sorgfältig verpackt, und gelegentlich kommt gratis eine Flasche Balsamessig, eine Tüte Kekse oder ein persönlicher Gruß mit in den Karton.

Salami.com ist ein sehr typisches Beispiel für diese Art von Internet-Handel. Die dabei vertriebenen Spezialprodukte sind in vielen Gegenden der USA einfach nicht zu bekommen, von anderen Ländern einmal ganz zu schweigen. So ging denn auch die erste Bestellung aus Japan ein. Die Versandkosten für einen 90-Dollar-Auftrag haben den Preis fast verdoppelt, und trotzdem hat der Kunde an die 150 Dollar gegenüber dem gespart, was er in Japan hätte zahlen müssen.

"Hot-hot-hot" ist ein weiteres Beispiel. Der winzige Laden im kalifornischen Pasadena bietet auf einer eigenen Web-Site http://www.hothothot.com 100 feurige Saucen an. Inzwischen macht das Online-Geschäft laut Eignerin Monica Lopez 25 bis 30 Prozent des Umsatzes aus "und hat uns ein internationales Renommee eingebracht". Natürlich hat die Nachfrage nach scharfen Saucen in Pasadena irgendwo ihre Grenzen, dank dem Internet aber erreicht das Geschäft nun auch Interessenten in anderen Städten und Bundesstaaten und im Ausland.

Für einen Anbieter, der traditionsgemäß auf Innovation setzt, ist das Netz nur der konsequente nächste Schritt in Richtung Erfolg. Die Firma "1-800 Flowers" beispielsweise hatte in den 70er Jahren einen einzigen Laden in New York. Als dann aber in den 80ern die Möglichkeit des gebührenfreien Anrufs und der landesweiten Lieferung aufkam, wurde das Geschäft neu konzipiert - und setzt inzwischen 250 Millionen Dollar (425 Millionen Mark) um. Heute verfügt es über eine eigene Seite im Internet und ist zudem auf dem Host eines Anbieters spezieller Online-Dienste präsent.

Beides zusammen schlägt mit zehn Prozent der Gesamteinnahmen zu Buche und beschert dieser Abteilung die höchste Wachstumsrate des Unternehmens. Zweifellos sehr förderlich ist dabei die Tatsache, daß bei Online-Aufträgen, verglichen mit normalen Bestellungen, nur die halben Bearbeitungsgebühren berechnet werden - was wiederum möglich ist, weil die Erledigung von Internet-Aufträgen in der Regel weniger Kosten verschlingt.

Nach einem ähnlichen Prinzip bietet das "Internet Shopping Network", eine Einrichtung des Kabelkanals Home Shopping Network, unter der Adresse http://www.isn.com technische Produkte an. Und CUC International mit Sitz in Connecticut, das für Mitglieder verschiedene Einkaufsdienste offeriert, hält über Netmarket http://www.netmarket.com an die 250000 Produkte bereit.

Internet-Technik ist noch keine Erfolgsgarantie

Doch läuft nicht alles wie von selbst im Online-Handel. Zunächst einmal wären da die schätzungsweise 25 Millionen, die im Netz surfen, von denen aber nur etwa zehn Prozent tatsächlich schon etwas gekauft haben.

Das amerikanische Handelsmagazin "Advertising Age" wollte in einer Umfrage wissen, warum die meisten der Versuchung widerstanden hätten. Von jenen, die sich gegen einen Online-Kauf entschieden hatten, gaben 40 Prozent als Grund Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit an, 27 Prozent möchten die Waren gern in die Hand nehmen können, 18 Prozent kennen den Händler lieber persönlich, und 15 Prozent halten die Kaufprozedur einfach für zu kompliziert oder zeitraubend.

Das ist verständlich. Jeder, der das Internet schon einmal benutzt hat, weiß um die Stolpersteine, die einen häufig dort erwarten. Zu dem Schritt, dort tatsächlich einzukaufen, können sich viele daher nicht entscheiden.

Vor allem die Sicherheit wird als Problem angesehen. Berichte über Hacker, die vor ihrem Bildschirm lauern, um Informationen über Kreditkarten zu erhaschen, nehmen den meisten die Lust am Online-Kauf. Tatsächlich aber ist die verschlüsselte Angabe persönlicher Daten viel sicherer als die via Telefon, die wir tagtäglich bedenkenlos praktizieren. Natürlich wird es auch im Netz immer betrügerische Anbieter geben, aber das steht auf einem ganz anderen Blatt.

Die in der Umfrage von "Advertising Age" genannten Punkte sind durchweg nicht zu unterschätzen. Alle Unternehmen, die bisher im Netz Erfolg hatten, haben dafür diese Schwierigkeiten überwinden müssen. Das aber verlangt ziemlich viel Einsatz. Und es ist offenbar den kleineren Firmen geglückt, die mit Entschlossenheit im Netz Fuß fassen wollten, während größere Unternehmen, die hier bestenfalls ein marginales Betätigungsfeld sehen, eher gescheitert sind.

In Großbritannien zum Beispiel haben sich 17 größere Einzelhandelsunternehmen, darunter die Supermarktkette Sainsbury, der Katalogversand Argos und Toys-R-Us zu dem virtuellen Einkaufszentrum "Barclay Square Shopping Mall" zusammengeschlossen. Das Projekt erregte lebhaftes Publikumsinteresse, war aber kaum zu finden und unübersichtlich dazu. Überdies ist der Kreis privater Internet-Benutzer in Großbritannien relativ klein, so daß das gesamte Einkaufszentrum in den ersten eineinhalb Jahren nicht einmal 27000 Mark umsetzte.

Was war schiefgelaufen? Zunächst einmal ist Barclay Square schwer zu orten. Denn es verbirgt sich hinter einer Adresse http://www.itl.net , die im Gegensatz etwa zu Salami.com keinen Hinweis liefert, worum es sich handelt. Einmal vorgedrungen, braucht man dann viele Minuten, um den gewünschten Laden zu finden, vom Produkt, das man sucht, einmal ganz abgesehen.

Alles in allem ein Erlebnis, das einen reumütig in die reale Einkaufsstraße zurückkehren läßt. Bedenkt man außerdem, daß die britischen Verbraucher noch skeptischer sind als die amerikanischen, ist es kein Wunder, daß das bisherige Geschäftsergebnis so schlecht ausfällt.

"Amazon Books" http://www.amazon.com ist ein Gegenbeispiel. Lange vor großen amerikanischen Buchhandlungen wie Barnes & Noble konnte es sich im Netz etablieren. Es wurde im Juni 1995 von Jeff Bezos, vormals Investmentfonds-Manager, gegründet und kann angeblich dieses Jahr einen Umsatz von 17 Millionen Dollar verbuchen. Das Unternehmen hat 160 Mitarbeiter.

Warum floriert es dermaßen? Im Grunde deshalb, weil es dasselbe bietet wie ein herkömmlicher Buchhändler, nur besser. Zunächst sei der Katalog mit 1,1 Millionen Titeln - etwa fünfmal so viel wie in einer üblichen Buchhandlung - erwähnt, von denen viele mit einem erfreulichen Preisnachlaß zu haben sind. Doch damit nicht genug. Wie andere erfolgreiche Netrepreneurs ist Amazon Books noch ein Schrittchen weiter gegangen und hat die Möglichkeiten von Cyberspace kundenfreundlich genutzt: Jede Woche werden ausgewählte Bücher präsentiert, den Kunden steht ein außerordentlich effizientes Suchsystem zur Verfügung, und sie können ihre Meinung über das Buchangebot äußern - mit dem Ergebnis, daß über 40 Prozent des Umsatzes durch Stammkunden hereinfließen.

Natürlich werden CD-Now, Amazon und Co. durch die Branchengrößen Konkurrenz bekommen, und sie wissen es auch. "Wie oft mußte ich mir anhören, daß es nicht funktionieren würde", sagt Jason Olim, "daß jemand daherkommen würde, der cleverer, schneller, finanzkräftiger wäre und mich aus dem Geschäft drängen würde." Bisher ist das nicht eingetreten, bestimmt aber werden die Branchengrößen CD-Now und die anderen Innovativen bald ins Visier nehmen.

Das beste Beispiel einer solchen kommerziellen Aufholjagd ist wohl der erbitterte Kampf um das Netz an sich, der zwischen Microsoft und Netscape um den Web-Browser entbrannt ist.

Netscape wurde von dem jungen Mark Andreessen gegründet, der von der Idee getrieben war, den einzig wahren Browser für das Internet zu entwickeln. Der "Navigator" wurde kostenlos vertrieben und machte Furore. Im ersten Jahr des Bestehens von Netscape war Microsoft in diesem Bereich nicht auf der Bildfläche. Dann aber holte es zum Gegenschlag aus und brachte mit entschlossenem Einsatz sein eigenes Modell, den "Internet Explorer", heraus, der sich als echter Konkurrent für Netscape entpuppte.

Wer wird gewinnen? Darauf kommt es letztlich nicht an. Wichtig ist, daß der Kampf überhaupt stattfindet, daß Netscape als Unternehmen, das es vor drei Jahren noch gar nicht gab, Microsoft, die international führende Softwarefirma, und Bill Gates, einen der gewieftesten CEOs der Welt, in arge Bedrängnis bringen konnte.

Wenn wir uns also fragen, wie Amazon wohl in fünf Jahren dasteht oder ob CD-Now Tower Records oder auch Virgin überflügeln wird, dann ist das eigentlich Wichtige daran die Frage selbst, will heißen: die Tatsache, daß das Netz ein paar Zwanzigjährigen aus Pennsylvania die Chance eröffnet hat, einigen der größten Handelsunternehmen der Welt die Stirn zu bieten.

Jeff Pazos von Amazon ist wild entschlossen. Gefragt, ob er sich wegen der drohenden Attacke der großen Handelsunternehmen Gedanken mache, antwortet er: "Es ist mein Job, mir Gedanken zu machen, also tue ich das auch, ja. Aber wir haben als Netzhändler mehr Erfahrung als alle anderen. Daher wäre ich enttäuscht, wenn die Kluft zwischen uns und unseren potentiellen Konkurrenten in den nächsten Jahren nicht größer würde."

Vielen konventionellen Händlern, die sich im Netz zurechtfinden möchten, mangelt es völlig an den notwendigen Kenntnissen und Erfahrungen. Sie müssen sich also technische Hilfe von außen holen - und dabei möglicherweise viel Geld für jemanden bezahlen, der noch dazu für sie in Rätseln spricht.

Die besten Unternehmen im Netz beziehen ihr wirklich wertvolles Know-how aus eigenen Quellen. "Virtual Vineyards" http://www.virtualvin.com ist hierfür ein Paradebeispiel. Seine Gründer sind Peter Granoff, ein Weinexperte mit mehr als zwanzig Jahren Erfahrung in der Branche (immerhin einer von nur 13 Amerikanern, die zum British Court of Master Sommeliers zugelassen wurden), und sein Schwager Robert Olson, ein Ingenieur aus dem Silicon Valley.

Seit sie im Januar 1995 ihre Web-Seite eingerichtet haben, sind sie auf Erfolgskurs. Verantwortlich dafür sind ihr unglaublich guter Service und ihr Bemühen, den Kunden die Verunsicherung, die oft beim Kauf von Wein und hochwertigen Nahrungsmitteln aufkommt, zu nehmen.

"Einzeln hätten wir nie das geschafft, was wir erreicht haben", sagt Granoff. "Ohne Robert, der ein Spitzeningenieur ist, hätte ich die Seite nie und nimmer hinbekommen, und er hätte niemals die Lieferanten verpflichten können, die ich für uns gewonnen habe."

Das Zusammenspiel funktioniert perfekt. Granoff hat der gesamten Seite einen unverwechselbaren Stempel aufgedrückt, so wie es auch in einem guten Laden der Fall sein sollte, und hinter den Kulissen sorgt Olsen mit großer Sachkenntnis dafür, daß alles absolut reibungslos läuft.

Neue Besucher werden mit einem Brief von Peter Granoff begrüßt, in dem er die Seite und sein erklärtes Ziel erläutert, nämlich "eine Auswahl an Feinkost und Weinen von überragenden Erzeugern für den Kunden zusammenzutragen und ihm zum Kauf anzubieten". Etwaige Fragen können die Kunden per E-Mail schicken und erhalten eine persönliche Antwort.

So entsteht eine bemerkenswerte "virtuelle Vertrautheit". Zwar mag das Geschäft mehrere tausend Kilometer entfernt sein, doch wird der Kunde viel persönlicher bedient als im Supermarkt nebenan.

"Ich denke", so Granoff weiter, "daß es im Netz zu einer Polarisierung kommen wird. Überleben werden nur die, die in einer Branche alles an sich reißen, wie Amazon Books, oder aber Leute wie wir, die sich engagiert eine Nische sichern. Für Unternehmer bleibt dazwischen nicht viel Platz."

All diese Firmen haben jedoch Pendants in der realen Welt, und die meisten zielen wohl einfach darauf ab, mit einem zusätzlichen Hilfsmittel ihr traditionelles Geschäft geschickter zu betreiben. So richtig interessant wird es aber bei Unternehmen, die es nur im Netz geben kann.

Peter Ellis setzte Anfang der 90er Jahre 15 Millionen Dollar mit seinem Autohandel in den Sand und mußte mehrere Niederlassungen schließen. Jetzt ist er zurückgekehrt, und zwar online. Sein "Auto-By-Tel" http://www.autobytel.com lebt, kurz gesagt, davon, daß es Adressen von Autointeressenten an Händler verkauft, die den Service abonniert haben. Interessierte Autokäufer suchen die Seite auf und geben dort ihre Wünsche an. Diese werden an die Autohändler weitergeleitet, die günstigste Preise ohne Verhandlungsspielraum bieten.

Es ist eine einfache, aber effektive Dienstleistung. "Wir vermitteln den Händlern ernsthafte Kaufinteressenten, die ihrerseits in den Genuß von Tiefstpreisen kommen. Alle profitieren davon", beschreibt Ellis das Geschäft. Für ihn trifft das ganz fraglos zu: Er darf sich dieses Jahr auf den Gewinn aus umgesetzten 6,5 Millionen Dollar freuen. Wichtiger noch: So manchem hat er etwas von dem Verdruß erspart, der üblicherweise mit einem Autokauf einhergeht.

Das Faszinierende an dieser Art von Geschäft ist die kombinierte Nutzung der Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten im Netz. Ein besonders nettes Beispiele dafür ist "E-Greetings", ein Dienst der Online-Grußkartenfirma Greet Street http://www.greetst.com . Derzeit findet man hier einen sehr umfassenden Katalog von Grußkarten jeder Art, im Grunde einfach eine ungleich bessere Variante des herkömmlichen Kartengeschäfts nach dem gleichen Prinzip, das auch CD-Now und Amazon verfolgen.

Man kann die Karten verändern, und mit dem "Perfect Memory System" lassen sie sich "just in time" schicken. Mit E-Greetings kommt nun die Möglichkeit hinzu, Freunden rechtzeitig per E-Mail Grüße mit Computeranimation und Sound zu senden. Die Peinlichkeit, den so wichtigen Geburtstag verschwitzt zu haben, hat ein Ende.

Genauso kann "Onsale" http://www.onsale.com nur online existieren. Das Geschäft wurde im Mai 1995 von dem 44jährigen Jerry Kaplan ins Leben gerufen, nachdem er den Großteil seines Arbeitslebens in der Computerindustrie zugebracht und den Beststeller "Start Up - A Silicon Valley Adventure" geschrieben hatte.

Onsale organisiert für Mitglieder zweimal wöchentlich Online-Versteigerungen von Auslaufmodellen aus dem Computer- und Unterhaltungselektroniksektor. Diese Verkaufsveranstaltungen haben Kaplan bisher durchschnittlich jeweils fast eine halbe Million Dollar eingebracht.

Ohne die üblichen Voraussetzungen einer herkömmlichen Auktion, bei der man alle Interessenten zu einer bestimmten Zeit an einem Ort zusammentrommeln oder zumindest einige tausend Kataloge drucken und verteilen muß, konnte das Geschäft zu einem beträchtlichen Erfolg werden. Kaplan tituliert sich heute als den "PT Barnum des Cyberspace".

"Golfweb" http://www.golfweb.com , gegründet 1994 von Ed Patterman, einem ehemaligen Manager aus der Technologiebranche, wäre ebenfalls ohne das Internet undenkbar. Es ist schlechterdings das ultimative Online-Forum für Golfinteressierte - brandaktuelle Enzyklopädie, Zeitung, Shop und Treffpunkt in einem.

Man findet verschiedene Rubriken: Unter "Golf Action" stehen die Neuigkeiten und Ergebnisse von Tournieren in aller Welt; "On Course" ist eine interaktive Datenbank mit Informationen über 20000 Golfplätze in sechs Ländern; der "Pro Shop" bietet alle möglichen Golfartikel; die "Library" mit Artikeln und Büchern über alles, was irgendwie mit Golf zu tun hat, rundet das Bild ab. Finanziert wird das Ganze aus dem Verkauf von Werbeflächen, Abonnementverträgen für Premium- Services und dem Handel mit Golfzubehör. In der realen Welt wäre es nicht tragbar, im Netz dagegen ist es nur eine Frage von Phantasie und engagierter Arbeit.

Das Netz wächst beständig weiter. Wie groß es wird oder wie es einmal aussieht, weiß niemand. Virtual-Vineyards-Gründer Olson warnt alle, die sich von der Aussicht auf leicht verdiente Millionen verlocken lassen könnten: "Der Eintrittspreis ist niedrig, aber für den Erfolg muß man viel zahlen. Kundendienst und Akquisition sind ungeheuer arbeitsintensiv. Die meisten stecken noch tief im Experimentierstadium. Wenn man jemanden fragt, ob er wirklich weiß, was er da tut, und er ist aufrichtig, dann sagt er: ´Vielleicht, in etwa 20 Prozent der Fälle.´ Falls mir jemand erzählt, er wisse es genau, dann würde ich entgegnen, das sei großer Quatsch."

Tatsächlich sind die glorreichen Zeiten für die Netrepreneurs vielleicht schon wieder vorüber, wenn die Großunternehmen schließlich mit Macht in den Cyberspace dringen. Aber während Sie diese Zeilen lesen, hat irgendwo irgendwer sicher gerade wieder eine Idee für ein Online-Geschäft gehabt, die ihm einen stattlichen Batzen Geld einbringen wird. Bestimmt werden Sie bald schon vor Neid erblassen.

*Simon Waldmann ist Herausgeber von "The Guardian´s New Media Lab".