Hosted VoIP eröffnet Geschäftsfelder

01.12.2005
Von Thomas Hertel
Mit Hosted-IP-Services erschließt sich ein Chemie-Dienstleister neue Einnahmequellen.

Die Integration der Sprachkommunikation in IP-basierende Infrastrukturen ermöglicht Dienstleistern heute völlig neue Geschäftsmodelle. Ähnlich wie ein Internet-Service-Provider (ISP) können sie mit dieser Technik zum Preis von vergleichsweise geringen Investitionen auch als lokale oder sogar überregionale Telefongesellschaft auftreten und Internet-Zugang sowie Telefonie kostengünstig aus einer Hand anbieten. Einer der Vorreiter solcher "Hosted IP Services" ist in Deutschland aber nicht etwa ein klassischer ISP, sondern ein Komplettdienstleister für die chemische Industrie.

COMPUTERWOCHE Serie Voice over IP

"Wie viel sparen wir denn durch VoIP?" Diese Frage ist immer wieder zu hören, wenn sich Unternehmen mit dem Thema Voice over IP beschäftigen. Neben der Hoffnung auf geringere Gesprächsgebühren und Servicekosten schwingt oft die Erwartung mit, dass die Anschaffung einer IP-TK-Lösung deutlich günstiger sei als eine klassische Telefonanlage. Die teuren Call-Server und IP-Telefone schrecken dann viele Unternehmen von einer Migration zu VoIP ab. Die COMPUTERWOCHE zeigt in vier Folgen alternative und kostengünstige Wege zur IP-Telefonie auf und wie diese neue Geschäftsmodelle ermöglichen.

Teil 1: VoIP als PC-gestütztes System.

Teil 2: Mit Software zur homogenen TK-Welt.

Teil 3: Neue Geschäftsfelder mit Hosted VoIP.

Teil 4: Virtualisierung - die sanfte Revolution auf dem Weg zu IP.

Den vierten Teil lesen Sie in Ausgabe 50.

Kongresse und Fachveranstaltungen

VoIP-Konferenz

Was für die IP-Telefonie spricht, welches Maß an Kostenersparnis und welche neuen zusätzlichen Anwendungen durch den Einsatz von Voice-over-IP-Technologie möglich sind, können Sie, verehrte Leserinnen und Leser am 23. Februar 2006 in Frankfurt am Main auf einer gemeinsamen VoIP-Konferenz von computerwoche und Techchannel erfahren. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, die sich an IT-Enstscheider und zuständige Projektleiter wendet, stehen Best-Practice-Beispiele sowie Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen von VoIP-Installationen und konkrete Migrationstipps. Weitere Informationen und Anmeldung unter

Hier lesen Sie …

• wie ein Gewerbepark von mehreren klassischen TK-Anlagen auf ein zentrales VoIP-System migrierte;

• welche Maßnahmen erforderlich waren, um die gleiche Ausfallsicherheit wie bei einer herkömmlichen TK-Anlage zu rea- lisieren;

• wie die Hosted-VoIP-Lösung neue Geschäftsfelder und Einnahmequellen eröffnet.

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Chemie-Dienstleister

Als Dienstleistungsunternehmen betreibt die aus der früheren Hoechst AG hervorgegangene Infraserv Knapsack GmbH & Co. den Chemiepark Knapsack bei Köln. Auf dem Gelände haben sich rund zehn produzierende Unternehmen aus der chemischen Industrie angesiedelt, darunter Bayer Crop Science, Basell, Clariant und Vinnolit. Zudem beherbergt der Park, der sich über zwei räumlich getrennte Areale in Knapsack und Hürth erstreckt, einige industrienahe Dienstleister.

Da die Anzahl der Neuansiedlungen chemischer Betriebe naturgemäß begrenzt ist, richten sich die Betreibergesellschaften zunehmend darauf aus, einzelne Dienstleistungen auch externen Kunden anzubieten.

Kommunikationsanforderungen

Die Voraussetzungen für diese Art der Expansion wollte auch Hans Peter Pütz schaffen. Als Leiter Kommunikationstechnik ist er bei der Infraserv Knapsack GmbH & Co. KG für die Entwicklung und den Betrieb der gesamten Kommunikations-Infrastruktur verantwortlich. Zudem ging es ihm darum, seinen bestehenden Kunden, also den im Park angesiedelten Unternehmen, eine moderne, flexible und kostengünstige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, die nicht zuletzt den besonderen Gegebenheiten der chemischen Industrie Rechnung tragen sollte.

In der Chemiebranche sind die Anforderungen an eine Kommunikationsinfrastruktur besonders hoch, da sie nicht nur die übliche Sprach- und Datenkommunikation unterstützen muss, sondern darüber hinaus auch eine Vielzahl von Notfallprozeduren wie Alarme oder automatisierte Ansagen im Falle eines Chemieunfalls gefordert sind. Während in anderen Branchen Euro und Cent auf dem Spiel stehen, falls eine Anlage einmal ausfällt, geht es hier unter Umständen um Menschenleben. Redundanz und Verfügbarkeit haben deshalb einen extrem hohen Stellenwert.

Für Pütz war klar, dass seine traditionellen Telefonanlagen auf mittlere Sicht diese Anforderungen nicht mehr erfüllen würden. Zwar waren sie robust und unterstützten alle erforderlichen Notfallprozeduren, aber dem zunehmenden Wettbewerb schienen sie nicht mehr gewachsen sein. Zudem beschränkten sie sein Angebot auf das Areal des Chemieparks. Gemeinsam mit der Geschäftsführung beschloss Pütz daher, die gesamte Kommunikationsinfrastruktur auf IP-Basis neu zu entwickeln.

Erwartungen

Aufgrund der großen Areale, die zudem räumlich getrennt sind, waren bisher zwei unabhängige, klassische Telefonanlagen installiert, die insgesamt etwa 1600 Teilnehmeranschlüsse bei Infraserv und deren Kunden versorgten. Von der Umstellung auf die IP-Telefonie versprach sich Pütz zum einen niedrigere Verbindungskosten, zum anderen eine wesentlich flexiblere Struktur. Diese sollte nicht nur zentral verwaltet werden, sondern auch die Möglichkeit bieten, eines Tages standortferne Kunden einzubinden.

Im Rechenzentrum von Infraserv Knapsack wurde hierzu ein "Real Time IP System Hipath 4000" von Siemens Communications installiert, das sowohl herkömmliche als auch IP-basierende Endgeräte wie Telefone oder Softclients unterstützt. Auf diese Weise konnte Pütz gewährleisten, dass alle Kunden von Infraserv ihre bestehenden Endgeräte weiter nutzen und je nach ihren individuellen Anforderungen die Möglichkeit haben, auf IP-Telefone zu migrieren. Alle Endgeräte, egal ob IP-basierend oder klassische Telefone, offerieren dabei die Komfortmerkmale einer modernen Telefonanlage.

Die verwendete Technik

Die eingesetzte Hipath 4000 ist ein IP-Echtzeit-System für Unternehmen. Als allein stehendes Kommunikationssystem unterstützt es bis zu 12000 Benutzer. In vernetzten Umgebungen können Installationen bis zu 100000 Teilnehmer realisiert werden. Das System basiert auf proprietärer Hard- und Software mit standardbasierten Schnittstellen. Dadurch ist es möglich, sowohl IP-, TDM- als auch analoge Netze zu integrieren. Die Anlage besteht aus mehreren Komponenten, die auch räumlich getrennt werden können. Die Einbindung entfernter Standorte erfolgt dabei über sogenannte Access Points, die nicht mit denen aus WLAN-Umgebungen zu verwechseln sind. Diese agieren beim Ausfall der Verbindung zum zentralen Switch als eigenständige Anlage.

Die Anbindung des IP-Systems an das öffentliche Telefonnetz erfolgt über drei S2M-Anschlüsse, wobei die Anlage sämtliche erforderlichen Umsetzungen automatisch vornimmt, ohne dass der jeweilige Teilnehmer davon etwas merkt. Die einzelnen Unternehmen im Chemiepark sind über insgesamt sechs Access Points vom Typ "Hipath AP 3300" an das zentrale System angebunden.

Vom Rechenzentrum in Knapsack wurden zudem drei Glasfaserverbindungen zum Areal in Hürth verlegt, um die dortigen Zugangsknoten mit etwa 800 Teilnehmeranschlüssen zu versorgen. Alle Access Points sind vollwertige IP-Telefonanlagen und so ausgelegt, dass sie bei einem Ausfall des zentralen Systems eigenständig arbeiten können, um so jederzeit die Verfügbarkeit zu gewährleisten. Um die Wahrscheinlichkeit solcher Ausfälle auf ein Minimum zu reduzieren, wurde zudem das zentrale Hipath-4000-System redundant ausgelegt - bis hin zu zwei voneinander unabhängigen Stromzuleitungen. Bestehende Kupferleitungen dienen als Backup, falls eine Glasfaserverbindung einmal ausfällt.

Hohe Redundanz

Das hohe Maß an Redundanz ist für Pütz einer der wesentlichen Vorteile, die er seinen Kunden bieten kann. "Gerade in der chemischen Industrie braucht man ein Always-on-System", beschreibt er die besonderen Anforderungen, "Ausfälle von mehr als sechs Minuten gelten bei uns als kritisch - wenn das passiert, muss vorsorglich die Feuerwehr patrouillieren." Mit der redundanten Struktur ist der Kommunikationstechniker nun in der Lage, solche Ausfälle weitestgehend zu vermeiden. Selbst Software-Updates auf dem zentralen System oder den Access Points können schneller eingespielt und live geschaltet werden. Auch die erforderlichen Alarmsysteme ließen sich aufgrund der offenen Hardware- und Softwarearchitektur problemlos integrieren. So war es beispielsweise möglich, zwei bestehende, unabhängige Alarm-Server, die bereits mit der bisherigen Anlage zusammengearbeitet hatten, ohne zusätzliche Investitionen in die neue Infrastruktur einzubinden.

Flexible Dienste

Damit ist gewährleistet, dass in kritischen Situationen alle betroffenen Mitarbeiter am Standort unverzüglich informiert werden. So gibt es im Chemiepark Knapsack beispielsweise eine zentrale Einsatzleitung, der Vertreter aller ansässigen Unternehmen sowie der Feuerwehr angehören und die im Notfall innerhalb weniger Minuten an einem von zwei Treffpunkten zusammengerufen werden muss - abhängig vom Unfallort und von der aktuellen Windrichtung. Diese und ähnliche Notfallprozeduren werden automatisch vom System und den angeschlossenen Alarmservern ausgelöst.

Über die neue, IP-basierende Infrastruktur ist Infraserv nun in der Lage, seiner Klientel eine Vielzahl von Kommunikationsdienstleistungen anzubieten. Dabei haben die Kunden ein hohes Maß an Flexibilität und können Dienste oder Funktionen je nach Bedarf für einzelne Mitarbeiter, Abteilungen oder das gesamte Unternehmen beziehen.

Neues Geschäftsmodell

Für Pütz eröffnet sich dadurch ein ganz neues Geschäftsmodell. "Wir arbeiten für unsere Kunden heute praktisch auch als Telefongesellschaft", erläutert er. "Ob ein Kunde zusätzliche Anschlüsse oder Leistungsmerkmale benötigt, ob er Einzelabrechnungen oder Abteilungsrechnungen bevorzugt - wir können es innerhalb kürzester Zeit realisieren. Bei Bedarf bilden wir sogar seine interne Kostenstellenstruktur nach." Zudem ist Pütz heute in der Lage, Anwendern einzelne Leistungsmerkmale unabhängig voneinander anzubieten. Jeder Kunde erhält auf jedem einzelnen Anschluss genau die Dienste, die er dort benötigt - und muss auch nur für diese Services bezahlen. Die Kontrolle ist einfach: Für jeden Teilnehmer- anschluss gibt es grundsätzlich einen Einzelverbindungsnachweis.

Gewerbepark als Carrier

Wie die klassischen Telefongesellschaften berechnet Pütz seinen Kunden eine monatliche Grundgebühr sowie die anfallenden Verbindungskosten. Preislich kann er mit den Carriern erfolgreich konkurrieren, aber seinen Kunden geht es nicht in erster Linie um Einsparungen. "Natürlich können wir nicht deutlich teurer als die Telefongesellschaften sein", so Pütz, "aber unsere Kunden schätzen vor allem die Flexibilität unserer Offerten." Eines dieser Angebote ist beispielsweise ein standortweites Telefonbuch, das direkt aus dem Abrechnungssystem generiert wird und daher immer tagesaktuell ist. Auch das selbst entwickelte Abrechnungssystem mit SAP-Anbindung, das Pütz schon früher eingesetzt hatte, ließ sich problemlos in die neue Umgebung integrieren.

"Für uns als Dienstleister liegt der Nutzen der neuen Infrastruktur vornehmlich in der Möglichkeit, allen im Chemiepark ansässigen Unternehmen sehr flexibel und kostengünstig die Dienste anzubieten, die sie benötigen", erläutert Pütz. Da das neue System IP-basierend und daher grundsätzlich von überall her zugänglich ist, sieht Pütz jetzt sogar die Möglichkeit, seine Dienste auch außerhalb des Chemieparks anzubieten. Ohne in eine eigene Telefonanlage investieren zu müssen, können externe Kunden über die öffentliche IP-Infrastruktur auf das zentrale System von Infraserv zugreifen und dort alle Funktionen nutzen.

Wachstumspotenzial

Dabei will Pütz nicht flächendeckend mit den großen Carriern konkurrieren, sieht aber ein Potenzial in seiner näheren Umgebung. Der Großraum um Köln und Leverkusen ist traditionell einer der wichtigsten Standorte der chemischen Industrie, und mit seinem speziell auf diese Branche ausgerichteten System kann Infraserv Knapsack den dort ansässigen Betrieben ein interessantes Angebot unterbreiten. (hi)