Host-Software VTAM 4.2 integriert die 3270-Welt APPN: Neues Routing-Verfahren soll Datentransfer beschleunigen

15.07.1994

STUTTGART (pg) - Die Migration zum Advanced Peer-to-peer Networking (APPN) kann fuer SNA-Anwender beginnen. Mit "VTAM 4.2" macht IBM jetzt fuer 3270-to-Host-Applikationen den Weg in APPN- Netze frei. Ob die Software die Abwanderung der SNA-Klientel zu TCP/IP jedoch verhindern kann, ist fraglich. Verglichen mit dem De-facto-Standard, weist APPN Performance-Schwaechen auf. Big Blue arbeitet deshalb mit Hochdruck am High Performance Routing (HPR).

Gut zwei Jahre nach Ankuendigung der "Networking Blueprint" im Maerz 1992 hat die IBM mit der Integration der 3270-Welt einen wichtigen Teil ihrer APPN-Strategie in die Tat umgesetzt. Auf Anfrage der COMPUTERWOCHE teilte ein Vertreter des Unternehmens mit, das First Customer Shipment fuer VTAM 4.2 laufe in Deutschland jetzt an. Elementarer Bestandteil des neuen Release ist die Anpassungssoftware Dependent LU Requester (DLUR) sowie Dependent LU Server (DLUS). Letztere residiert als Server auf dem Host und packt die 3270-Datenstroeme in eine LU-6.2-Session, waehrend der Requester DLUR in der remoten Steuereinheit die Informationen der LU-6.2-Session wieder entnimmt und an die 3270-PU und 3270-LU weiterleitet.

Die wesentliche Neuerung des Verfahrens ist, dass der 3270- Datenverkehr die dynamischen Routing-Mechanismen von APPN nutzen kann. Die Informationen muessen nicht mehr ueber VTAM oder das Network Control Program (NCP) eines angeschlossenen Front-end- Prozessors geschleust werden. Die Eingabe statistischer VTAM- Tabellen zur Definition der Terminalrouten in den Steuereinheiten wird damit fuer SNA-Operatoren hinfaellig.

Trotz dieses SNA-internen Fortschrittes bezweifeln Insider die Erfolgsaussichten von VTAM 4.2. Gegenueber TCP/IP weist APPN vor allem zwei Handikaps auf: kein dynamisches Rerouting sowie ein rein auf SNA-Anwendungen hin optimierter Datendurchsatz. Auch bei IBM ist man sich dieser Defizite bewusst und beschleunigt deshalb fieberhaft die Entwicklung von APPN+, das mit dem Verfahren HPR die Nachteile gegenueber TCP/IP wettmachen soll und fuer das vierte Quartal 1994 angekuendigt ist.

Waehrend APPN in VTAM 4.2 noch mit Intermediate Session Routing (ISR) arbeitet, wird diese Methode in HPR durch die Features "Automatic Network Routing" (ANR) sowie "Rapid Transport Protocol" (RTP) auf Schicht 3 und 4 ersetzt. ANR realisiert dabei ein transparentes End-to-end-Routing, da im Gegensatz zu ISR nicht mehr an jedem Netzknoten ein Austausch von Session-Adressen (LFSID) stattfindet. Vielmehr wird in ANR die Route komplett ueber Netzwerk-Adress-Label den jeweiligen Endpunkten der Session ins Paket eingetragen. Anhand des jeweils ersten Labels erkennt der APPN-Router, wohin er das Paket weiterleiten muss. Anschliessend wird das Label eliminiert. IBM verspricht sich davon einen schnelleren Datendurchsatz.

Hinfaellig wird laut Petra Borowka, unabhaengige Beraterin fuer Netzwerke, in HPR auch der komplette Neuaufbau bei einer Stoerung. Im Fall eines Datenverlustes stoesst RTP auf der verbindungsorientierten Schicht 4 Ende zu Ende ein Rerouting an, ohne die Session abzubrechen. Im Gegensatz zu TCP/IP, wo bei Stoerungen alle Pakete ab dem letzten Sammel-Acknowledgement neu verschickt werden, stellt RTP anhand der Sequenznummern genau fest, welches Paket fehlt und wiederholt werden muss.

Nach Ansicht Borowkas hat IBM in HPR die Vorteile der verschiedensten Verfahren zusammengetragen. Von IP stamme das Konzept des dynamischen Rerouting, von TCP die Verbindungsorientierung und von SNA das deterministische Verhalten sowie die Prioritaetensteuerung. "Fuer die reine SNA-Welt bringt HPR Vorteile, weil es einfacher zu konfigurieren und schneller ist", resuemiert die IBM-Spezialistin.

Trotzdem sieht sie der APPN-Zukunft mit gemischten Gefuehlen entgegen. Um sich erfolgreich durchsetzen zu koennen, muessten moeglichst schnell viele APPN-Applikationen auf den Markt kommen. Damit sei aber nicht zu rechnen, da sich IBM die Sourcecodes teuer bezahlen lasse, statt implementierbare Spezifikationen zur Public Domain zu machen. Ausserdem sei die Implementierung anderer Protokolle wie TCP oder IPX auf HPR noch in weiter Ferne.