Die ersten Wochen mit einem Pen-Computer

Host mi? Kruzifix halleluja! Du Saupreiss, amerikanischer!

06.10.1995
Von Edgar Koribalski
Zurueck auf die Schulbank und Schreiben gelernt! Ein Pen-Computer hat Edgar Koribalski* zu einem Deja-vu-Erlebnis verholfen. Nicht gerade vergnueglich sind seine Erinnerungen an die ersten Wochen mit dem "Newton Messagepad" von Apple.

"MEMORY FULL" - nach dieser erschreckenden Meldung auf dem Personal Information Manager muss ein neuer PIM her. Denn ein fuenf Jahre altes Geraet noch mit einer Erweiterungskarte zu bestuecken, ist wirklich nichts fuer den Computer-User von heute. Doch zunaechst gilt es, das Angebot und die Moeglichkeiten moderner Geraete zu erkunden.

Der Tandy Z-550 von radioShack
Der Tandy Z-550 von radioShack
Foto: radioShack

Die Werbung fuer alle PIM verspricht viel Speicherplatz und noch mehr Funktionsvielfalt. Nur die vielen, kleinen und mehrfach belegten Knoepfchen der konventionellen Geraete wirken eher abschreckend als anregend. Fuer so manchen Kaeufer kommt von vornherein nur ein "Newton" von Apple in Betracht. Die vielbeworbene Faehigkeit zur Handschriftenerkennung wirkt verlockend.

Erste Schreibversuche mit erschreckendem Ergebnis

Doch vor dem Kauf sollte die Beratung durch den kompetenten Fachhaendler stehen. Ein beilaeufiger Satz macht aufmerksam: Die Handschriftenerkennung lernt langsam - und auch das nur dann richtig, wenn alle falsch erkannten Worte sofort korrigiert werden. Ein Test stuende also an. Zu pruefen waere, ob das Geraet den eigenen Anforderungen hinreichend entspricht. Aber welcher Haendler ueberlaesst einem potentiellen Kunden schon ein System fuer ein paar Uebungstage?

Also hilft nur der Sprung ins kalte Wasser. Ein knapper Tausender und ein Messagepad 120 in Nato-oliv wechseln die Besitzer. Das Connection-Kit zum Anschluss an den PC ist leider, so der Haendler, erst in rund zwei Wochen wieder verfuegbar. So bleibt genuegend Zeit, erst einmal per Hand die Daten auf das PIM-Display zu schreiben und nicht sofort alle PC-Daten elektronisch zu uebertragen.

Die ersten Versuche sind erschreckend. Also kann es vielleicht doch nicht schaden, das Handbuechlein zu lesen. Da steht, der Benutzer solle die Woerter so notieren, als ob er einem Kollegen eine handschriftliche Notiz hinterlassen wuerde, also nicht mit "Medizinerklaue". Diesem Hinweis folgend, ergeben sich tatsaechlich erste ermutigende Resultate: Der Newton erkennt die Woerter "Computer" und "Termin" bald richtig.

Damit der Messagepad allerdings so richtig lernt, ist es laut Handbuch von entscheidender Bedeutung, Fehler sofort zu korrigieren. Denn wenn dies nicht geschieht, interpretiert der Pad die nicht korrigierten Worte als richtig und wird das beim naechsten Mal sehr wahrscheinlich wieder tun. Dies macht zwar nach gewissen paedagogischen Regeln Sinn, ist jedoch aeusserst laestig, wenn eine schnelle Notiz erfolgen soll. In dieser Situation jedes falsch erkannte Wort erst wieder einer Korrektur zu unterziehen, kann ganz schoen laestig sein.

Erkennungsversuche tragen zur allgemeinen Belustigung bei, wenn das Geraet naemlich anstatt "Termin" manchmal "Sei Bin", "Per mir" oder "Herrin" erkennt. Der Newton, der ganze Woerter zu identifizieren sucht, macht aus jedem Strichmuster halt ein oder mehrere Woerter. Beim Wechsel auf Einzelbuchstaben-Erkennung mutiert der "Termin" dann allerdings vielleicht zum "texnin". Na ja.

Des Buchstabenraetsels Loesung steht in den Unterlagen: Die Erkennungssoftware kann nur das erkennen, was die Programmierer fuer wichtig hielten und als Muster abspeicherten.

So ist es leicht verstaendlich, dass der Hund Struppi in dem begrenzten Wortschatz nicht existiert. Dass aber Apple Deutschland mit Sitz in Ismaning bei Muenchen das Wort Biergarten nicht in das Standardlexikon aufgenommen hat, beweist nicht gerade bayerische Anwendernaehe. Aber das Teil ist ja lernfaehig... Host mi? Saupreiss, amerikanischer!

Ausserdem haengt die Brauchbarkeit solch eines knopflosen Geraets entscheidend von der Regelmaessigkeit der persoenlichen Handschrift ab. Bei geuebten Apple-Verkaeufern ist der Trefferquotient meist hervorragend.

Der Selbsttest fuehrt jedoch - auch nach wochenlanger Einarbeitung - oft zu anderen Erfahrungen. Denn um die geschriebenen Buchstaben richtig zu erkennen, bewertet das Geraet nicht etwa nur das endgueltige Aussehen, sondern auch die Linienfuehrung und deren Brueche. So kennt der Newton zum Beispiel sieben verschiedene Schreibweisen fuer ein A, davon vier fuer das grosse und drei fuer das kleine a. Im Laufe der Zeit lernt das Geraet, welche Schreibweisen der Anwender manchmal und welche selten verwendet.

Die gespeicherten Muster sind zwar vielfaeltig, aber leider nicht vollstaendig. Laut Aussage von Apple liegt das unter anderem daran, dass von zehn getesteten Amerikanern sechs eine unterschiedliche Schreibe benutzen, zehn getestete Deutsche aber alle verschieden schreiben. So ist es angebracht, sich an die von Apple gesetzten Vorgaben zu halten, denn ansonsten funktioniert die Erkennung nicht.

In eiligen Faellen macht es auch Sinn, die Schrifterkennung auszuschalten und einfach nur mit "elektronischer Tinte" auf das Display zu schreiben. Dann erkennt der Newton die Schrift zwar nicht, aber wenigstens kann der Anwender schnell etwas notieren.

Sehr eingeschraenkte Alltagshilfen

Freischwebend ohne Ballenauflage zu schreiben ist allerdings sowohl fuer den Messagepad als auch den Benutzer schlicht ein Greuel. Bei Bedarf kann man den Rechner zwar spaeter mit der Erkennung betrauen, aber da sie nur bei deutlicher Schreibweise funktioniert, ist das Ergebnis vorhersehbar.

Des Nutzers Freude steht und faellt mit seiner Umsetzung des ABC. Dennoch soll der Newton ja nicht nur als Notizblock dienen, sondern auch als Adressdatei, Kalender und Aufgabenliste taegliche Hilfe sein.

Thema Kartei: Will der Nutzer nur die Telefonnummern seiner Freunde und einzelner Geschaeftspartner speichern, ist die Standardmaske durchaus ausreichend. Bei einer Firma mit mehreren Ansprechpartnern und Durchwahlen ist das System aber bereits ueberfordert. Zwar lassen sich weitere Kommentare in einem Notizfeld speichern, das an die Kartei gekoppelt ist, die Uebersicht geht dabei aber schnell verloren.

Auch die Aufgabenliste laesst zu wuenschen uebrig. Stellt man sich darunter einen ausgefuchsten Zeitplaner in DV-Variante vor, so wird sich bald wieder der Griff zum Papier aufdraengen. Eine Anzeige, wieviel Zeit man pro Tag oder Woche schon verplant hat, gibt es nicht.

Einzig der Kalender wirkt praxisnah. Mit Ansicht von Tag, mehreren Tagen, Woche, Monat und Jahr ist durch schnelles Navigieren Uebersicht erreicht. Auch das Eintragen von Terminen mit Ort und Zeit macht keine sonderliche Muehe.

Bei Bedarf hilft die Funktion des Assistenten. Es reicht zum Beispiel, auf den Notitzblock "Inge Mittagessen" zu schreiben, und den Assistenten per Stift zu aktivieren. Nach kurzer Denkpause schlaegt der Newton vor, einen Termin am gleichen Tag um 12.00 mit Inge E. zum Mittagessen einzutragen. Sollte noch eine zweite Inge in der Adressdatei enthalten sein, darf man sich aussuchen, mit welcher Dame man speisen will. Ein Druck auf den Eintragen-Button reicht, und der gewuenschte Termin ist festgehalten. Auch eine Alarmfunktion mit einstellbarer Vorlaufzeit steht zur Verfuegung.

Das waren dann aber auch schon die meisten Funktionen fuer das taegliche Leben in der Grundausstattung des Geraets. Zwar bieten Apple und andere Firmen Zusatz-PCMCIA-Karten und auch Software an, indes wirkt der Aerger mit der Schrifterkennung hemmend auf die Lust zu weiteren Kaeufen.

Das Grundmodell des Newton bietet auch noch die Moeglichkeit zu "beamen": Ein eingebauter Infrarotsender kann Daten an ausgewaehlte Newton-Anwender schicken. Doch dieses Feature bleibt ungenutzt; dafuer muesste es erst einmal unter den Kollegen weitere Newton-User geben.

Das Connection-Kit ist unabdingbar

Ein spezielles Zubehoer ist fuer jeden Messagepad-Anwender ein Muss. Das Connection-Kit - wahlweise fuer Mac oder Windows - erlaubt den Datenaustausch mit dem Desktop-Computer. Dennoch scheint es, als ob PCs jenseits von Apple dieses Unternehmen nach wie vor wenig interessieren. Denn auf Betriebssystemen wie Windows 95 laeuft die Software nur bei bestimmten Konfigurationen, im Fall von NT ueberhaupt nicht.

Auch ein Anruf bei der Hotline brachte nicht gerade Ermutigendes ans Tageslicht. Der PC hatte gemeldet, dass eine bestimmte Datei nicht vorhanden sei. "Das laeuft auf Windows einwandfrei" lautete die knappe Aussage aus dem Hotline-Team, das die Datei im uebringen schon deshalb nicht fand, weil ihm zumindest zur Recherchezeit nach eigener Aussage kein PC zur Verfuegung stand. So hat der Verbindungs-PC jetzt gleich zwei Windows-Installationen, eine fuer das Newton-Connection-Kit und eine zweite zum Arbeiten mit allen anderen Programmen.

Bleibt die Frage nach dem Sinn: fuer den Show-Effekt - ist wohl die in den meisten Faellen einzig richtige Antwort. Denn viele Mitmenschen - auch aus dem Computerfach - schauen doch recht interessiert auf den Notizbuch-Kalender-Adressdatei-Ersatz. Auch moechten die meisten Zeitgenossen dieses kleine Wunderwerk auf der Stelle selber ausprobieren. Sollen sie doch - und voller Ehrfurcht den Besitzer betrachten. So hat der Newton wenigstens eine Personal-Relations-Funktion.

Etwas Hoffnung erweckt jedoch der tiefere Blick, denn der echte Computerfreak begutachtet selbstverstaendlich auch die inneren Werte des PIM. Dabei faellt auf, dass das jetzige 4-MB-ROM mit Betriebssystem und Schrifterkennung nicht etwa verloetet, sondern gesockelt ist. Das laesst hoffen - vielleicht gibt's bald den Chip zum Wechseln.