Steigende Chip-Preise kommen ungelegen:

Home-Computer-Branche in Krisenstimmung

05.08.1983

Im Bereich der Home-Computer hat sich ein neuer Trend auf der im Juni dieses Jahres in den Vereinigten Staaten veranstalteten Messe für Verbraucherelektronik herauskristallisiert. Diese Auffassung vertritt Merrill Lynch in einer Analyse der Entwicklungen in dieser Branche.

Während sich nach Ansicht von Marktbeobachtern bis zu diesem Zeitpunkt bei den Unternehmen der Branche alles um Preissenkungen bei den Geräten selbst gedreht hatte, mit der Hoffnung, daß der Absatz an peripheren Geräten und Software die rückläufige Tendenz bei den Gewinnen wieder auffangen würde, hat sich nun ein scharfer Preiskampf gerade in diesen Bereichen entwickelt, heißt es. Obgleich der Verbraucher dies wahrscheinlich nicht vor Anfang 1984 spüren wird, ist der Konkurrenzdruck nach Ansicht von Merrill Lynch äußerst stark geworden.

Unternehmen mit zu geringer Kapitaldecke oder einer unklaren Vertriebspolitik dürften kaum die Rentabilitätsschwelle überschreiten. Dabei wird wohl auch eine Rolle spielen, daß sich nach Einschätzung des Brokers die Auslieferung von Home-Computern 1983 und auch 1984 auf etwa 6,5 Millionen Einheiten einpendeln dürfte. Beim Absatz von Tele-Computern am amerikanischen Markt wird mit einem Rückgang um 25 Prozent gerechnet. Die Preissenkungen sind es, wie Analytiker meinen, jedoch nicht allein, die die Gewinnchancen bei Home- und Tele-Computern ungünstig beeinflussen werden. Erste Anzeichen sprächen nun dafür, daß sich der Wirtschaftsaufschwung in den Vereinigten Staaten auch bei den Halbleiterherstellern bemerkbar mache. Seit der weltweiten Einführung von Home- und Tele-Computern könnten nun die Preise für 64-K-RAMs und andere Chips zum Teil um bis zu 25 Prozent steigen. Offensichtlich wurden die Hersteller von Home- und Video-Computern von dieser unwillkommenen Entwicklung überrascht.

Merrill Lynch vermutet außerdem daß die Zahl der im Gebrauch befindlichen Geräte, besonders bei Video-Computern, langsam deutlich zurückgehen wird. Die Anzahl der tatsächlich installierten Home- und Tele-Computer dürfte damit weit geringer sein,

als ursprünglich nach den Absatzwerten der vergangenen Jahre vermutet wurde. Obgleich die Größenordnung dieser Entwicklung noch unklar ist, sollte sie doch bei den Gewinnaussichten für diesen Industriezweig unbedingt berücksichtigt werden. Atari, Activision und Imagic scheinen die auf sie zukommenden Probleme bereits erkannt zu haben und ihnen mit einer Änderung ihrer Softwarestrategie begegnen zu wollen. Alle drei Unternehmen haben angekündigt, die Kompatibilität ihrer Programmkassetten auf eine Vielzahl anderer Geräte auszudehnen. Andererseits dürfte nach Meinung von Merrill Lynch weder von den Unternehmen selbst noch vom Markt die Möglichkeit eines beträchtlichen Preisverfalls bei Kassetten und Software erkannt worden sein. Eine derartige Entwicklung dürfte sich angesichts der aggressiven Preispolitik von Commodore Anfang 1984 bemerkbar machen und auf einen Markt treffen, der zusätzlich durch eine abnehmende Zahl an tatsächlich eingesetzten Geräten beeinträchtigt wird.

Was die Aussichten der einzelnen Unternehmen angesichts dieser Probleme angeht, so nimmt Merrill Lynch bei Coleco, Mattel, Milton Bradley und Warner Communications hinsichtlich eines Engagements in den Titeln dieser Gesellschaften zumindest unter mittelfristigen Anlagegesichtspunkten eine neutrale Haltung ein. Bei Coleco gilt dies allerdings nicht für langfristige Engagements, da der Broker der Auffassung ist, daß das gute Abschneiden von "Coleco Vision" sowie die Einführung des neuen Home-Computers " Adam" trotz der starken Konkurrenz zu einer Erhaltung des Marktanteils, wenn nicht sogar einer Ausweitung beitragen wird. Langfristig wird daher zum Kauf der Aktie geraten.

Bei Mattel kam es bei Computern und Computerspielen zu beträchtlichen Verlusten. In absehbarer Zeit wird sich nach Meinung von Merrill Lynch dieser Trend wohl kaum ändern. Möglicherweise muß das Unternehmen sogar seine gesamte Strategie im Bereich der Verbraucherelektronik überdenken. Die Gewinnaussichten von Milton Bradley werden in hohem Maß von der Entscheidung über die Zukunft von "Vectrex" abhängen, die im Lauf des Jahres ansteht. Da der Titel derzeit unter dem Buchwert notiert, dürfte unter langfristigen Gesichtspunkten ein Engagement dennoch lohnen, heißt es. Der Verlust im zweiten Quartal 1983 wird bei Warner Communications wohl noch den des erten Vierteljahres übertreffen. Während die Geschäftsleitung mit einer Trendwende bei der Gewinnentwicklung in der zweiten Jahreshälfte rechnet, räumt der Broker dieser Prognose nur geringe Chancen ein.