Selbst Philips produziert seine Computer nicht im eigenem Land

Holländischer DV-Markt fest in ausländischer Hand

15.10.1982

In den Niederlanden werden so gut wie keine Computer produziert. Selbst Philips, einer der wesentlichen Arbeitgeber in dem kleinen Land, stellt seine Mini- und Mikrocomputer zum größten Teil nicht in heimatlichen Gefilden her. Also tummeln sich viele ausländische Hersteller auf dem niederländischen Markt, um sich ihr Stück vom DV-Kuchen abzuschneiden.

Rund zehn Milliarden Gulden sollen im Jahr 1982 in den Niederlanden für die administrative und technisch-wissenschaftliche Automatisierung ausgegeben werden. Da objektive Zahlen fehlen, sind solche Voraussagen nur schwer zu untermauern. Zu oft wird bei dieser Art von Schätzungen beispielsweise der Wert ein und desselben Computers mehrere Male genannt: zunächst als vom "OEM Importeur" und danach noch einmal als vom OEM-Lieferanten verkauft. Vieles spricht jedoch dafür, daß die geschätzte Summe von zehn Milliarden Gulden dennoch realistisch ist. Das CBS (Central Bureau voor de Statistiek = Zentralanstalt für Statistik), eine öffentliche Einrichtung, die regelmäßig die verschiedensten Sachgebiete statistisch erfaßt, hat für die Privatwirtschaft im Jahre 1981 einen Automatisierungsmarkt von 5,7 Milliarden Gulden vorausgesagt. Diese Erwartung wiederum basiert auf einer im Jahre 1979 durchgeführten Untersuchung und betrifft lediglich Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern und bezieht sich auf Systeme von mehr als zwanzigtausend Gulden. Werden zu diesen 5,7 Milliarden Gulden, die sich nach Schätzungen von Branchenkennern auf mehrere Milliarden belaufen, öffentliche Ausgaben in diesem Bereich hinzugerechnet und eine gleichbleibende Wachstumsrate von zehn Prozent zugrunde gelegt, so erhält man 1982 den genannten Gesamtbetrag von zehn Milliarden Gulden.

Teilbereiche automatisiert

Von den etwa 56 000 privatwirtschaftlichen Betrieben haben in der Vergangenheit rund 15 000 viele Teilbereiche ihres Unternehmens automatisiert. 5500 Unternehmen besitzen einen Computer, der in der Anschaffung zwischen 20 000 und 150 000 Gulden, gekostet hat, bei weiteren 2000 Firmen gab man zwischen 150 000 und einer Million Gulden aus. Rund 300 Computer sollten für mehr als eine Million Gulden verkauft worden sein.

Der in den Niederlanden nach der öffentlichen Hand bei weitem größte Computerbenutzer ist das Bank- und Versicherungswesen. Auf diesem Sektor werden nach Schätzungen rund 1,8 Milliarden Gulden für die Automatisierung ausgegeben. Die Metallindustrie macht in diesem Jahre voraussichtlich Anschaffungen in Höhe von etwa 700 Millionen Gulden, und im Großhandelsbereich werden es rund 640 Millionen Gulden sein. Der größte Zuwachs in der EDV wird von dem CBS unter anderem in der erdölverarbeitenden Industrie, in der chemischen, in der gummiverarbeitenden und in der kunststoffverarbeitenden Industrie mit einer Rate von jährlich 15 Prozent erwartet. Das würde 1982 einer Gesamtausgabenhöhe von 240 Millionen Gulden entsprechen.

Es gibt in den Niederlanden kaum eigene Hardware-Industrie, die den Bedarf an Datenverarbeitungsmaschinen decken könnte. Philips ist zwar international als ein niederländisches Unternehmen bekannt und nach der öffentlichen Hand mit rund 35 000 Mitarbeitern auch der größte Arbeitgeber, die angebotenen Mini- und Mikrocomputer werden jedoch größtenteils andernorts hergestellt. Die Philips-Arbeiter sind im Land selbst meist mit anderen Einzelteilen für den riesigen Markt beschäftigt, der mit Philips-Produkten abgedeckt wird. Eine besondere Rolle spielen hierbei die Telefone und Haushaltsgeräte. Auf dem niederländischen Datenverarbeitungssektor wird Philips - abgesehen einmal von der IC-Fabrik in Nijmegen und den Aktivitäten einiger Tochterbetriebe - immer mehr zu einer Marketing-Organisation mit vereinzelten Software-Entwicklungsprojekten.

Der inländische Gerätebedarf wird beinahe vollständig von ausländischen Herstellern abgedeckt. Deshalb haben viele Computerlieferanten eine eigene Niederlassung in dein kleinen Land etabliert, beziehungsweise Verträge mit niederländischen Importeuren.

IBM auch in den Niederlanden vorne

Die genaue Verteilung auf dem Markt ist nicht bekannt. Zweifellos nimmt IBM mit einem Marktanteil, der irgendwo zwischen 60 und 70 Prozent liegt, den bedeutendsten Platz ein. An zweiter Stelle steht wahrscheinlich die Digital Equipment Corp., und die dritte Stelle wird wohl von Burroughs gehalten. Die Fortsetzung dieser Aufzählung in genauer Reihenfolge ist nicht so ganz einfach. Von ICC, Sperry Univac, NCR, Control Data, Siemens, Philips, Data General, Datapoint und so weiter sind die exakten Marktanteile meist nicht eindeutig feststellbar, beziehungsweise auf dem neuesten Stand. Jedes dieser Unternehmen kann aber seine Stellung behaupten und fast immer gelingt es, eine gesunde Wachstumsrate zu erzielen.

Dank einiger ausländischer Firmen sind die Niederlande sogar zu einem in Europa wichtigen Niederlassungsort geworden. Die Hauptvertretung von MAI Europe befindet sich beispielsweise in Amstelveen, und das Werk unterhält ein Montagewerk in Enschede, das den europäischen Markt mit Basic-Four-Systemen versorgt. Digital hat ihr europäisches Servicezentrum in Nijmegen und sogar Honeywell Bull International hat sich in Amsterdam niedergelassen aber wohl eher aus steuerlichen Gründen.

Holborn produziert inländische Computer

Als eine Ausnahme von der Regel, daß die Niederlande über keine eigene Hardware-Industrie verfügt, muß die Firma Holborn Computers in Enschede angesehen werden. Holborn stellt verschiedene größere und kleinere Business-Computer aus eigener Planung her, worunter auch Systeme für den Multi-User-Gebrauch mit breiten Datenkommunikationsmöglichkeiten sind. Die letzte Entwicklung bei Holborn ist die Ankündigung des 6100-Small-Business-Systems mit einem internen Datenspeicher von minimal 72 Byte und zwei Floppy-Disc-Stationen mit einer Kapazität von 2,25 Megabyte. In dieser Ausführung kostet das unter der Bezeichnung CP/M und MP/M laufende System inklusive Drucker und ergonomischer Bildschirmstation weniger als 16 000 Gulden. Der interne Datenspeicher ist auf 220 KB und der externe Datenspeiche auf 10 MB erweiterbar.

Datenspeicher sollen Philips helfen

Nach der Schließung des Philips Data Systems-Werks für Plattenspeicher in Den Haag und nach der Reorganisation bei PDS in Apeldoorn werden in den Niederlanden nahezu keine Datenspeicher mehr hergestellt. Voraussichtlich wird dieser Zustand jedoch nicht allzu lange bestehen bleiben. In der zweiten Hälfte des Jahres 1983 werden bei Holland Signaal (Hengelo) - einer 100prozentigen Philips-Tochter - die ersten Megadoc-Systeme fertiggestellt werden. Die ersten Systeme sind in den Niederlanden für die öffentliche Hand bestimmt, die der Philips-Entwicklung mit diesem Schritt zu internationalem Erfolg verhelfen will. Megadoc ist eine Art Jukebox mit 64 sogenannten DOR-Platten. Mit Hilfe weiterentwickelter Lasertechnik kann auf diesen Platten digital-optische Information abgespeichert werden. Gesteuert durch ein Philips Mini P 857 können die 64 Platten des Megadoc-Systems eine ungeheure Menge an Informationen aufnehmen. Das Megadoc-System hat eine Speicherkapazität von 640 Gigabits.

Wie unlängst bekannt wurde, beschäftigt sich in den Niederlanden noch ein zweites Unternehmen mit der digital-optischen Datenaufnahmetechnik. Das im limburgischen Venlo ansässige Unternehmen Doc-Data, ein gemeinschaftliches Unternehmen verschiedener Firmen und finanzieller Einrichtungen, bedient sich dieser Technik zur Beschriftung optisch empfindlichen Bandmaterials. Von 1985 an wird der Betrieb ein sogenanntes Docwheel liefern können, das 50 optische Kassetten von der Größe einer Audiokassette aufnehmen kann. Diese Kassetten (DOCs) vermögen eine große Menge an Informationen aufzunehmen, sind lösch- und neu beschreibbar und praktisch unempfindlich gegen Staub, Feuchtigkeit und Wärme. Das Docwheel vermag etwa 250 Millionen Seiten von Format A4 abzuspeichern (fünf Millionen Megabytes), Das Auffinden einer einzelnen Seite aus diesem gigantischen Papierstapel nimmt nach. Angaben des Unternehmens nicht mehr als 15 Sekunden in Anspruch.

Trotz dieses Leistungsvermögens nimmt das Docwheel einen Raum von nicht mehr als 0,3 Kubikmeter in Anspruch. Bei Doc-Data ist man der Ansicht, daß sich das Docwheel zu Megadoc verhalte wie der Plattenspeicher zum traditionellen Magnetband. Als bedeutsamsten Vorteil neben der relativen Schnelligkeit nennt Direktor Beaujean: "Daß man das Docwheel hinten auf einen Landrover montieren und mit ihm durchs Gelände kurven kann, während die Information vollständig zugänglich bleibt." Die Miete für das Docwheel wird monatlich vermutlich - abhängig von der Anzahl paralleler Ausgänge - 2500 bis 10 000 Gulden betragen.

Die niederländische Obrigkeit legt großen Wert auf Innovation. Doc-Data beispielsweise hat mit Hilfe eines offiziellen Entwicklungskredits seine Arbeit aufgenommen. Wirtschaftsminister Terlouw warnte kürzlich die niederländischen Unternehmen anläßlich der Eröffnung eines modernen Servicezentrums von Burroughs in Rijsenhout davor, sich an Märkte heranzuwagen, die bereits fest in Händen ausländischer multinationaler Unternehmen sind. Er setzt größere Hoffnungen auf die die Herstellung von Produkten, die spezielle Funktionen erfüllen. Vielversprechender scheint ihm die Anwendung der Mikroelektronik in bereits bestehenden niederländischen Produkten zu sein sowie die Entwicklung neuer, exportierbare Produkte auf Basis der Mikroelektronik.

Um die Anwendung der Mikroelektronik zu forcieren, sind an verschiedenen Universitäten im Lande sogenannte Transferstellen eingerichtet worden, die entsprechende Aufklärungs- und Informationsarbeit leisten. Tatkräftige Hilfe bei der Entwicklung von Produkten leisten die sogenannten Mikroelektronikzentren, die mit den technischen Hochschulen in Delft, Enschede und Eindhoven verbunden sind. Die Beauftragung mit Entwürfen von Dedicated Chips (Special Function ICs) stellt dort nur eine der Möglichkeiten dar. Unter anderem wird Philips unterstützt, die in Nijmegen eine Fabrik betreibt, in der Chips hergestellt werden. Es ist erstaunlich, aber in den Niederlanden sind benahe alle Maschinen, die man zur Herstellung von Chips benötigt, erhältlich. Die Ionenimplantationsmaschinen sogar bis 600 KV des Amersfoorter Unternehmens High Voltage Engeneering beispielsweise sind selbst in Moskau zu finden.

Unternehmen, die zwar technisch hochwertige Produkte herstellen, aber nicht über die finanziellen Mittel verfügen, sie auch erfolgreich zu vermerkten, können auf die Unterstützung durch den niederländischen Staat rechnen. Sogar zinstragendes Kapital steht zur Verfügung. Dafür wunde im vergangenen Jahr die MIP (Maatschappij Industriele Produkten = Gesellschaft für Industrieprodukte) gegründet, die über ein Anfangskapital von 330 Millionen Gulden verfügt. Auch nichtniederländische Unternehmen können zusammen mit MIP ein gemeinschaftliches Unternehmen ins Leben rufen, um in den Niederlanden mit der Herstellung von Produkten zu beginnen. Im allgemeinen strebt MIP lediglich eine Minderheitsbeteiligung an.

Aufbau von neuen Kabelnetzen

Außerdem erhofft sich der niederländische Staat Chancen bei neuen Dienstleistungen. Das ziemlich dichte Kabel-TV-Netz, 65 Prozent aller Haushalte sind bereits verkabelt, und der in den Niederlanden starke Verlagssektor würden sich als Ausgangspunkt besonders gut eignen. Um Erfahrungen mit Dienstleistungen auf Basis von Zweiwegsystemen zu sammeln, werden verschiedene Experimente in Angriff genommen, Das ehrgeizigste Projekt läuft derzeit in Limburg. Der Staat hat dort einen Teil der Kosten für den Aufbau eines neuen Kabelnetzes übernommen, das für den Zweiwegverkehr geeignet und das letztlich für 100 000 Anschlüsse ausgelegt ist. Interessierte Unternehmen können sich dort mit Versuchen auf diesem Gebiet engagieren.

In den Niederlanden wird heftig über die Frage diskutiert, ob die Verwaltung infrastruktureller Einrichtungen wie etwa des Telex-, des Telefonnetzes und des X25-Pocket-Switching-Datenkommunikationsnetzes (DNL) auch weiterhin ein Monopol der PTT (Posterij, telefonie, telegrafie), also des niederländischen Post- und Fernmeldewesens bleiben soll. Moderne Peripheriegeräte eines jeden Herstellers können prinzipiell an das niederländische Telekommunikationsnetz angeschlossen werden, wobei berücksichtigt werden muß, daß diese Geräte einer recht strengen Prüfung durch die PTT unterzogen werden.

In den Niederlanden sind etwa 10 000 bis 12 000 Stellen in der Software- und Serviceindustrie noch unbesetzt beziehungsweise werden neu geschaffen. Einen echten Mangel an Programmierern kennt man in den Niederlanden nicht, wie die Comge (Vereniging van computergebruikers = Vereinigung der Computerbenutzer) unlängst festgestellt hat. Comge zufolge stellt es jedoch ein Problem dar, Kräfte mit ausreichender Erfahrung zu finden. So investieren die niederländischen Computerbenutzer viel Geld in die Weiterbildung ihres unzulänglich qualifizierten Personals.

Die Bundesrepublik ist der wichtigste Handelspartner der Niederlande. Deutsche Computerhersteller wie Siemens, Kienzle und Nixdorf (das zuletzt genannte Unternehmen ist in den Niederlanden besonders erfolgreich) haben diese Beziehungen auch auf dem Sektor der Datenverarbeitung fortgesetzt. Der niederländische Markt, der sich Schätzungen zufolge spätestens bis 1987 verdoppeln und dann 20 Milliarden Gulden umfassen wird, ist damit für ein unternehmerisches Engagement interessant genug. Zweifellos wird man seitens der Niederlande das gleiche auch vom deutschen Markt erwarten.

Informationen: Holborn Computers BV, Steenriet 16, 7512 PD Enschede, Telefon:

00 31 53/33 43 35. Doc-Data BV, Postbus 1021, 5900 BA Venlo, Tel. 00 31 77/4 41 00.

Niederländisch-Deutsche Handelskammer, Nasauplein 30, Den Haag, Tel. 00 31 70/65 19 55. Informationen über MIP und Beihilferegelungen: Bureau Innovatie und Ministerie van economische zaken, Postbus 20 103, 2500 EC Den Haag, Tel. 00 31 70/7 96 20. Comge, Postbus 432,1400 AK Bussum, Tel. 00 31 21 59/1 80 41.

Rudolf Plaizier ist Redakteur bei der DV-Fachzeitung "DE Automatisering Gids", Rijswijk.