Anpassungen und Erweiterungen erfordern ständig steigenden Aufwand

Hohe Wartungskosten kommen nicht von ungefähr

27.07.1990

Bis zu 70 Prozent der Softwarebudgets werden für die Wartung vorhandener Programme ausgeben; das geht aus Untersuchungen in den USA, in Großbritannien und in Deutschland hervor. Da die Software-Ausgaben doppelt so hoch liegen wie die für Hardware, verschlingt die Softwarewartung den größten Teil der betrieblichen DV-Kosten. Harry Sneed* erläutert, warum.

Der Erstentwicklungsaufwand wird in den meisten Betrieben von der Analyse bis zur Abnahme genau erfaßt. Es wird zwar nicht immer exakt zwischen Phasen beziehungsweise Tätigkeiten unterschieden, aber sowohl die Personalkosten als auch die Rechner- und Reisekosten werden gegen das Projekt gebucht. Der Gegenwert ist das abgelieferte Produkt beziehungsweise das Softwaresystem samt Programmen, Datenbeständen und Dokumentation.

Projektleiter werden danach beurteilt, inwieweit sie die veranschlagten Termine und Kosten einhalten, aber nur selten nach Qualität und Quantität ihres Produktes. Zeit und Kosten sind also die bestimmenden Faktoren bei den üblichen Anwendungsprojekten. Qualität und Quantität hingegen sind die variablen Größen. Gemäß dem sogenannten Teufelsquadrat aus meinem Modell der Software-Wirtschaftlichkeit dürfen nur zwei dieser vier Variablen vorgegeben werden dürfen; die beiden anderen sind abhängig (siehe Abbildung).

Systematische Schätzmethoden wie das Cocomo-Verfahren oder das Function-Point-Verfahren gehen von einer definierten Quantität und Qualität des Produkts aus, um den Aufwand und die Laufzeit des Projektes zu ermitteln. Leider werden die wenigsten Projekte in der DV-Praxis in dieser Weise geplant - und falls doch, so ändern sich oft Qualität oder Quantität während des Projektes.

Schlampereien werden verborgen

Termine und Kosten bleiben meist konstant; daher muß der Projektleiter zusehen, wie er die Variablen Quantität und Qualität diesen konstanten Gegebenheiten am besten anpaßt. Die gängige Taktik ist, die Qualität zu reduzieren, denn das fällt am wenigsten auf. Reicht dies nicht aus, so geht es an die Quantität, es werden also Funktionen und Daten gestrichen. Hauptsache, der Termin läßt sich einhalten, und die Kosten überschreiten die Vorgaben nicht!

Der dafür erforderliche Aufwand wird einfach auf die Zeit nach der Abnahme, das heißt in die Wartung, verschoben. Dort decken beziehungsweise verstecken ihn die Gemeinkosten des laufenden Betriebes. Dort fallen einzelne Kosten kaum auf und lassen sich leichter hin- und herschieben.

Erstaunlicherweise machen die Anwender das oftmals mit. Denn auch sie werden danach beurteilt, ob das System, an dessen Entstehung sie immerhin beteiligt sind, rechtzeitig und kostengerecht zum Einsatz kommt. Deshalb sind sie bereit, mit Mängeln zu leben und zugunsten des Termins auf Forderungen zu verzichten. Dafür wird ihnen versichert, daß die Mängel - sobald möglich - beseitigt und die fehlenden Funktionen später eingebaut werden.

Auf diese Weise spielt sich ein an sich ungeheurer Betrug gegen die Firmenleitung ab - mit dem Ziel, die Versäumnisse und Schlampereien der Projekte aus dem Tageslicht des Projekt-Managements zu holen und in der Dunkelheit der Wartung zu verstecken. Ein ehemaliger DV-Leiter bei einer der größten deutschen Banken bezeichnete dieses Spiel als "Up and out": Man steigt in die Firmenhierarchie ein, treibt ein nach außen hin erfolgreiches Projekt termin- und kostengerecht durch, läßt sich von der Unternehmensleitung krönen und nimmt einen höheren Posten woanders ein, ehe die Mängel der Projektergebnisse bekannt werden.

In der Softwarebranche kann das immerhin einige Zeit dauern. Nach dem angeblichen Abschluß des Projektes sind nämlich alle Beteiligten erst einmal erschöpft und feiern den Scheinerfolg. Die Fehler und Mängel der Software stellen sich erst allmählich heraus. Nach einigen Monaten im Betrieb ist es möglich, ein komplexes Softwaresystem zu beurteilen, und bis dahin weilt der ehemalige Projektleiter schon längst in anderen Gefilden. Nicht zuletzt aufgrund dieses Spieles haben wir ein Wartungsproblem.

Budget in zehn Jahren verdreifacht

Die Kosten der Software-Entwicklung und Wartung steigen ständig. Im Jahre 1985 betrug das Softwarebudget des US-Verteidigungsministeriums 11 Milliarden Dollar. Zur gleichen Zeit beliefen sich die Softwarekosten in den USA 70 Milliarden und weltweit 150 Milliarden Dollar. Bei einer Wachstumsrate von zwölf Prozent jährlich wird das Softwarebudget des US-Verteidigungsministeriums 1995 höher als 36 Milliarden Dollar liegen. Dann werden in den USA insgesamt 225 Milliarden Dollar und weltweit über 450 Milliarden Dollar im Jahr für Software ausgegeben.

In Anbetracht solcher Zahlen schlägt jede Produktivitätsverbesserung, auch wenn sie nur wenige Prozent beträgt, stark zu Buche. Von den 70 Milliarden Dollar, die 1985 in den USA für Software ausgegeben wurden, sind laut James Martin über 50 Prozent oder 40 Milliarden Dollar in die Wartung der Software geflossen. Nach Barry Boehm lauten die entsprechenden Zahlen für das US-Verteidigungsministerium 60 Prozent beziehungsweise 7 Milliarden Dollar.

Alle Untersuchungen in der Praxis weisen aus, daß sich der Wartungsanteil an den gesamten Softwarekosten zwischen 50 und 60 Prozent bewegt - mit steigender Tendenz. Wenn das so weitergeht, wird er 1995 zwei Drittel der Softwarekosten ausmachen, das sind weltweit ungefähr 300 Milliarden Dollar.

Softwarewartung ist zweifelsohne von großer wirtschaftlicher Bedeutung, und zwar nicht nur wegen des großen Aufwands, der dafür betrieben wird, sondern auch wegen des Wertes der betriebswirtschaftlichen, technischen und sonstigen Funktionen, die dadurch beeinflußt werden. Ganze Industriezweige hängen vom einwandfreien Funktionieren ihrer Softwaresysteme ab. Banken, Versicherungen und auch andere Dienstleistungsunternehmen sind in erster Linie informationsverarbeitende Betriebe, deren Substanz im wesentlichen ihre Software ist.

Industriefertigung und Materialdisposition, die Schlüsselfunktionen jeder Wirtschaft, werden von Softwaresystemen gesteuert. Das heißt: Das Funktionieren der Wirtschaft im allgemeinen ist in immer stärkerem Maße vom kontinuierlichen Funktionieren der Software abhängig.

Den hohen Kosten der Softwarewartung entspricht der hohe Stellenwert der im Betrieb

befindlichen Software. Die Programme stellen einen riesigen Vermögenswert dar, dessen Höhe nicht in den Kosten der Entwicklung und Wartung, sondern im Nutzen für das Unternehmen zu beziffern ist. So gesehen ist der Preis für die Softwarewartung meist gering im Verhältnis zu dem Nutzen der Software selbst.

Probleme lassen sich provisorisch lösen

Hinzu kommt die Variabilität der Software. Probleme werden gerade deshalb softwaretechnisch gelöst, weil Software sich angeblich leicht ändern läßt; ansonsten wären die Lösungen gleich fest mit Hardware verdrahtet. Dieser Vorteil erlaubt es, Probleme provisorisch zu lösen; andererseits beschert er uns das Wartungsdilemma.

Wie der US-Wirtschaftsberater Mel Colter behauptet, bilden die Softwaresysteme inzwischen den größten Vermögenswert der amerikanischen Unternehmen und sind sogar wertvoller als ihr Maschinenpark. In einer einzigen Bank wird der Wert der eingesetzten Software auf mehr als 80 Millionen Dollar geschätzt. Für die Erhaltung und Vermehrung eines solchen Besitzes zehn Prozent des Vermögenswertes jährlich auszugeben, ist wahrlich nicht viel.

Nach Colter handelt es sich bei der Softwarewartung um "Capital Asset Management" oder Vermögensverwaltung. Deren Kosten müssen seiner Ansicht nach im Verhältnis zu dem Vermögenswert stehen. In Anbetracht des ständig steigenden Softwarebestands dürfe es niemanden wundern, daß die Kosten der Softwarewartung ebenfalls wachsen.

Wichtig sei nur, daß die Wartungskosten im Verhältnis zu dem Vermögenswert des Softwaresystems stehen. Laut Colter darf dieses Verhältnis zirka eins zu zehn sein. Für ein Softwaresystem, dessen Nutzen auf zehn Millionen Dollar geschätzt wird, blieben also eine Million Dollar jährlich für die Wartung durchaus im Rahmen eines wirtschaftlich vertretbaren Aufwands.

Leider beschränken sich die Untersuchungen der Wartungswirtschaftlichkeit im wesentlichen auf die Kosten der Wartung. Bis auf Boehm hat sich kaum jemand mit dem Nutzen der Wartung beschäftigt. Es ist daher dringend erforderlich, zu einer Kosten-Nutzen-Analyse zu kommen. Denn nur unter Einbeziehung der Softwaresysteme als Vermögenswerte samt deren Nutzen für das Unternehmen lassen sich die hohen Kosten der Softwarewartung und Wiederaufbereitung rechtfertigen.