Hohe qualitative Anforderungen zu niedrigem Preis Bei Bosch tun sich die Anbieter von Lernprogrammen schwer

24.11.1995

KARLSRUHE (hk) - Bosch hat keine Selbstlernzentren errichtet, organisiert keinen CBT-Verleih (CBT= Computer Based Training) und erwirbt auch keine Firmenlizenzen fuer Lernprogramme. Trotzdem behauptet Weiterbildungs-Manager Rainer Pudlo, dass sein Unternehmen einen kostenguenstigen und fuer die Mitarbeiter motivierenden Weg gefunden hat, um sie an computerunterstuetzte Programme heranzufuehren.

Als sich die Stuttgarter Robert Bosch GmbH letztes Jahr daran machte, im Rahmen ihrer Personalentwicklung Lernprogramme einzufuehren, wusste sie, was sie nicht wollte, und hatte dafuer auch plausible Argumente. Gegen Lernzentren - obwohl sie bei einigen Grossfirmen gut laufen sollen - sprachen die zu hohen Kosten, die aufwendige Infrastruktur und die Betreuung, die zur Verfuegung gestellt werden musste, aber auch die schlechten Moeglichkeiten, in der Freizeit zu lernen. Mit dem CBT-Verleih konnte man sich vor allem wegen des damit verbundenen grossen Aufwands nicht anfreunden - Bevorratung, Kopierdienst, Virenpruefung, Versand haette man in den Griff bekommen muessen.

Zunaechst einmal liess Pudlo im Rahmen einer Diplomarbeit eine Analyse des CBT-Marktes erstellen. Aufgrund dieser Untersuchung fand dann die Auswahl von Partnerfirmen statt. "Dies war ein spannender Prozess", erzaehlt der Stuttgarter Weiterbildungsexperte. Es gab Firmen, die "aufstanden und gingen", als sie erfuhren, dass Bosch keine Firmenlizenzen kaufen wolle und die Anbieter obendrein noch das wirtschaftliche Risiko tragen sollten. Schliesslich entschlossen sich drei CBT-Hersteller zum Mitmachen.

Beim Bosch-Modell wird der Bildungsbedarf der Schulungsabteilung mitgeteilt. Anhand der Mitarbeiterwuensche treffen die internen Bildungsexperten die CBT- und die Partnerauswahl.

"Das Lernprogramm darf nicht mehr als ein gutes Fachbuch, also weniger als 100 Mark, kosten", betont Pudlo.

Der Bosch-Beschaeftigte bestellt das CBT bei der Weiterbildungsabteilung mit einem Faxformular. Dabei haben sich drei Formen herauskristallisiert.

1. Der Mitarbeiter bestellt auf Kostenstelle, die Lieferadresse ist die Abteilung.

2. Der Mitarbeiter bestellt auf Kostenstelle, die Lieferadresse ist jedoch die Privatadresse.

3. Der Mitarbeiter bestellt privat.

Die Schulungsabteilung sammelt die Bestellungen und gibt sie an die CBT-Partner weiter. Diese schicken die Programme direkt an die Lieferadresse. "Damit haben wir die Logistik dort gelassen, wo sie ohnehin schon war", freut sich der Stuttgarter Bildungsprofi. Waehrend in der Anfangsphase der ganze Vorgang von der Bestellung bis zum Erhalt des Programms 14 Tage dauerte, habe man ihn jetzt auf drei bis fuenf Tage reduziert.

Gibt es mit den CBTs Probleme, koennen die Beschaeftigten eine Hotline in Anspruch nehmen, die ihnen taeglich von 8 bis 12 und 14 bis 17 Uhr zur Verfuegung steht. Allerdings werde diese Dienstleistung so gut wie nicht in Anspruch genommen, hoert man bei Bosch. Daraus schliessen CBT-Anbieter und Weiterbildungsabteilung auf die gute Qualitaet der Produkte. Weiteres Indiz ist die Zahl der bestellten computerunterstuetzten Kurse. "Ist ein CBT gut und aktuell, wird es stark nachgefragt", argumentiert Pudlo. Je mehr nachgefragt wuerde, desto mehr Geld koenne der Partner verdienen.

Begonnen hat das Ganze im letzten Sommer mit 80 Themen. Ziel der ersten Phase war laut Pudlo, "den PC als Lernmedium zu etablieren". Man wollte zunaechst auf Multimedia verzichten, um "die breite Masse zu erreichen". In der zweiten Phase, die seit Sommer dieses Jahres laeuft, "haben wir die Multimedia-Aera eingelaeutet", erzaehlt der Bosch-Bildungsprofi stolz. Mit einem Hardwarelieferanten und einem CBT-Anbieter wurde der Weiterbildungs-PC kreiert, ein Rechner auf Pentium-Basis mit Soundkarte und anderen mutimedialen Funktionen. Das Paket, das fuer den Privaterwerb gedacht ist, enthaelt weiterhin ein Lernprogramm und einen Rechnungsbeleg, in dem Bosch dem Mitarbeiter bescheinigt, dass das Geraet fuer die Weiterbildung erworben wurde.

Innerhalb eines knappen Jahres (die Herbstzahlen liegen noch nicht vor) erwarben 1500 Bosch-Beschaeftigte 6000 Lernprogramme. Der Auslandsanteil liegt bei zehn Prozent; obwohl bisher nur deutschsprachige CBTs angeboten werden. Noch in diesem Jahr wollen die Schwaben eine englischsprachige Broschuere entwickeln.

Pudlo glaubt, durch die 6000 verkauften CBTs etwa 500 Seminarveranstaltungen eingespart zu haben, "ohne dass ein Qualifikationsdefizit entstand". Im Gegenteil, die Motivation der Mitarbeiter sei gestiegen. Aus der Fragebogenauswertung weiss er zum Beispiel, dass die Zahl der privat genutzten Lernprogramme vom ersten zum zweiten Halbjahr um 30 Prozent gewachsen ist. Er zitiert einen Mitarbeiter, der im Fragebogen vermerkt haben soll: "Jetzt kann ich lernen und bin nicht von meiner Familie weg." Damit glaubt Pudlo, dem Ziel, eigenverantwortliches Lernen zu foerdern, ein gutes Stueck naeher gekommen zu sein.

Mittlerweile werden auch auf dem Gebiet der DV-Grundausbildung keine DOS- und Windows-Seminare als Frontalunterricht mehr angeboten, der Bedarf wird "ausschliesslich ueber CBT gedeckt", bilanziert der Bosch-Manager.

Rainer Pudlo...

...kam 1989 zur Robert Bosch GmbH nach Stuttgart und arbeitete zunaechst in der Entwicklung von CAE-Tools (CAE = Computer Aided Engineering). Seit 1992 ist der 35jaehrige Elektronikingenieur in der Zentralstelle Weiterbildung Technik und Informationsverarbeitung unter anderem fuer die Einfuehrung von computerunterstuetzten Lernprogrammen zustaendig.

Das Bosch-CBT-Modell

CBT-Anbieter erklaeren sich bereit, Lernprogramme an Bosch- Mitarbeiter zu verkaufen, und uebernehmen Logistik und Hotline. Vorteil fuer Bosch ist, dass das Angebot bedarfsorientiert ist und die Kosten erst beim Abruf der CBTs anfallen. Zudem hat das Telecom-Unternehmen einen Rahmenvertrag mit einem Hardware- und einem CBT-Hersteller abgeschlossen, der die Lieferung eines Multimedia-PCs zu guenstigen Koditionen fuer die Beschaeftigten vorsieht. Das Stuttgarter Unternehmen ist ueberzeugt, mit seinem Modell einen Weg gefunden zu haben, der ihm ermoeglicht, aktuelle Themen in guter Qualitaet sowie kosten- und flaechendeckend anzubieten.