Hoffnungen und Grenzen der Informationsverarbeitung Folge 7

13.06.1980

Grenzen der Logik und des Modells

Unsere Gewöhnung an Naturwissenschaft und Technik, begünstigt dadurch, daß ein immer größerer Prozentsatz der Menschheit in einer Umgebung lebt, in der die Zahl der technischen Objekte größer ist als die Zahl der natürlichen Objekte, hat zu einer Überbewertung der Logik und des Modells geführt, zum Glauben daran, daß außerhalb der Logik und des Modells nichts existiert. Wir halten die physikalische Beschreibung und Natur der Welt für die einzige und vollständige, obwohl die Prinzipien der Naturwissenschaft eine solche Tragfähigkeit und Universalität weder versprechen nocht bestätigen. Der Computer scheint mir jenes physikalische Gebilde zu sein, welches diesen Glauben rasch und überzeugend als Irrtum erweisen wird, weil er unsere Modelle, ob nun logisch, mathematisch oder physikalisch, nicht nur zu aktivieren vermag, sondern auch noch den Vorstoß in jene Gebiete ermöglicht, wo die Unentscheidbarkeit nach Goedel und die Unbestimmtheit nach Heisenberg belangreiche Effekte haben, wo sich die Naturwissenschaft als menschliche Information über die Natur erweist und wo sich die Unauslotbarkeit der wirklichen Welt verdeutlicht.

Dazu gibt es einen geradezu klassischen Modellfall - nämlich das Studium des menschlichen Gehirns und der Literatur über seine Beziehung zum Computer. Die optimistischen Vergleiche oder gar Gleichsetzungen der Glanzzeit der Kybernetik sind längst verschwunden, alle unsere Modelle sind untauglich. Und dieses Beispiel macht eine Grundwahrheit klar: wo unsere Hoffnungen weitergehen als unsere Kunst, brauchbare Modelle zu konstruieren, wird der Computer sie nicht erfüllen.

Jedes Modell beruht auf dem Weglassen von Teilen oder Aspekten der Realität. Dies gilt von der Puppe bis zum Roboter, vom Regelkreis bis zum Weltmodell des Clubs von Rom. Das Modell vermag zu lehren und zu helfen, zu erklären und auch zu arbeiten, aber es braucht den menschlichen Geist um in die rechte Beziehung zur Wirklichkeit gebracht zu werden. Und es kann nicht gut gehen, Modell und Wirklichkeit zu verwechseln. Auch wenn das Modell nocht so perfekt aussieht. Der Computer bietet uns verläßliche Perfektion an: wir dürfen aber nicht falsche Hoffnungen darauf gründen. Es gibt nämlich einen Feind, welcher Unverläßlichkeit und Imperfektion säht, und dieser Feind sind wir selbst, als Einzelwesen und als Gemeinschaft.

An dieser Stelle sei ein Gedanke eingefügt, der auch in jedes andere Kapitel passen würde, denn er ist für die gesamte Informationsverarbeitung und für die gesamte Technik überhaupt von Bedeutung. In der Frühzeit der Technik war jede technische Lösung ein Einzelfall, eingebettet in eine natürliche, untechnische Umgebung. Mit der Verdichtung der technischen Lösungen, mit dem Übergang zu einer geradezu geschlossenen technischen Welt, wie sie für Industriestaaten charakteristisch ist, ändert sich dies in einem wesentlichen Zug: jede weitere Lösung muß der gegebenen technischen Umwelt angepaßt werden; es gibt kaum mehr einen Einzelfall, es gibt nur mehr verkettete Fälle. Die Technik geht zur Systemlösung über, und der Computer hat dabei eine dreifache Rolle. Erstens bildet er selbst ein System von Systemen, zweitens ist er die Ursache für verstärkte Verkettung in der technischen Welt, und drittens ist er das wichtigste Werkzeug für die Planung und Herstellung von Systemlösungen.

Der Unterschied zwischen der Welt von vor zweihundert Jahren und der Welt von heute läßt sich am Unterschied zwischen einem Einschichthof von damals und einem Siedlungshaus von heute darstellen: einem Leben in Mühe und Armut, aber in vielfältiger Unbegrenztheit und Freiheit steht das Dasein in technischem Komfort und materiellem Reichtum gegenüber, aber auch die Einschränkung und Unfreiheit auf immer kleineren Parzellen und durch immer mehr Gesetze und Vorschriften reglementiert - ein dichtes Aneinandersein mit den Ärgernissen des Abfalls, des Lärms und der gegenseitigen Störung. Die Analogie zwischen diesem Bild und allen anderen menschlichen und technischen Bereichen, für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft, für das technische Gerät und das technische System ist offenbar. Was früher spontan zur punktweisen Wirklichkeit gemacht werden konnte, verlangte heute mehrjähnge Vorausplanung nicht nur der Verwirklichung selbst sondern auch ihrer Abhängigkeiten und Auswirkungen. Das Neue muß sozusagen in das Bestehende eingewebt werden. Ein Teil der exponentiellen Computervermehrung geht auf diese Notwendigkeit zurück, und diese Notwendigkeit wird eine weitere Verdichtung unserer technischen Atmosphäre bewirken.

Unter diesen Umständen wird der Entwurf immer schwieriger und zu einer eigenen Kunst und Wissenschaft. Überdies wird immer deutlicher daß er gegen einen Effekt anlaufen muß, der auf die technische Welt fast Schockwirkung hat: Logik und Modell stoßen auf erhöhte Schwierigkeiten und an ihre Grenzen. Denn beide können erst am Ende des Entwurfs ihre glänzende Rolle spielen. Der Einfall ist nämlich ein Gegensatz zur Logik und eine Voraussetzung für das Modell. In der informierten Gesellschaft wird der Einfall offenbar immer seltener und er hat es immer schwerer, sich gegen die festgelegten logischen Netzwerke durchzusetzen.

Schwächen des Computers durch dle Imperfektion des Menschen

Zu den märchenhaften Erfüllungen der Hoffnung gehört die Verläßlichkeit der modernen Elektronik. Milliarden von Operationen werden ohne den kleinsten Fehler ausgeführt, selbst sehr große Anlagen laufen Wochen und Monate ohne Störung oder mit nur sehr lokalen und bald behobenen Unzulänglichkeiten. In der Bewältigung von Komponentenfehlern und in der Bekämpfung von Störeinflüssen hat die elektronische Datenvetarbeitung wirklich enorme Fortschritte gemacht; die Computerschaltkreistechnik kommt tatsächlich knapp an die absolute Perfektion heran. Trotzdem wissen Fachleute und Laien, daß der Gesamtbetrieb des Computers sehr weit von der Perfektion liegt, daß der Alltag mit zahlreichen Imperfektionen kämpfen muß. Es ist nicht schwer die Ursache zu finden. Der perfekte Schaltkreis spiegelt die Imperfektion menschlichen Handelns um ihn herum wieder, nicht selten vielfach verstärkt. Die Grenzen des Computers sind die Grenzen der Menschen, dle ihn erbaut haben, die ihn programmieren und die ihn benutzen - man kann es nicht oft genug wiederholen. Wird fortgesetzt