Emotionale Intelligenz

Höre auch auf Deinen Bauch

02.09.2013
Von 
ist freie Wirtschaftsjournalistin in London.
Zahlen, Daten, Fakten sind im IT-Business nicht mehr die einzig gültige Entscheidungsgrundlage. Branchenkenner und Wissenschaftler zeigen, warum und wann Manager auf ihre innere Stimme hören sollten und wie sich Intuition und emotionale Intelligenz trainieren lassen.
Jörg Hesske, VMware: "Es gehört Mut dazu, seinem Bauchgefühl im Job zu folgen."
Jörg Hesske, VMware: "Es gehört Mut dazu, seinem Bauchgefühl im Job zu folgen."
Foto: VWware

„Lass gut sein. Verschwende nicht deine Zeit!“ IT-Manager Jörg Hesske klangen die Warnungen seiner Kollegen noch im Ohr. Ein potenzieller Kunde hatte sich gerade für die Konkurrenz entschieden. „Doch mein Bauch sagte mir, dass das nicht das letzte Wort gewesen sein kann“, sagt der Country Manager Germany beim IT-Dienstleister VMware in Unterschleißheim. Entgegen allen Fakten und kollegialen Ratschlägen bat er seine Gesprächspartner um eine weitere halbe Stunde. Und siehe da: Tatsächlich konnte er noch einen Teil des Projekts gewinnen und so die Basis für eine jahrelang erfolgreiche Zusammenarbeit legen.

Intuition wird unter Managern salonfähig

Nicht nur Hesske vertraut neben dem Kopf auf sein Bauchgefühl. In Zeiten, in denen emotionale Intelligenz, systemische Führung und Sozialkompetenz im Trend liegen, gilt Intuition als wichtiges Soft Skill. „Der Homo oeconomicus als reiner Verstandesmensch aus dem Lehrbuch bekommt zunehmend Konkurrenz“, sagt Hans-Rüdiger Pfister, Professor für Psychologische Entscheidungsforschung und Methoden der Leuphana Universität in Lüneburg. „Im Gegensatz zu früher gilt Intuition heute unter Entscheidern im Management als durchaus salonfähig“, so Pfister.

Hans-Rüdiger Pfister, Universität Lüneburg: "Je mehr der Entscheider bekanntes Terrain verlässt, desto eher wird sein Bauchgefühl nutzlos sein."
Hans-Rüdiger Pfister, Universität Lüneburg: "Je mehr der Entscheider bekanntes Terrain verlässt, desto eher wird sein Bauchgefühl nutzlos sein."
Foto: Uni Lüneburg

Zeitdruck, Komplexität und Unsicherheit sind es, die Führungskräfte in der globalen Wirtschaft zunehmend zwingen, neben dem Kopf auch auf ihre innere Stimme zu hören. Dieses Vorgehen ist weit verbreitet. Gemäß einer Studie des schwedischen Wirtschaftswissenschaftlers Jon Aarum Andersen unter 200 Führungskräften in acht Unternehmen entscheiden die meisten Manager, nämlich 32 Prozent, intuitiv. Die anderen setzen mehr auf Detaildaten (26 Prozent), Logik (23 Prozent) oder ihre Empathie (19 Prozent).

Trotz der weiten Verbreitung hat es die Intuition im Business nicht leicht – besonders in technisch geprägten Unternehmen. „Es gehört durchaus Mut dazu, seinem Bauchgefühl im Job zu folgen“, weiß auch Hesske. Als Mitglied eines internationalen Teams forderte ihn seine einstige Chefin, eine Norwegerin, einmal unumwunden auf, nicht „zu deutsch“ zu sein, wie sie sagte. Ihre Forderung: „Ich sollte mehr meinem Gefühl vertrauen“, so Hesske. Seitdem achtet der Diplom-Wirtschaftsingenieur darauf, „ob sich Entscheidungen richtig anfühlen“, so Hesske. Kopf und Bauchgefühl seien keine Gegensätze. „Ein Manager, dem eines von beiden fehlt, wird im Job versagen“, ist Hesske überzeugt.

Bauchentscheidungen sacken lassen

Intuition oder das Bauchgefühl sind auch ein Entscheidungskriterium.
Intuition oder das Bauchgefühl sind auch ein Entscheidungskriterium.
Foto: berc/Fotolia.com

Sich für die innere Stimme zu öffnen, ist jedoch oft leichter gesagt als getan. Das finden auch viele Vorgesetzte. Branchenübergreifend sehen 68 Prozent aller Manager und 57 Prozent aller Managerinnen hierzulande das Bauchgefühl als verbotenes Thema im Kollegenkreis an. Dies geht aus der Studie „Kreativität und Intuition im Unternehmensalltag“ der Frankfurter Unternehmensberatung Proxidea unter mehr als 500 Führungskräften hervor. Demnach glauben zwar 80 Prozent der Frauen, dass sie intuitiver sind als Männer. Unternehmensentscheidungen treffen aber zwei Drittel nach eigener Aussage jedoch eher rational.

Gar keine so schlechte Idee. Denn nicht in allen Situationen sollte man der inneren Stimme vertrauen. „Je mehr der Entscheider bekanntes Terrain verlässt, desto eher wird sein Bauchgefühl nutzlos sein oder ihn sogar in die Irre führen“, warnt Professor Pfister. IT-Managern bescheinigt er allerdings beste Voraussetzungen, um ein gutes Näschen zu entwickeln. Schließlich lassen sich die Regeln technischer Systeme durch Erfahrung lernen – dank des unmittelbaren Feedbacks (etwas funzt/funzt nicht). „Erfahrene ITler wissen oft sehr schnell, wie sich eine Software verhält, ohne im Detail genau sagen zu können, warum“, so Pfister. „Gerade bei der Fehlersuche ist diese Intuition von großem Wert.“
Aber auch hier gelte: „Bei echten Neuentwicklungen hilft die Intuition nicht mehr, da ist Analyse und gründliches Durchdenken gefragt.“ Bauchentscheidungen sacken zu lassen, ist allerdings stets eine gute Idee.

Bizarre Versprechen von Intuitionstrainings

Wenig Eric, Hewlett-Packard: "Intuition stützt sich auf Werte."
Wenig Eric, Hewlett-Packard: "Intuition stützt sich auf Werte."
Foto: Hewlett-Packard

Impulsive Beschlüsse haben kurze Beine. Experten empfehlen daher, sie auf ihre Richtigkeit hin abzuklopfen – möglichst in einem Team aus unterschiedlichen Naturellen. Fest steht: Mehrere Bäuche sind besser als einer. Das weiß auch Eric Wenig, Vice President für die Sparte Enterprise Server Storage Networking (ESSN) bei Hewlett-Packard in Böblingen. Bei Entscheidungen über Investitionen und Neugeschäft gibt die Intuition des Elektrotechnikers häufig den Ausschlag. „Manchmal kommt es vor, dass die Faktenbewertung rechts unten auf dem Excel-Chart ein Plus ausweist, und trotzdem geht bei mir eine Warnlampe an, die mir das Gefühl gibt: Das Ding kann nicht fliegen!“, erzählt Wenig. Um der Sache seines Magengrummelns auf den Grund zu gehen, hat sich der 50-Jährige angewöhnt, sich selbst und seinen Kollegen eine Reihe kritischer Fragen zu stellen. „Bei der Beantwortung merken wir dann schnell, ob sich der Knoten im Bauch löst oder eben nicht.“ Intuition sei auch rational, findet der HPler. „Statt auf Zahlen, Daten und Fakten stützt sie sich auf Werte“, so Wenig. Für ihn ist die Intuition wie ein Wertekompass, mit dem sich Entscheidungen schnell ausloten lassen.

Wenig ist nicht allein. Die Lernbereitschaft in Sachen emotionaler Intelligenz nimmt firmenübergreifend zu. Diverse Intuitionstrainings stehen Fach- und Führungskräften heute zur Auswahl – von der Meditation bis zur Hypnose. Die Versprechen klingen teilweise bizarr. In Aussicht gestellt werden zum Beispiel „Handhabung und Einsatz von Geistesblitzen“, „körperliche Abenteuer“ sowie das „Einsehen in den wahren Seinsgehalt einer Situation“. Trotz all dieser Heilsversprechen: Den richtigen Riecher in allen Lebenslagen kann man nirgendwo lernen. Den bekommt man nur durch jahrelange Übung und Erfahrung. Seriöse Seminaranbieter zeigen den Teilnehmern, wie sie in unsicheren Situationen dem eigenen Instinkt vertrauen lernen.

In kleineren Betrieben hat es das Bauchgefühl oft etwas leichter als in Konzernen. „Im Mittelstand vertrauen Chefs häufiger dem Bauch. Leider allerdings oft nur dem eigenen“, beobachtet Trainer und Fachbuchautor Andreas Zeuch ("Feel it! Soviel Intuition verträgt Ihr Unternehmen"). Dazu kommt: In börsennotierten Aktiengesellschaften ist besondere Achtsamkeit angebracht. „Wer unter hohem Legitimationsdruck – etwa durch Shareholder – arbeitet, ist nicht schlecht beraten, intuitive Entscheidungen im Nachhinein zu plausibilisieren“, rät Zeuch.

Das ist meist kein Problem. Beim Großteil aller Geschäftsentscheidungen mangelt es keinesfalls an vorhandenen Zahlen und Fakten. Viele Unternehmen plagt die Datenmenge sogar. Mit Big Data versuchen sie, der Analyse der riesigen Datenmassen Herr zu werden. „Doch egal wie weit entwickelt Big-Data-Technologien sind: Allein damit ist die Entscheidungsfindung nicht abgefrühstückt“, so Zeuch. Im Gegenteil. Je mehr Optionen man hat, desto wichtiger wird der innere Kompass, der einem die Richtung weist.

Workout für den Bauch

Zeuch empfiehlt Managern ein Workout für den Bauch. Folgende drei Kurzübungen von ihm lassen sich problemlos in den Alltag einbauen:

  1. Body-Check
    So geht es: Morgens drei Minuten in ein ruhiges Zimmer setzen und in sich hineinhorchen. Bewusst atmen und von den Zehen- bis zu den Haarspitzen jeden Körperteil einzeln wahrnehmen und fühlen. Dabei störende innere Bilder und Gedanken nicht bewerten, sondern sie wie Wolken vorüberziehen lassen.
    Ziel: Schulung der inneren Wahrnehmung.

  2. Tagebuch-Chart
    So geht es: Auf einem Blatt Papier horizontal eine Linie ziehen. Links oben "Positiv" notieren, rechts "Negativ". Dann alle intuitiven Entscheidungen des Tages nach ihrem jeweiligen Erfolg der einen oder anderen Seite zuordnen. Mit der Zeit werden die positiven Erfahrungen zunehmen.
    Ziel: Entwicklung des Gespürs für erfolgreiche intuitive Entscheidungen.

  3. Spontan-Kochen
    So geht es: Einfach Kühlschrank aufmachen und schauen, was sich spontan aus den vorhandenen Zutaten zaubern lässt. Variante für Anfänger: Ein Rezept mit zwei weiteren/anderen Zutaten als beschrieben persönlich abwandeln.
    Ziel: Schulung der Improvisationsgabe. Statt mit Kochen geht das auch mit Malen, Musizieren oder Tanzen – Hauptsache ohne Noten oder Anleitung.

Besonders ambitionierte Zeitgenossen seien allerdings gewarnt: „Blitzerfolge sind hier nicht zu erwarten“, betont Zeuch. Er vergleicht die Lage mit der beim Musizieren. „Nach drei Übungstagen mit der Violine kann niemand erwarten, schon wie Anne-Sophie Mutter zu spielen.“ Wer indes gar nicht übt, lässt ein wichtiges Talent verkümmern. Und welcher Manager will das schon verantworten?

Durch Analyse das Bauchgefühl schärfen

Erich Kirchler ist Psychologieprofessor an der Universität Wien.
Erich Kirchler ist Psychologieprofessor an der Universität Wien.
Foto: Universität Wien

Drei Fragen an Psychologieprofessor Erich Kirchler vom Institut für Wirtschaftspsychologie, Bildungspsychologie und Evaluation der Universität Wien

CW: Kann man Intuition trainieren?

Kirchler: Sicher nicht in dem Sinne, dass man bei Entscheidungen auf eine mystische Eingebung oder einen Gedankenblitz wartet. Trainieren lässt sich das Verständnis dafür, wann man seiner inneren Stimme vertrauen sollte und wann besser nicht. Intuition ist ja nicht angeboren. Man sammelt sie durch Erfahrung. Das ist ähnlich wie beim Autofahren. In der Fahrschule lernt man, wie man bei bestimmten äußeren Bedingungen richtig reagiert. Als Fahrschüler ist man mit der Aufnahme und Verarbeitung vieler gleichzeitiger Einflüsse oft überfordert. Mit der Zeit aber automatisiert man die Prozesse und reagiert intuitiv richtig.

CW: Die Wirtschaftswelt funktioniert aber leider nicht nach festen Regeln wie der Autoverkehr...

Kirchler: Genau. Hier liegt auch das Problem. Unsere Intuition funktioniert am besten, wenn das Arbeitsumfeld stabil ist. Ein Arzt etwa kann meist anhand weniger Symptome die richtige Diagnose stellen. Ein Manager hat es da schwerer. In der Wirtschaft ändern sich die Arbeitsumgebungen oft sehr schnell, so dass intuitive Entscheidungen nicht immer zu einem guten Ergebnis führen. Soweit es einer Führungskraft also möglich ist, sollte sie ihre Entschlüsse auf jeden Fall auf ihre Richtigkeit hin abklopfen. Tempo ist im Business zwar wichtig. Aber die Schnelligkeit eines Entschlusses allein ist nicht entscheidend. Wer schnell der falschen inneren Stimme folgt, kann genauso schnell damit auf die Nase fallen.

CW: Woran erkennt man ein gutes Intuitionstraining?

Kirchler: Daran, dass man dort lernt, wann man der eigenen Intuition trauen kann. Das geht nicht mit Voodoo oder Hokuspokus. Aber man kann trainieren, bestimmte Entscheidungssituationen und die daraus resultierenden Folgen zu analysieren. So bekommt man ein Gespür dafür, in welchen Konstellationen man am besten wie entscheidet. In einem Workshop sollte es also darum gehen, mit dem Kopf zu erforschen, wann das Bauchgefühl stimmt und wann es in die Irre führt. Unseriös sind Trainings, die Teilnehmern versprechen, ein Gefühl für neue Situationen zu bekommen und somit aus dem Bauch heraus immer richtig zu reagieren. Das mag sich manch ein Manager vielleicht wünschen. Aber mit solch einem Prozess wäre die menschliche Natur eindeutig überfordert.
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