Vielleicht der entscheidende Vorteil der Automation durch Mikroprozessorensysteme:

Höhere Elastizität in der Fertigung kleiner und mittlerer Serien

15.10.1982

Die Auswirkungen der Mikroelektronik auf die Unternehmen sind vielfältig. Sie betreffen die gesamte Strategie-/Struktur-Problematik. Ihren Niederschlag finden sie in der Fertigung ebenso wie in der Verwaltung, in den materiellen und immateriellen Ressourcen ebenso wie in den Produkten und Dienstleistungen, in der Planung ebenso wie in der Organisation. Die größten Chancen im Produkt-/Marktbereich dürften sich den Herstellern von elektronischen Komponenten und Endprodukten eröffnen. Nach allgemeiner Einschätzung wird die gesamte informationsverarbeitende Industrie in den 80er Jahren am stärksten expandieren und wahrscheinlich zum bedeutendsten Wirtschaftsbereich avancieren.

Bei allem Optimismus, der hier angebracht erscheint, kann eine ganze Reihe von Problemen jedoch nicht übersehen werden. Hierzu zählen unter anderem:

- die enormen finanziellen Belastungen durch die notwendigen Forschungs- und Entwicklungs-Anstrengungen und Anlageninvestitionen, die durch die Verkürzung der Produktlebenszyklen und die damit verbundene Wettbewerbsdynamik bedingt sind;

- die aufgrund der stark rückläufigen Leistungspreise sinkenden Umsätze in der Computerindustrie sowie die hier durch die fortschreitende Miniaturisierung entstehenden Schwierigkeiten in der Fertigung;

- die Probleme in der Software-Produktion, die das Entwicklungstempo bezüglich neuer Anwendungen verlangsamen;

- das Auftreten von PCMs (Plug Compatible Manufacturers), die die Computer-Hersteller zu kürzeren Innovationsfolgen zwingen;

- die Veränderungen im Wettbewerb durch die Tendenzen zur vertikalen Integration sowohl seitens der Hersteller von Endprodukten als auch der Produzenten von Komponenten.

Harte Forderungen

Im Einzelfall mögen diese Probleme schwerwiegend und unlösbar scheinen. So manches Unternehmen wird dabei auf der Strecke bleiben; auch ganze Branchen werden Federn lassen müssen. Insgesamt stellen sie jedoch keine Hindernisse dar, die die weitere Verbreitung der Mikroelektronik entscheidend behindern könnten. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht verspricht eine Beteiligung an diesem Prozeß des technisch-ökonomischen Wandels neue Entwicklungschancen und damit eine Festigung beziehungsweise eine Verbesserung der Wettbewerbsposition. Dagegen bedeutet der Verzicht auf eine Anpassung an die Mikroelektronik sicher den mehr oder weniger schnellen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. Das gilt in besonderem Maße für die Unternehmen der bundesdeutschen Wirtschaft. Angesichts sinkender Wachstums- und Produktivitätsraten, steigender Lohn- und Energiekosten und der dadurch verschlechterten Ertragslagen und Finanzierungsspielräume besteht ein erhöhter Bedarf an innovativen Veränderungen. Die Unternehmen werden sich demzufolge vermehrt aus angestammten Produkt-/ Marktbereichen, wo sie kostenmäßig nicht mehr mithalten können, zurückziehen und sich statt dessen zunehmend der Erstellung von Leistungen mit einem "höheren Intelligenzgrad" und einem höheren Gehalt an "spezifischen Mehrinformationen" zuwenden müssen. Die Anwendung der Mikroelektronik, deren eigentliche Vorzüge etwas mit der Menge und Güte von Informationen zu tun haben, ist auf diesem Wege zwangsläufig. Ihre strategische Bedeutung für die Unternehmen in ihrem Wettlauf um die Aufteilung der internationaler werdenden Absatzmärkte sowie auch für die Nationen in ihrem Bemühen um Erhaltung oder Verbesserung wirtschaftlicher Vormachtstellungen ist unbestritten.

In diesem Rennen droht die bundesdeutsche Wirtschaft, ebenso wie die der anderen westeuropäischen Länder, gegenüber der Japanischen und der US-amerikanischen Wirtschaft noch mehr an Boden zu verlieren. Nach Berechnungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft übertrafen "zwischen 1975 und 1979 (in der Bundesrepublik) die Importe von integrierten Schaltungen die heimische Produktion um etwa das Dreifache"; seither hat sich das Verhältnis eher noch verschlechtert. Eine Trendwende zeichnet sich nicht ab, weshalb damit zu rechnen ist, daß die in Japan und in den USA produzierten Überschüsse weiterhin auf die westeuropäischen Märkte drängen.

Soziale Verantwortung

Als erschwerendes Wettbewerbsmoment kommt noch hinzu, daß die Anpassungen an die neuen Technologien in Westeuropa offenbar problematischer verlaufen, und zwar vermutlich deshalb, weil hier gegenüber den USA und Japan eine Know-how-Lücke besteht, die Diffusion technischer Neuerungen langsamer verläuft und die Förderung sogenannter "high technology industries" weniger intensiv erfolgt. In den EG-Ländern werden in unterschiedlichem Maße auch "Sonnenaufgangsindustrien" gefördert. Gleichzeitig besteht aber die nach wie vor starke Tendenz zur Subventionierung von "Sonnenuntergangsindustrien". Dies hat zur Folge, daß mögliche Produktivitätsfortschritte ausbleiben und die Wettbewerbspositionen sich weiter verschlechtern.

Unternehmen, die sich internationale Konkurrenzvorteile erarbeiten, stärken auch die Wettbewerbsfähigkeit und die wirtschaftliche Solidität ihres Landes. Sie praktizieren damit soziale Verantwortung. Gleiches gilt, wenn sie mit Hilfe der Mikroelektronik zur Einsparung von Energie und zur Schonung von knappen Rohstoffen beitragen. Das Energiesparpotential durch Anwendung der Mikroelektronik kann etwa bei 15 Prozent der gegenwärtigen Verluste der gesamten gelieferten Energie (50 bis 60 Prozent) angesiedelt werden. Darüber hinaus verspricht die Symbiose von Energietechnik und Elektronik das Entstehen neuer Produktfelder. Rohstoffverbrauch läßt sich reduzieren bei Substitionen von Mechanik durch Elektronik.

Problematischer erscheint die Rolle des Unternehmens als "soziale Veranstaltung", wenn es um die Frage der Einführung von Mikroelektronik in Produktion und Verwaltung geht. Hier ergibt sich ein deutlicher Konflikt zwischen der Verantwortung nach innen (zum Beispiel für Produktivität und Kostenwirtschaftlichkeit) und der Verantwortung nach außen (zum Beispiel für die Erhaltung von Arbeitsplätzen). Dieser Konflikt überträgt sich auch auf die gesamtwirtschaftliche Ebene. Die Automation der Produktion und die Computerisierung der Administration haben tendenziell, weil sie produktivitätsfördernd wirken, einen positiven Entwicklungseffekt einerseits, aber einen negativen Beschäftigungseffekt andererseits. Insgesamt dürften jedoch die Vorteile überwiegen. Anders dagegen muß die Situation bei einem Verzicht auf Mikroelektronik in beiden Bereichen beurteilt werden. Hier wären ökonomische Rückständigkeit und noch höhere Arbeitslosigkeit wahrscheinliche Folgen.

Die Überlebensfrage

Angesichts eines wachsenden Lohnkostendrucks im Inland bei gleichzeitiger Zunahme des Wettbewerbsdrucks aus Niedriglohnländern wird die Automation der Produktion in verschiedenen Branchen (zum Beispiel der Automobilindustrie) zur Überlebensfrage. Sie verspricht enorme Vorteile vor allem im Sinne von Kostenreduzierungen, Produktivitätssteigerungen, erhöhter Flexibilität der Fertigung und humaneren Arbeitsbedingungen. Durch den Einsatz von Industrierobotern an sich, aber noch mehr im Verbund mit flexiblen Fertigungssystemen auf der Grundlage der neuen CAD/CAM-Technologien (Computer-Aided-Design und Computer-Aided-Manufacturing) können menschliche Arbeit eingespart, Maschinen besser ausgelastet, Anlagensysteme schneller umgestellt und gesteuert, Qualitätskontrollen sorgfältiger durchgeführt und stark gesundheitsschädigende Arbeiten von Maschinen übernommen werden. Darüber hinaus ermöglicht die Anwendung der Mikroelektronik in der Fertigung einen neuen Typ von Wertschöpfung, indem die als Nebenprodukte der automatisierten Prozesse anfallenden Informationen dazu benutzt werden, die Produktion mit anderen Unternehmensprozessen (wie der Konstruktion, der Materialdisposition, der Auftragsabwicklung, der Lagerhaltung und so weiter) zu koppeln. Das Ergebnis solcher Integrationen sind nicht nur automatische Fertigungszellen, sondern ganze "automatische Fabriken", die von einem hierarchischen System aus Mikro-, Midi- und Makro-Computern gesteuert werden.

Höhere Flexibilität

Ein wesentlicher und vielleicht der entscheidende Vorteil der Automation durch Mikroprozessorensysteme besteht darin, daß sie nicht nur Kostensenkungs-, sondern auch Flexibilitätspotentiale eröffnet. Sie impliziert im Gegensatz zur traditionellen technologiebedingten Rationalisierung - nicht zwangsläufig Großserienfertigung und starre Produktionsverfahren. Es handelt sich hier vielmehr um Technologien einer höheren Elastizität, die auch für die Fertigung von mittleren und kleineren Serien wirtschaftlich attraktiv sind. Flexibilitätspotentiale sind aus zwei Gründen bedeutsam: Erstens erleichtern sie schnelle Produktionsumstellungen, was in einer Zeit häufig und überraschend auftretender Marktveränderungen wettbewerbsrelevant ist, und zweitens verbessern sie die Anpassungsfähigkeit mittlerer und kleiner Unternehmen, was ihre Konkurrenzposition zu den großen Unternehmen stärkt.

Der zunächst augenscheinliche Nachteil der Automatisierung in der Produktion wie auch der Computerisierung in der Administration ist das Freisetzen von Arbeitskräften, was die ohnehin bestehende Beschäftigungsproblematik noch verschärft. So wird von Beispielen berichtet, wo etwa in einem Automobilunternehmen heute 30 Roboter mit einem Investitionsvolumen von rund 17 Millionen Mark die Arbeit leisten, die früher von 70 Arbeitskräften in zwei Schichten verrichtet wurde oder wo in einer Bank heute 50 Angestellte mit Computerterminals eine Arbeit bewältigen, für die vor zehn Jahren noch über 400 Mitarbeiter notwendig waren. Andere Erfahrungen aus breiter angelegten Untersuchungen sind weniger dramatisch. Sie zeigen, daß durch die Automation Arbeitsplätze nicht nur vernichtet, sondern auch neue geschaffen werden. Per Saldo dürfte sich jedoch ein arbeitskräftesparender Effekt ergeben, wovon in erster Linie das nichtqualifizierte Personal betroffen sein wird.

Auf- und Abwertung

Eine andere beachtenswerte Auswirkung der Mikroelektronik in Produktion und Administration ist die Veränderung der Anforderungen an den arbeitenden Menschen. Im Produktionsbereich zeichnet sich ein steigender Bedarf nach Ingenieuren und Technikern ab, vor allem mit besonderen Fähigkeiten auf den Gebieten der Elektronik; der Softwareprogrammierung sowie der Informationsverarbeitung überhaupt. Neben Aufwertungen sind aber auch Abwertungen von Arbeitsplätzen zu erwarten. Die Nachfrage nach dem traditionellen Facharbeiter wird eher zurückgehen. Für den Produktionsbereich insgesamt muß jedoch von der Notwendigkeit einer allgemeinen Höherqualifizierung ausgegangen werden. Dies gilt auch für den Verwaltungssektor, wo vorwiegend wiederkehrende, formalisierbare Tätigkeiten computerisiert werden. Von den Mitarbeitern in beiden Anwendungsbereichen wird neben einem besseren Wissen gleichfalls eine höhere Flexibilität erwartet. Dies erfordert von seiten der Unternehmung größere Anstrengungen bei der Personalentwicklung und von seiten der Mitarbeiter die Bereitschaft, sich entsprechenden Aus- und Weiterbildungsprogrammen zu unterziehen. Ein höher qualifiziertes und motivationsfähiges Personal wird eher in der Lage sein, die Mikroelektronik in ihren gesamten Auswirkungen zu verstehen sowie ihre Vorteile bei möglichst geringen wirtschaftlichen und sozialen Störungen zu nutzen. In diesem Zusammenhang ist die klare und frühzeitige Information der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen über die Merkmale einer neuen Technologie sowie über die Ziele ihrer Anwendung im Verein mit einer auf Partizipation und Kooperation abgestellten Entscheidungsfindung kardinale Voraussetzung für eine erfolgreiche Technologieeinführung.

Verändertes Führungssystem

Die Fortschritte auf dem Gebiet der Informationstechnologie verursachen nicht zuletzt Veränderungen im Führungssystem. Sie machen organisatorische Anpassungen erforderlich, und sie nehmen Einfluß auf Entscheidungs- und Planungsprozesse. Richtig verstanden und adäquat genutzt, tragen sie dazu bei, schneller bessere Informationen zur Beurteilung gegenwärtiger und zukünftiger Lagen sowie für flexible Reaktionen bereitzustellen.

Die Revolution in der Informationstechnologie hat dazu beigetragen, daß der Computer - in Gestalt von Tischterminals und Kleincomputern - zum Benutzer kommt. Bislang wurden Computer vorwiegend bei administrativen Tätigkeiten eingesetzt. Das Problem ihrer Nutzung bestand überwiegend darin, für eine gewünschte Anwendung eine adäquate Technologie zu erhalten und die oft großen Projekte zu beherrschen. In aktuellen Entscheidungsprozessen haben Computerunterstützungen aber kaum eine wesentliche Rolle gespielt; sie wurden hierfür als zu aufwendig, wenn nicht gar als zu riskant erachtet. Einen Wandel in dieser Hinsicht versprechen die modernen computerbasierten Entscheidungsunterstützungssysteme, weil sie nicht mehr von der Technologie, sondern vom Entscheidungsprozeß ausgehen. Sie erlauben dem Manager, seinen Datenbedarf selbst zu definieren und dann direkt auf Informationen und Modelle in entsprechenden Daten- und Modellbanken zurückzugreifen. Dabei können die Systeme so gestaltet werden, daß sie das Denken der Manager wirklich unterstützen. Dies ist der Fall, wenn die Unterstützungssysteme auf dem detaillierten Verständnis des Managers über seine Probleme und Entscheidungssituationen aufbauen.

Viele negative Effekte

Die Beurteilung neuer Technologien wäre - auch aus der Sicht des Unternehmens - unvollkommen, würden nicht ihre Auswirkungen auf den einzelnen und die Gesellschaft mitbetrachtet werden. Hier zeigt sich, daß neben vielen positiven eine große Anzahl negativer Effekte möglich ist. Um letztere in erträglichen Grenzen zu halten, sind sicher auch die Unternehmen - durch sorgfältige Überwachung der Technologiefolgen - aufgerufen, Flagge zu zeigen. Die Gesellschaft und ihre Individuen können erwarten, daß die Unternehmen im Rahmen ihrer "sozialen Verantwortung" einen Beitrag zum "sozialen Fortschritt" liefern. Hierzu sind sie jedoch auf eine hinreichende soziale Innovationsbereitschaft der Bevölkerung und auf entsprechende Handlungsspielräume, die durch staatliche Rahmenbedingungen und (gezielte) Aktivitäten zu garantieren sind, angewiesen.

Im übrigen muß bei der Wahl der Strategie zur Bewältigung des sozioökonomischen Wandels aufgrund technischer Fortschritte immer davon ausgegangen werden, daß es so etwas wie einen "sauberen" oder "gefahrlosen" Weg nicht gibt. Welche Entwicklung mit welchen Folgen letztendlich eintreten wird, hängt allein von den Entscheidungen der Menschen in den verschiedenen Institutionen ab. Die modernen Informationstechnologien sind mit Sicherheit kein Allheilmittel gegen die Probleme unserer Zeit, und sie nehmen uns bestimmt nicht das Denken ab. Dennoch darf vermutet werden, daß sich die Menschheit hier ein Instrument geschaffen hat, mit dessen Hilfe sie bei sorgfältiger Anwendung viele ihrer Probleme besser angehen kann. Dazu muß sie allerdings die Atempause, die ihr durch die neuen Technologien gewährt zu sein scheint, nutzen, und sie darf nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen.

Professor Dr. Erich Zahn, Betriebswirtschaftliches Institut der Universität Stuttgart.