Höflichkeit ist eine Zier, doch weiter ...

04.12.1992

EG-Berater sind höfliche Menschen. Konfrontationen nach allen Regeln des Wettbewerbs in der Marktwirtschaft gehen sie nach Möglichkeit aus dem Wege. Was die Informationstechnik betrifft, ist das nicht anders. So bedauert zwar Ian Forrester, Spezialist für EG-Recht, daß bei der Diskussion um die neuen EG-Software-Richtlinien ein DV-Hersteller ständig mit 95 Lobbyisten vertreten gewesen sei (Seite 1: "Anwender wollen Einfluß der Hersteller auf die EG eindämmen"), den Namen des Unternehmens nennt er jedoch nicht. Halb so schlimm, das ist eine einfache Quiz-Aufgabe. In Betracht kommen nur hm, hm, hm oder hm, hm, hm! Aber warum gefällt sich Forrester in geradezu höfischer Diplomatie, wenn er sagt, daß eine Balance zwischen der Forderung der Hersteller nach Copyright und dem Willen zum freien Wettbewerb noch nicht gefunden sei?

Der dringende Wunsch der Anwender liegt auf dem Tisch: mehr Markt - egal, wie die etablierten Hersteller dabei abschneiden. Mit einem Schlagwort ausgedruckt: Herstellerunabhängigkeit, die durch offene Systeme erst möglich wird. Hier kommt man mit Höflichkeit nicht weiter. Die Pressure Group CUE (Computer Users of Europe) wird in ihrer Gründungsinitiative denn auch ganz deutlich: Sie will den starken Einfluß der Hersteller etwa auf die Gestaltung von IT-relevanten Gesetzen (siehe oben) eindämmen. Doch haben sich die CUE-Mitglieder nicht zuviel vorgenommen.

Das Problem ist erkannt. So bringt es nach Ansicht von CUE-Sprecher Andrew Goltz wenig, sich in Vereinigungen wie der X/Open User-Group zu engagieren, die seien nämlich zu herstellerlastig. Nicht ausschließen könne man, daß diejenigen Hersteller, die proprietäre Pfründe zu verlieren hätten, als die lautesten Pro-Open-Systems-Schreihälse die Einigung auf Standards geschickt verzögern würden. Nicht namentlich genannt: hm, hm, hm! und hm, hm, hm! Auch nicht so schlimm, schließlich weiß man, was GCOS, OS/1100 oder Nidos ihren Eignern heute noch wert sind (Anmerkung des Kolumnisten: proprietäre Betriebssysteme von Bull, Univac/Unisys und Nixdorf/SNI).

Bleibt allerdings zu fragen, ob sich die Anwender als Opfer von Versprechungen fühlen können. Mit anderen Worten: Haben sie als Einkäufer in der Vergangenheit genug Druck ausgeübt, um die Hersteller auf einen offenen Kurs zu zwingen? Die höfliche Antwort lautet: Haben sie nicht. 300 europäische Großanwender wollen sich das nicht länger vorhalten lassen. Erfreulicherweise sind die CUE-Gründer so undiplomatisch, die Dinge beim Namen zu nennen. Zitat: "Die Interessenvertretung wird gebraucht, um ein Gegengewicht zu den bestehenden User-Groups zu bilden, die von den jeweiligen Herstellern beeinflußt sind." Selbstverständlich ist eine derartige Aussage nicht.