projektbezogenes lernen kommt zu kurz

Hochschulabsolventen

01.07.1999
Dem Engpaß an Software-Fachleuten begegnet IBM mit Nachwuchsförderung. Gaby Visintin* sprach mit Andreas Bock, Personalleiter der IBM Deutschland Entwicklung GmbH in Böblingen, über das Suchen und Finden.

young professional Vor einigen Jahren wurde noch von einem Überhang an IT-Kräften gesprochen, heute wird ein Engpaß beklagt. Wie sieht die augenblickliche Situation aus?

bock Vor drei, vier Jahren hat die IT-Branche Arbeitsplätze abgebaut - auch die IBM. Insgesamt wurden weniger Informatiker eingestellt. Bei uns hier in Böblingen kamen jährlich gerade noch zwischen 30 und 50 Informatiker zum Zug. Seit zwei Jahren hat sich die Situation aber grundlegend geändert: Die Einstellungszahl kletterte 1997 allein bei uns im Entwicklungszentrum Böblingen auf 120 und 1998 sogar auf 200. Deutschlandweit hat die IBM rund 2500 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt.

young professional Welche Ursachen gibt es für den Engpaß?

bock Ein offensichtlicher Grund liegt in der Euro- und Jahr-2000-Problematik, aber auch in den stark zurückgegangenen Studentenzahlen in den IT-relevanten Studienfächern. Die distanzierte Haltung gegenüber technischen Disziplinen scheint in Deutschland ein gesellschaftliches Problem zu sein. Manpower fordern aber nicht nur die unausweichlichen "Muß-Projekte, sondern auch deren Auswirkungen: Im Moment entsteht ein zusätzlicher Projektstau in den Firmen. Vieles, was nicht mit dem bevorstehenden Jahreswechsel zusammenhängt, wird hinten angestellt. Zudem erwächst aus dem Internet ein riesiges Potential an neuen Anwendungsmöglichkeiten, das den Bedarf an IT-Spezialisten sprunghaft vergrößert.

young professional Gibt es Bereiche, wo es besonders eng wird?

bock Schwierig wird die Personalsuche vor allem dort, wo es um den Einsatz von neuen Mitarbeitern in spezifischen Kundenprojekten geht, zum Beispiel im Service. Hier ist sowohl Branchen- wie auch IT-Know-how und erst recht kundenorientiertes Denken und Handeln gefragt. Wer etwa unsere Datenbank- oder Data-Mining-Produkte in eine Kundenumgebung integrieren will, muß nicht nur fundierte Kenntnisse in der Entwicklung haben, sondern auch mit Kunden zusammenarbeiten können. Doch auf diesem Gebiet ist der Markt fast leergefegt.

young professional Die Nachwuchsaktivitäten der IBM beginnen bei den Gymnasiasten, die von erfahrenen IBM-Mitarbeitern zu Schnupperwochen eingeladen werden, um Interesse für entsprechende Studienrichtungen zu wecken. Welche Ziele verfolgen Sie damit?

bock Wenn man bedenkt, daß die Studentenzahlen in Mathematik und Informatik in den vergangenen Jahren stark rückläufig waren, kann die Werbetrommel für diese Fächer gar nicht laut genug gerührt werden. Darauf zielt auch das "Akademische Partnerprogramm der IBM ab, das die plattformübergreifende Programmiersprache Java stärker in Schulen und Unis verankern will. Unter dem Motto "Jtrain stellt IBM hier kostenlos Software und beispielsweise das Entwicklungswerkzeug VisualAge for Java zur Verfügung, arbeitet mit Fakultäten zusammen und lädt Seminarleiter und Oberstufenlehrer zu Roadshows ein. Mit der Association of Computing Machines (ACM) unterstützen wir zum Beispiel den "Quest für Java 1999, der die Lösung einer Aufgabe im Internet beinhaltet.

young professional Seit zwei Jahren sponsert IBM auch den Programmierwettbewerb des ACM (siehe Seite 46). Fällt diese Maßnahme ebenfalls unter den Punkt Nachwuchsförderung?

bock Die Unterstützung des ACM-Programmierwettbewerbs hat eher eine werbende Funktion für das Fachgebiet Informatik. Gleichzeitig wird dadurch aber auch Interesse an der gesamten Informatikszene geweckt. Die Programmier-Olympiade ist nur ein weltweiter Baustein im Nachwuchsförderprogramm. Die IBM bietet Werkstudenten-, Praktikanten- und Diplomandenprogramme; und an den Berufsakademien studieren eine ganze Reihe junger Leute, die wir praktisch ausbilden und betreuen.

young professional Erleichtern Ihnen die Nachwuchsprogramme, die Studierenden einen ersten Kontakt zur IBM ermöglichen, später die Personalauswahl?

bock Sicherlich spielt dieser Faktor eine Rolle bei vielen Bewerbergesprächen. Aus den gemeinsamen Projekten von Hochschulen und IBM werden uns tatsächlich immer wieder Kandidaten vermittelt. Vorrangig zielen unsere Praxisangebote jedoch darauf ab, das Hochschulstudium zu ergänzen. Studentinnen und Studenten lernen so ein Stück Praxis kennen und Diplomanden beschäftigen sich mit anwendungsbezogenen Themen.

young professional Bieten die Hochschulen zuwenig Praxis an?

bock Praxiskomponenten sind viel zu selten als Pflichtaufgaben in die Studienfächer eingebaut. Was zudem bei Absolventen der Universitäten auffällt: Ihnen fehlen oft die notwendigen Soft Skills wie Kommunikations- und Präsentationserfahrung. Diese bringen die Absolventen der Berufsakademie mit, da sie bereits während der Ausbildung damit vertraut werden und so sehr schnell in Projekten einsetzbar sind. Die Stuttgarter Berufsakademiker stießen im vergangenen Jahr auf reißende Nachfrage. Ein Großteil "unserer Studenten landete im Service.

young professional Was ist an der berufsakademischen Ausbildung - einer baden-württembergischen "Erfindung - anders als an den Unis und vielen Fachhochschulen?

bock An den Berufsakademien sind Praxis und Theorie eng verknüpft: So lernen die Studierenden, die ja sozusagen im Auftrag eines Unternehmens eingeschrieben sind, im Wechsel ein Semester in der Fachabteilung und dann wieder an der Akademie. Sie finden sich auf diese Weise rasch in der Organisation zurecht und machen erste Erfahrungen in Entwicklungs- oder Kundenprojekten. Hochschulabsolventen haben sich zwar glänzendes Fachwissen angeeignet, doch das projektbezogene Lernen, in dem sich die Teamfähigkeit ausbildet, kommt an den universitären Einrichtungen meist zu kurz.

young professional Fachwissen allein reicht heute nicht mehr aus?

bock Nein. Es ist eine Voraussetzung, aber ohne Sozial- ist Fachkompetenz nicht mehr gefragt. Denn wer es nicht versteht, sein Wissen innerhalb eines Teams weiterzugeben oder seine Fähigkeiten in den Dienst einer Projektgruppe zu stellen, kann nicht zum gemeinsamen Ergebnis beitragen. Bei unseren Einstellungsgesprächen sind Team- und Kommunikationsfähigkeit von besonderem Interesse, sie sind ein Leistungskriterium. Keine Chance haben Mauerblümchen, die im Verborgenen wirken. Schwer tut sich auch jemand, der keine Praxiserfahrung aufweisen kann oder bereits beim Vorstellungsgespräch nicht genau weiß, ob er nun Milch oder Zucker in den Kaffee möchte. Wer sich also schon frühzeitig praktische Einblicke verschafft, hat im Vorstellungsgespräch einen Vorteil.

young professional Würden Sie sich mehr Projektaufgaben an den Hochschulen wünschen, die mit der Teamarbeit vertraut machen?

bock Das wäre für die Herausbildung von Teamfähigkeit sicherlich förderlich. All zu häufig achten die Studierenden nur auf ihr persönliches Abschlußergebnis und nicht auf gute Team-Ergebnisse. Wünschenswert wäre auch ein einsemestriger Auslandsaufenthalt - entweder an einer Hochschule oder in einer Firma. Das hat zwei Vorteile: Die Studenten erwerben mehr Sicherheit in der Zweitsprache und sie können vor Ort beobachten, wie Firmen im Ausland arbeiten. Bewerber stellen häufig die Frage nach den Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten und einem Auslandsaufenthalt. Die IBM bietet vielfältige Wechselmöglichkeiten - nicht nur in puncto Aufgabenschwerpunkten wie Anwendungsentwicklung, Betriebssystementwicklung oder Service, sondern auch innerhalb der geografisch weit verteilten Landesgesellschaften. In unserer deutschen Homepage sind allein 100 offene Stellen exemplarisch ausgeschrieben.

young professional Mit welchen Trends rechnen Sie in der technischen Entwicklung und wirken sie sich bereits in der IBM-Nachwuchsförderung aus?

bock Ein Trend ist die objektorientierte Programmierung unabhängig von den Plattformen. Das Java-Engagement der IBM an Schulen und Hochschulen ist eine Antwort darauf. Ein weiteres wichtiges Feld ist die Wissensverarbeitung. Der Knowledge-Worker sorgt dafür, daß man aus den Informationsbergen die gewinnbringenden Daten schürft. Data-Mining beispielsweise ist ein wichtiger Aufgabenschwerpunkt unseres Böblinger Entwicklungszentrums. Die IBM-Werkstudenten und -Praktikanten kommen so zwangsläufig mit den neuen Themen in Berührung.

Weitere Infos

http://www.software.ibm.de

*Gaby Visintin ist freie Journalistin in Stuttgart.