Der Gastkommentar

Hinter IBM die Steinzeit?

19.03.1993

Ueber die Begleitumstaende (Verlust 1992: mindestens fuenf Milliarden Dollar, zirka 100 000 Entlassungen seit 1986, Verminderung des Unternehmenswertes um rund 50 Milliarden Dollar, Kursverfall der IBM-Aktie auf etwa ein Drittel etc.) ist bereits ausfuehrlich berichtet worden. Fuer Brancheninsider kam dieses Desaster aber nicht ueberraschend, denn hinter der blauen Fassade brodelt es schon seit 1980.

Schon beim Erstkontakt mit der IBM waren Schwaecheanzeichen (sogenannte "Verhaltensindikatoren") nicht zu uebersehen: Rief man bei IBM an, dann wurde man im Durchschnitt sechsmal hin- und herverbunden, bis sich jemand fuer die Kundenbetreuung zustaendig erklaerte. Gegenueber den Zielgruppen des mittelstaendischen Bereiches (in Oesterreich 94 Prozent der Wirtschaft) verhielt sich der IBM-Verkauf laessig arrogant: Die IBM-Vertreter im dunkelblauen Anzug und mit James-Bond-Koffer gaben sich nur mit der High- Society ab (Bank- und Versicherungsdirektoren, Verstaatlichte Industrie etc.), weil nur Interessenten fuer Grossanlagen zaehlten.

Auf Offerteuanfragen anderer Interessenten wurde erst gar nicht reagiert. Ebenso wurden Kundenbesuche verweigert und dem betreffenden Unternehmer nahegelegt, sich wie ein Bittsteller in die Zentrale zu bemuehen ("Mercedes-Verhalten"). Solche Geringschaetzungen haben die Mittelstaendler der IBM in Wahrheit nie vergessen, zugunsten von Philips Data, Kienzle etc., wo die persoenliche Betreuung grossgeschrieben worden war.

Als dann IBM auf die betriebswirtschaftliche Schnapsidee kam, die Verantwortung fuer Software und Support von der Hardware abzukoppeln, um sich ausschliesslich auf den Geraetehandel zu konzentrieren (das schnelle Geld moeglichst ohne Verantwortung), war der Sturz vorprogrammiert. Denn zu gleicher Zeit wurde der Unternehmerschaft von ihren Interessensvertretungen, Rechtsanwaelten und EDV-Beratern eingegeben, sich nur auf jene EDV-Hersteller einzulassen, die ihre Systeme nach dem Verantwortungsprinzip "alles aus einer Hand" vertrieben. Es war klar, dass sich mittelstaendische Unternehmer auf eine dreifache Zersplitterung der Systemverantwortung á la IBM nicht einlassen konnten. Als ehemaliger Schrittmacher der Computerbranche galt IBM jahrzehntelang als Symbol fuer den technologischen Fortschritt in der Fuehrung und Steuerung von Unternehmen, die IBM als Inbegriff fuer vorbildliches Management. Dieses Image war ja Voraussetzung fuer den erfolgreichen Verkauf der hochpreisigen IBM-Produkte, die als "Organisation pur" vermarktet wurden.

Was nun viele Kunden und Interessenten ernuechtert: Wie kann ein Unternehmen, das mit seinen Computern "optimales Management" verkauft hat, sich selbst so schlecht organisieren, dass es in eine solche Krise geraten ist? Der Kundenoeffentlichkeit beginnt durch dieses IBM-Desaster bewusst zu werden, dass die grossen Computerhersteller um nichts besser organisiert sind als sie (die mittelstaendischen Betriebe) selbst. Und die Leute beginnen sich an die Binsenweisheit der Natur zu erinnern, dass die "kleinen" Insekten immer mehr werden, waehrend die Dinosaurier seit 60 Millionen Jahren tot sind. Das ist fuer die Kundenoeffentlichkeit (der man staendig mittelalterliche Rueckstaendigkeit in ihrer Organisation vorgeworfen hat) ein Trost, fuer IBM hingegen eine wichtige Frage der kuenftigen

Glaubwuerdigkeit: Wie soll man in Zukunft an IBM-Produkte glauben, wenn die Leute in der Zwischenzeit erkannt haben, dass die von IBM mitverkaufte "Organisations-Methodik" mehr Illusion als Realitaet ist. Diesbezueglich wird der bislang hochverehrten IBM sicher viel Imageglanz abhanden kommen. Marketing-Fachleute meinen, dass IBM durch die nun offenkundig gewordene Organisationsschwaeche die Kundenehrerbietung (fuer gute Gewinne unerlaesslich) schlagartig verloren habe, so wie man einem Porsche-Verkaeufer nicht glaubt, wenn er selbst in einem 2CV vorfaehrt.

Als Hauptursache fuer die IBM-Krise nennen Kommentatoren, dass das IBM-Management auf die Marktentwicklung von der Gross-EDV zur Klein-EDV teils zu langsam, teils ueberhaupt nicht reagiert habe. Dieses gaengige Argument erklaert aber nicht, wieso das alles bei IBM geschehen konnte. In Wirklichkeit ist Big Blue Opfer von Fehlverhaltensmustern geworden (siehe Kasten).

Diese Verhaltensweisen stammen aus der Steinzeit. In der heutigen Zeit fuehren sie zu einer Art Selbstzerstoerung. Externe und interne Beobachter der IBM-Szene sowie viele IBM-Kunden halten dieses Fehlverhalten fuer die wahre Ursache der gegenwaertigen IBM-Krise. Sicherlich wird sich der wankende Riese wieder erholen, aber nur dann, wenn innerbetriebliche Prozeduren installiert werden, die das negative Manager-Verhalten kanalisieren und eindaemmen. Die neuen IBM-Maenner sind bereits unterwegs.

*Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus unserer oesterreichischen Schwesterpublikation Computerwelt vom 24. Februar 1993.

IBM: Ursachen einer Krise

- Verwaltungsmentalitaet: Eine typische Verhaltensweise entscheidungsschwacher Manager ist, dass sie in die Buerokratie fluechten und sich mit Verwaltungsaufgaben und -fragen verzetteln, statt zu reorganisieren und rationalisieren.

- Als Folge davon die Aufblaehung des Verwaltungsapparates, in dem die Administrateure mehr galten als das Marketing- und Verkaufspersonal. Verwaltungswucher auch durch das betriebsinterne Machtstreben im Kampf um die Kompetenzen. Die Befoerderung wurde davon abhaengig gemacht, wieviele Mitarbeiter man unter sich hatte.

- Kaschieren: Typisch fuer jede uebermaessige Buerokratie ist das gezielte Uebersehen von Schwierigkeiten, Problemen und Verlustquellen, gepaart mit der Feigheit, sich ja nicht durch Loesen von Problemen persoenlich zu exponieren.

- Verdraengen: Um nicht handeln zu muessen, redet man sich darauf aus, dass gar keine Notwendigkeit fuer Massnahmen bestuende und es sinnvoller sei, noch abzuwarten. IBM verkaufte zwar Fruehwarnsysteme, praktizierte aber bei sich selbst keines (daher die Ueberraschung ueber die Verlusthoehe, wie ein kleiner Spediteurbetrieb, dem es auch nicht anders ergangen waere).

- Selbstueberschaetzung: Infolge ihres Eigenduenkels waren IBM- Manager nie begierig nach den Erfahrungen anderer.

- Zeitlupenentscheidungen: Der Entscheidungsprozess hat nach Meinung von IBM-Angestellten in vielen Belangen viel zu lange gedauert. Es ist eine Erfahrungstatsache: Je groesser und buerokratischer, desto weniger kreativ und desto weniger wird auch innoviert.

- Kundenarroganz: IBM-Direktoren wird von Kundenseite her nachgesagt, dass sie im Umgang mit Kunden wie Tempelgoetzen residierten und die User ihre Abhaengigkeit schmerzlich fuehlen liessen. Allgemeines negatives Gerede ueber die IBM war die Revanche.

- Rivalitaeten unter den Fuehrungskraeften, Kompetenzkaempfe zwischen den Abteilungen, Intrigen (bei denen jeder gegen jeden ist), Freunderl- und Cliquenwirtschaft in der IBM-Hierarchie ("wir wollen unter uns bleiben") sowie Revierverteidigung mit staendigen Reibereien zwischen den Abteilungen (nach dem Motto: "Das ist unsere Sache, das geht die anderen nichts an") bewirkten ein miserables Abteilungs- und Manager-Teamwork.

- Sich druecken: Folge davon war unweigerlich, dass viele Entscheidungen verweigerten, natuerlich nicht offen, direkt, sondern hinter Vorschriften, Reglements etc. verschanzt.

- Natuerlich haengt es auch mit der Konzerngroesse zusammen, dass an den Schaltstellen nicht immer die Faehigsten sassen, denn im Dickicht eines ueberzuechteten Verwaltungsapparates koennen sich Minderqualifizierte, Faule und Feige gut verstecken und ein Betriebsklima schaffen, das jene, die im Interesse des Unternehmens Initiative zeigten, als Unruhestifter brandmarkte, um sie aus dem Unternehmen hinauszuekeln. (R. H. Hytha)