Trends '95/Der Markt ist fuer den Softwareriesen gefaehrlicher als das Kartellrecht

Highway-Ausbau uebertoent die Microsoft-Monopol-Diskussion

05.01.1996

Zieht man Bilanz, so hat kein Verfahren Microsofts Position im Markt je erkennbar einschraenken koennen. Die eigentliche Bedrohung kommt fuer Microsoft vom Markt selbst. Und beide Feststellungen koennen eigentlich niemanden ueberraschen, am wenigsten Microsoft.

Das Kartellrecht ist ein Instrument, das in sich schnell entwickelnden Maerkten oft nicht ausreichend flexibel reagieren und Wirkungen erzielen kann. Bevor ein Verfahren ueber mehrere Instanzen rechtskraeftig entschieden ist, kann sich der Markt fuer das jeweilige Produkt laengst grundlegend gewandelt haben.

Ein markantes Beispiel hierfuer ist das vom Department of Justice (DOJ) gegen Microsoft angestrengte Antitrust-Verfahren von 1994. Das DOJ stuetzte seine Klage auf eine Reihe von Verletzungen des im Tunney Act /1/ modifizierten Anti-Trust-Law, insbesondere im Rahmen der Vergabe von ausschliesslichen Lizenzen. In diesem Sinne nannte das DOJ die "Per-Processor"-Lizenz, die von Original Equipment Manufacturers (OEMs) auch dann zu zahlen ist, wenn sie ihre PCs mit anderen Betriebssystemen betreiben als dem von Microsoft, wodurch der Erwerb von Lizenzen anderer Betriebssystem- Anbieter praktisch ausgeschlossen werde. Das DOJ kritisierte auch die Mindestlaufzeit solcher Lizenzvereinbarungen von drei Jahren.

Weiter wies das Ministerium auf sehr restriktive Regelungen in Nichtoffenlegungs-Vereinbarungen (Non Disclosure Agreements = NDAs) mit unabhaengigen Entwicklern (Independent Software Vendors = ISVs) waehrend der Entwicklung neuer Systemsoftware hin, insbesondere auch in Betatest-Vereinbarungen fuer Windows 95. Diese Vereinbarungen enthalten zusaetzliche laengerfristige Wettbewerbsverbote.

Ein "Memorandum of Amicus Curiae"

Eine Klaerung dieser Vorwuerfe zeichnete sich erst im Februar 1995 ab, als einige anonym gebliebene Microsoft-Konkurrenten ein unterstuetzendes, 96seitiges "Memorandum of Amicus Curiae" bei Gericht einreichten. Da die Verfahrensparteien DOJ und Microsoft dem Gericht anscheinend nicht genuegend Informationen zur Verfuegung gestellt hatten, brachte erst dieses Papier die notwendige ergaenzende Aufklaerung, insbesondere hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen und monopolbezogenen Auswirkungen des Vorgehens von Microsoft. Das hatte die Kunden letztlich vielfach an der Auswahl des besten Programms gehindert.

Erstaunlich offen formulierte der zustaendige Richter Stanley Sporkin, der eine vorlaeufige Vereinbarung ("Consent Decree") zu pruefen hatte, sein "Memorandum Opinion" vom 14. Februar 1995. Nach seiner Meinung fehlten die zur Entscheidungsfindung erforderlichen Informationen. Ebenso monierte er den Umstand, dass Windows NT und die Politik der marktlaehmenden Vorankuendigungen (noch) nicht existenter Software ("Vaporware") vom DOJ nicht in das Verfahren einbezogen wurden. Sporkin wollte also das Verfahren deutlich ausgeweitet sehen.

Der Court of Appeals hob in einer ebenfalls sehr deutlichen Urteilsschelte Richter Sporkins Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an einen anderen Richter zurueck. Das Distriktgericht haette den Verfahrensgegenstand nicht ueber den DOJ-Antrag hinaus auf andere Microsoft-Praktiken ausdehnen duerfen. Vaporware und Windows NT seien keine Verfahrensthemen.

Die Berufungsinstanz weigerte sich, inhaltlich den von Richter Sporkin kritisierten Consent Decree zwischen Microsoft und dem DOJ zu pruefen, verpflichtete vielmehr den neuen Richter, die Vereinbarung fuer wirksam zu erklaeren. Der vom Erstgericht /2/ ausgeweitete Pruefrahmen vom Instanzgericht /3/ war wieder erheblich eingeschraenkt worden, was auch fuer zukuenftige Verfahren nicht ohne Bedeutung ist.

Was bedeutet dies nun fuer andere Software-Anbieter und Kunden sowie konkret fuer den Fortgang des Verfahrens in materiellrechtlicher Hinsicht?

Die Verfahrensverzoegerung verzoegerte und erschwerte auch die Pruefung der kartellrechtlichen Aspekte der technischen Verknuepfung von Windows 95 mit Internet-Software. Deshalb war die Markteinfuehrung von Windows 95 aus Perspektive dieser Pruefung im Sommer 1995 zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefaehrdet.

Der Consent Decree kann sich nur auf zukuenftige Vertraege ueber DOS- und Windows-Verkaeufe sowie NDAs beziehen. Die kartellrechtliche Beurteilung von Windows 95 und dem Online-Dienst Microsoft Network (MSN) bleibt ausgeklammert. Hat nun Microsoft mit Windows 95 Erfolg, geht der Consent Decree ins Leere, da die in ihm behandelten aelteren Betriebssysteme ohnehin abnehmende Marktbedeutung haben und der Consent Decree ausserdem mit keinerlei Anerkenntnis aus Rechtsverletzungen seitens Microsofts verbunden ist. Auch hindert der Consent Decree Microsoft nicht, sein Netz mit Windows 95 zu verknuepfen oder weiterhin strenge Nichtoffenlegungs-Vereinbarungen zu schliessen.

90 Prozent vom Kuchen fuer Microsoft und Intuit

Allgemein als aussichtsreicher wurde die Antitrustklage des DOJ gegen Microsoft vom 27. April 1995 wegen der geplanten Intuit- Uebernahme eingestuft, moeglicherweise auch von Microsoft selbst. Das Unternehmen zog deshalb am 20. Mai 1995 sein Kaufangebot zurueck. Das DOJ argumentierte, die Zusammenfuehrung von Intuits Finanzprogramm "Quicken" mit Microsofts Alternative "Money" wuerde zu einer wesentlichen Konzentration am Markt fuehren, da Microsoft und Intuit bereits 90 Prozent des betreffenden Marktsegmentes kontrollierten. Ausserdem haette Microsoft die derart monopolisierte Finanzdienstleistung in Kooperation mit Mastercard online im Internet oder im MSN anbieten koennen, und zwar via Windows 95 von jedem PC aus.

Waehrend also kartellrechtliche Kontrollmassnahmen wenig substanzielle Ergebnisse brachten, fuehrt gegenwaertig der Markt wesentlich wirksamere Korrekturen hierbei. MSN soll nun unmittelbar als Anbieter im Internet positioniert werden, aehnlich wie mittlerweile auch Europe Online. Der in Windows 95 vorgesehene Zugang zum MSN wird damit zum blossen Internet-Access, wie er bereits erfolgreich von anderen Firmen wie Netscape angeboten wird, und MSN zu einem Internet-Provider wie andere auch.

Monopolfaehige Internet-Tools von Microsoft sind gegenwaertig nicht in Sicht. Eine Kontrolle des Internet-Zuganges durch Microsoft mittels Systemsoftware scheint deshalb zur Zeit nicht zu drohen, jedenfalls nicht von der Basis Windows 95 aus.

Vielmehr koennten Ansaetze zu neuartiger Software, die Applikationen bei Kunden ueber das Internet per Server steuert (Stichwort: Sun/Java), sogar Rueckwirkungen auf die bis jetzt Microsoft- dominierten Marktsegmente haben. Wenn Kunden nicht mehr grosse Anwendungspakete mit teils hypertropher Funktionalitaet kaufen muessen, sondern genau die jeweils benoetigten Funktionen fuer den erforderlichen Zeitraum einfach aus dem Internet in stets aktueller Version herunterladen koennen, werden sich nicht nur Funktion und Vertrieb bisheriger Software deutlich wandeln, sondern auch die Rolle der Systemsoftware.

Monopolbildung koennte dann eher im Bereich der Netzverwaltungssoftware auftreten, die auch die Funktion der Rechnersteuerung uebernehmen kann. Ansaetze hierzu sind in der automatischen Netscape-Softwarekonfiguration durch T-Online zu erkennen. Inwieweit sich diese technologischen Trends durchsetzen, bleibt abzuwarten.

Schon jetzt ist aber deutlich erkennbar, dass sie Microsofts Marktmacht wesentlich staerker beeinflussen werden als etwa alle Versuche, entsprechend dem Verfahren gegen Mother Bell Microsoft in mehrere kleine "Baby Gates" zu zerlegen.

Dies zeigt sich schon am Bestreben von Microsoft, staerker mit den Anbietern von Telekommunikationsnetzen zusammenzuarbeiten.

/1/ US-Tunney Act (15. U.S.C. Sect. 16 (b) 1988).

/2/ US District Court of Columbia.

/3/ Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, Dec. 16 Juni 1995, No 95-5037.

*Dr. Frank Koch ist freier Rechtsanwalt in Muenchen.