High-Tech-Arbeitsplaetze in rauher Umgebung Bochumer Walzwerk verpackt Stahlblech mit Designer-Grafik

12.05.1995

MUENCHEN (ua) - Der GUI-Markt boomt, doch ergonomisch gute Oberflaechen, die die Produktivitaet des Benutzers sinnvoll foerdern, gibt es nur wenige. Unmittelbar einleuchtend und erfolgversprechend erscheint daher die Idee, dass sich vor aller Programmierung ein Grafiker mit der Mensch-Maschine-Schnittstelle befassen muss. Die EBG, Bochumer Hersteller von elektromagnetischem Blech (siehe Kasten), probierte dieses Konzept aus.

Aufwendig, aber lohnenswert war bei der EBG die fruehzeitige Einbindung der Endanwender, die die Palettierungsanlage PAL 2 bedienen. "In einem Monat waren 130 Maskentypen mit allen Schichten zu je 20 Mann komplett durchgesprochen", so Hannes Bauer, Geschaeftsfuehrer der Essener Iosys GmbH, die das Oberflaechenkonzept realisierte.

Vor fuenf Jahren etwa habe man sich ueberlegt, die Adjustage des Kaltwalzwerks zu erweitern, erlaeutert Volker Weinreich, Projektingenieur bei der EBG. Die Aufgabe dieses Werkbereichs ist das kundenspezifische Zerteilen und Verpacken von jaehrlich etwa 300000 Tonnen Elektroblech.

"Die Anlagen sollten durch eine verbesserte Steuerung leistungsfaehiger werden und den Durchsatz erhoehen." Teil des Projekts war zudem der Neubau der PAL 2.

Der Auftrag zur Automatisierung ging an die PSI AG, Berlin. Aus diesem Umfeld stammt auch die Idee fuer die Realisierung der grafischen Oberflaechen mit Hilfe eines Grafikers. Werner Simonsmeier, technischer Projektleiter beim PSI-Geschaeftsbereich Fertigungsindustrie, formuliert zwei Voraussetzungen, unter denen sich eine derart aufwendige Gestaltung der Oberflaeche lohnt: Das GUI muss die Funktionalitaet der Anwendung abbilden koennen. Ausserdem sollte das Projekt einen gewissen Umfang haben, damit sich die Investition rentiert.

Maschinen der Art, wie sie bei der EBG eingesetzt werden, erfordern eine sehr effiziente und einfache Kommunikations- Schnittstelle zum Bediener, dessen Auftrag in der Ueberwachung, Lenkung und Stoerungsbeseitigung liegt. Kommunikations- und Bedienfehler rufen Stillstandszeiten hervor und bedeuten Produktionsausfall. Im Laufe der Projektarbeit gruendeten dann ehemalige PSI-Mitarbeiter die Firma Iosys. Geschaeftsfuehrer Bauer: "Mit Windows-Oberflaechen kaeme man hier nicht weiter."

Zur Initialisierungsrunde fuer das Oberflaechenkonzept gehoerten Verantwortliche aus dem Kundenunternehmen, die im Gespraech den Part des Endanwenders uebernahmen sowie ein Grafiker und ein Techniker, der die Programmierseite vertrat. Anhand eines charakteristischen Geschaeftsvorgangs liess sich ein Grobkonzept erstellen. Es lieferte als Ergebnis eine Baumstruktur vom Eingangsmenue bis zu den Seitenarmen, das die Ablauflogik des Bedienkonzepts an den verschiedenen Arbeitsplaetzen repraesentierte.

Gleichzeitig klaerten die Beteiligten, welche Anforderungen an die Masken zu stellen waren, wie teuer die Gestaltung werden konnte, das zur Verfuegung stehende Budget und den erforderlichen Komfort. Dafuer wurde ein generelles Bedienkonzept aufgestellt und die Vergabe von Berechtigungen geklaert.

Ausgangspunkt fuer die Anforderungen an einzelne Masken waren die Datenstrukturbeschreibungen der Ein- und Ausgabe-Schnittstellen im Pflichtenheft. Darueber hinaus musste festgelegt werden, welche Funktionen in Gang zu setzen und welche Bezuege zu anderen Verarbeitungsschritten zu beruecksichtigen waren. Ausserdem wurden die Sekundaerinformationen fuer den Anwender und die Wertigkeit einzelner Datenfelder festgeschrieben. Schliesslich mussten Maskentypen definiert werden. Grafiken, die der Verdeutlichung von Anforderungen dienten, hatten die Qualitaet von Handskizzen.

Anhand der so formulierten Bedingungen erstellte der Grafiker eine Layout-Aufsichtsvorlage, Entwuerfe fuer die Icons sowie allgemeine Gestaltungsmerkmale wie Schriftgroessen, Groessenverhaeltnisse, Farbabstufungen und Anordnungsvorschlaege. Dieses Regelwerk wurde vom Verantwortlichen korrigiert und vom Programmierer auf die technische Realisierbarkeit ueberprueft.

Fuer das Projekt war Joachim Dietl, Diplom-Grafik-Designer aus Berlin, taetig. Normalerweise gestaltet er Anzeigenflyer und Werbegrafiken, hat mit Fotos, Layout und Umbruch zu tun. "Was Computerprogramme betrifft, bin ich noch immer ein Neuling. Anders als bei der Vermarktung von Gummistiefeln etwa gibt es bei der Gestaltung von Bildschirmoberflaechen keine Moeglichkeit fuer zusaetzliche Erklaerungen, weder als Text noch in der Bebilderung. Der Inhalt, die Information steckt hinter der Oberflaeche und ich habe nur wenige Elemente, um ihn deutlich zu machen."

Massgabe fuer seine Maskengestaltung sei eine "reduzierte Farbgebung", lieber Grotesk- als Serifenschriften, nur in Einzelfaellen Symbole und Animationen nur, wenn sie unbedingt sein muessen. Die Anzahl der Knoepfe beschraenkt er auf sechs bis acht. Graustufen dienen als Grundlage. Farbe (gelb oder rot) kommt hauptsaechlich bei Warnfunktionen ins Spiel. Dietls Maxime: Das, was Aufmerksamkeit erregen soll, muss ins Auge fallen.

Iosys-Chef Bauer schaetzt die Zeit, die benoetigt wird, bis die ersten Entwuerfe stehen, bei 30 bis 40 Dialogmasken auf ungefaehr zwei Wochen. "Ist das Konzept jedoch vom Kunden abgesegnet, ist Programmierung mit irgendeinem GUI-Tool reine Routinesache. Programmiert man nach den Vorgaben des Grafikers, dauert es statt drei Wochen nur noch drei Stunden."

Nach diesem Schritt bekam die EBG die mit dem GUI-Werkzeug erstellten Prototypen zu sehen. Bauer spricht vom Aha-Erlebnis beim Kunden, der nun einen Eindruck davon erhielt, was die kuenftige Anwendung leisten konnte und ob sich die Investition lohnen wuerde. Zugleich liess sich feststellen, was in der Konzeption vergessen worden war.

Eine wesentliche Rolle spielte in dieser Phase auch die Kritik der Endanwender. "Die Leute, die jeden Tag mit der Anlage arbeiten, wissen sehr gut, was sie brauchen", erlaeutert EBG-Ingenieur Weinreich den ungewoehnlichen, offensichtlich jedoch effektiven Schritt. Neben der Aufdeckung der Schwachstellen diente die fruehzeitige Einbindung der Endanwender zudem der Foerderung ihrer Motivation.

Gewandelt hat sich das Selbstverstaendnis der Arbeiter an den Anlagen: "Die Bediener wurden zu Kontrolleuren." So lassen sich etwa die Materialdaten, die frueher anderswo verwaltet und durch zusaetzliche Wege eingeholt wurden, nun ueber den Bildschirm per Maus und Tastatur abrufen und ueberpruefen. Die Eingriffsmoeglichenkeiten in den maschinellen Prozess wurden verbessert, die Anlagen sind bedienbarer, werten alle Projektbeteiligten. Nur eines wird von den Endanwendern bedauert. Sie vermissen die grossen Schalthebel.