Hierzulande werden Querdenker erst ganz allmaehlich ernst genommen

21.04.1995

CW: Die Begriffe Groupware und Workflow werden oft in dieselbe Schublade gesteckt. Zu Recht?

Nastansky: Zunaechst werden solche Begriffe ja immer vom Marketing gepraegt. Aber von der Sache her gehoeren die Teamkommunikation und die Prozesssicht auf Ablaeufe sicher eng zusammen.

CW: Sie vertreten die Ansicht, Prozesse liessen sich besonders gut auf der Basis eines Groupware-Systems erstellen. Inwiefern?

Nastansky: Bei herkoemmlichen Workflow-Systemen muessen Sie erst einmal 100000 bis 200000 Mark investieren, um Formulare zu entwerfen, Parameter einzustellen etc. Diese Systeme sind nicht Message-getrieben - im Unterschied zu einer Workgroup-Software, wie Lotus Notes sie verkoerpert. Hier fliessen die Message-Objekte, also nicht nur Daten, sondern auch Verarbeitungsinformationen, physisch von einem Rechner zum anderen. Diese Technologie unterscheidet sich damit grundlegend von der klassischen DV- Welt, wo es eine zentrale Datenbank gibt, in der Schalter an- und abgesetzt oder Zahlen geaendert werden.

CW: Aber diese Welt existiert nun einmal. Wollen Sie sie mit Notes neu erschaffen?

Nastansky: Nein, sicher nicht. Was den Bereich der prozeduralen Datenverarbeitung betrifft, so kann man beispielsweise mit SAP eine ganze Menge machen. Aber wir sehen Notes als notwendige Ergaenzung. Bisher sind doch ueberhaupt nur fuenf Prozent der fuer den Betrieb wichtigen Informationen im Computer gespeichert. Notes adressiert die restlichen 95 Prozent.

CW: Als Software-Unternehmer, der auf der Basis von Notes entwickelt, sind Sie nicht ganz unparteiisch ...

Nastansky: Aber Sie haben den Kern meiner Aussage ja bereits von neutraler Seite bestaetigt bekommen, naemlich vom Informations- Management der Deutsche Babcock AG (vgl. CW Nr. 10 vom 10. Maerz 1995, Seite 1 und Seite 7, Anm. d. Red.).

CW: Wie Notes dort eingesetzt wird, ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel.

Nastansky: Ja, sicher. Diese Technologie ist noch weitgehend unverstanden. Beispielsweise wird immer wieder vergessen, dass es sich bei Notes im Kern um eine verteilte Datenbank handelt. Aber eigentlich laesst sich diese Technologie mit nichts vergleichen, was wir kennen. Sie ermoeglicht keine Evolution, sondern erfordert einen Strukturbruch. Und der wird um so schwieriger, als hier dieselben Bestandteile vorhanden sind wie in konventionellen Systemen. Aber sie spielen ganz anders zusammen. Und das gilt nicht nur fuer die Technik, sondern auch fuer die Psyche der Benutzer. Notes liegt ein zutiefst demokratisches Modell zugrunde.

CW: Das ist schoen, entspricht aber wohl kaum der Realitaet in den Unternehmen.

Nastansky: Als Hochschullehrer muss ich Ihnen da recht geben. Als Kaufmann tue ich mich damit etwas schwerer. Denn solche Aussagen sind doch eher marktschaedigend.

CW: Der kommerzielle Erfolg von Notes spricht eine andere Sprache.

Nastansky: Dieser Erfolg beschraenkt sich bislang auf die USA, wo sich Notes seit anderthalb Jahren hervorragend verkauft. Hierzulande werden die Querdenker erst ganz allmaehlich ernst genommen.

CW: Gegen wen wird Lotus kuenftig seine Alleinstellung verteidigen muessen?

Nastansky: Der einzige Wettbewerber, den ich sehe, ist Microsoft mit seinem Cairo-Ansatz. Die Analogie besteht darin, dass es hier wie dort Objekt-Repositories, Messaging-Objekte, Replikationsfaehigkeit etc. gibt. Aber Microsoft hat Schwierigkeiten mit dem Groupware-Gedanken. Denn der wird nicht durch die Techno-Freaks, sondern durch Benutzer vorangetrieben.

CW: Sie selbst verdienen Geld mit einer Workflow-Schicht, die Sie ueber Notes legen. Wieso lassen Sie die Benutzer nicht selbst ihre Anwendungen entwickeln?

Nastansky: Von Bedeutung und Funktion her sehe ich Notes als das Cobol der 90er Jahre. Das heisst aber auch: Wenn Sie eine Notes- Diskette in den Computer schieben, haben Sie noch nichts von dem, was beispielsweise bei der Deutschen Babcock verwirklicht wurde. Wir ziehen also zwischen Notes und der eigentlichen Anwendung eine Schicht ein, die den Anwenderunternehmen die Entwicklung erleichtern soll - quasi ein CASE-Tool fuer Notes-Anwendungen.

Professor Dr. Ludwig Nastansky lehrt am Fachbereich Wirtschaftinformatik der Gesamthochschule Paderborn. Das von ihm mitbegruendete Software-Unternehmen Pavone vermarktet eine Workflow-Loesung auf der Basis von "Lotus Notes".

Das Gespraech fuehrte CW-Redakteurin Karin Quack.