Hessisches Polizeiprojekt erregt bundesweit Aufsehen Kompromisslose Ausschreibungspolitik erweist sich als erfolgreich

16.07.1993

Mehr als drei Jahre arbeitet das hessische Landeskriminalamt nun an seinem Projekt Hepolas - zunaechst mit Hilfe des Generalunternehmers Siemens-Nixdorf, dann im Alleingang. Inzwischen koennen die Hessen Ergebnisse vorweisen. Derzeit wird im Frankfurter Polizeipraesidium ein Pilotsystem in Betrieb genommen, das Vorgangsbearbeitung, Nachrichtenuebermittlung und Datenauswertung optimieren soll.

Wir sind zu einem Wallfahrtsort geworden", beschreibt Kriminaldirektor Kraft-Gunther Koerber vom hessischen Landeskriminalamt in Wiesbaden das gestiegene Interesse am Hessischen Polizeilichen Arbeitsplatzsystem (Hepolas). Was DV- technisch zunaechst in der Main-Metropole, spaeter in ganz Hessen geschehen soll, wird nicht nur von den Polizeibehoerden anderer Bundeslaender, sondern auch im Ausland mit groesster Aufmerksamkeit verfolgt.

Insgesamt 15 400 Beamte und Angestellte der Schutz-, Kriminal- und Wasserpolizei in Hessen erhalten bis Ende des Jahrtausends eine neue, automatisierte DV-Umgebung, bestehend aus 3000 Arbeitsstationen. Damit zaehlt Hepolas zu den groessten Unix- Projekten in Deutschland.

Zunaechst sollen im Frankfurter Raum ein Regionalrechner und 50 Dienststellenrechner als Server-Systeme sowie 650 Arbeitsplaetze auf X-Terminal-Basis eingerichtet werden. Weil Schichtdienst und Mehrfachnutzung bei den Polizeibehoerden an der Tagesordnung sind, duerften diese Arbeitsplaetze von rund 3500 Bediensteten genutzt werden. Ein Anfang wurde in der Region Hofheim gemacht, wo vor wenigen Tagen die ersten Systeme eingefuehrt wurden.

Ziel des Hepolas-Projektes ist es zunaechst, die Vorgangsbearbeitung grundsaetzlich zu optimieren. So sollen kuenftig Strafanzeigen und Fahndungen per Computer in allen Dienststellen einheitlich bearbeitet werden - und zwar in einem Bruchteil der bisher benoetigten Zeit. Die Hessen erwarten von dieser Automatisierung eine deutliche verbesserte Ablauforganisation: "Die Trennung der aufnehmenden von der sachbearbeitenden Dienststelle koennte aufgehoben werden", kalkuliert Kriminaloberrat Bernd Paul.

Das System soll die Kommunikation mit dem landesweit eingesetzten Grossrechner-System "Hepolis" ermoeglichen, in dem unter anderem Hinweise ueber Straftaten, Fahndungsverlaeufe und den Verbleib von Kriminalakten gespeichert sind. Ueber Hepolis ist wiederum der Zugiff auf das ueberregionale Informationssystem der Polizei (Inpol) sowie auf verschiedene bundesweite Datenbestaende moeglich, etwa die Verkehrssuenderkartei in Flensburg oder das Auslaender- Zentralregister in Koeln.

An das Wiesbadener Grossrechner-System Hepolis sind bisher nur 450 Terminals angebunden. Das duerfte sich grundlegend aendern: Geplant ist, landesweit von allen 3000 Arbeitsplaetzen aus je nach Berechtigungsstatus den Zugriff auf Hepolis sowie auf weitere ueberregionale Datenbestaende zu ermoeglichen.

Die Hessen treffen nicht zuletzt aus diesem Grunde Vorbereitungen fuer den Aufbau eines eigenen polizeilichen X.25-Datennetzes auf Basis des TCP/IP-Protokolls. Ueber dieses Netz sollen die Regionalrechner untereinander und mit dem Zentralrechner in der Landeshauptstadt Wiesbaden verbunden werden.

Nachdem Hepolas seit ueber drei Jahren im Gespraech ist, draengen die Kriminalbeamten darauf, endlich Naegel mit Koepfen zu machen. "Innerhalb eines Jahres wird der gesamte Bereich des Polizeipraesidiums Frankfurt automatisiert", steckt Kriminaldirektor Koerber den zeitlichen Rahmen ab. Die Erfahrungen, die hier gesammelt werden, sollen so bald wie moeglich in aehnliche Projekte der Regionen Offenbach, Darmstadt, Wiesbaden, Giessen und Kassel einfliessen.

Mit den DV-Systemen, so argumentieren die Verantwortlichen gegenueber dem Innen- und dem Finanzministerium des Landes Hessen, wird sich die Motivation und Arbeitsqualitaet der Polizeimitarbeiter erheblich verbessern.

Vor gut einem Jahr war das Projekt erstmals in die Schlagzeilen geraten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das hessische Landeskriminalamt auf einen

Generalunternehmer, die Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI) AG, vertraut. Die Muenchner hatten den Auftrag, fuer die hessische Polizei ein DV-System fuer die Vorgangsbearbeitung zu realisieren; bis dahin waren lediglich vereinzelt Stand-alone-PCs vorhanden, ansonsten klapperten noch die mechanischen Schreibmaschinen.

Die Partnerschaft mit SNI fand jedoch nach zweieinhalb Jahren ein vorzeitiges Ende. Nach Abschluss des fachlichen Feinkonzeptes nutzten die Kriminaler eine Aufloesungsklausel im Vertrag und entliessen den Muenchner Konzern aus der Verantwortung. Mit dem Projektverlauf waren die Hessen zu diesem Zeitpunkt alles andere als zufrieden: Die SNI-Mitarbeiter erwiesen sich als unerfahren, das abgelieferte Feinkonzept war "aus DV-technischer Sicht" unzureichend. Es wurde mit Hilfe der Ploenzke AG, Kiedrich, neu ueberarbeitet.

Damit ging dem groessten deutschen Computerkonzern ein Millionenauftrag verloren, denn SNI sollte urspruenglich auch die ersten Hardwaresysteme, bestehend aus vier Unix-Servern und 700 PCs, liefern (siehe auch CW Nr.28 vom 10. Juli 1992, Seite 1: "Maengel-Projekt bringt SNI um Millionenauftrag"). Von der Generalunternehmerschaft eines DV-Herstellers will Projektchef Koerber heute nichts mehr wissen: "Die Verantwortung traegt man ja doch am Ende selbst", stellt der Leiter Informations- und Kommunikationstechnik des hessischen Landeskriminalamtes fest.

"Wir haben unser Projekt neu positioniert und uns den Technologiewandel zunutze gemacht", beschreibt er die geaenderte Strategie. Ein faehiger Projektleiter sei eingestellt worden, ihm habe man ein Team zur Seite gestellt, das gleichermassen aus DV- Experten und Anwendern bestehe.

Die Polizeimitarbeiter definierten ihre Technologie- Voraussetzungen komplett neu. Die Unterstuetzung von Unix V.4 wurde zum Mass aller Dinge, an dieser Huerde scheiterten auch so populaere Anbieter wie die IBM mit ihrer Unix-Variante AIX. "Wir haben mit Unix-Derivaten nichts mehr am Hut", bilanziert Kriminaldirektor Koerber, der Systemoffenheit als hoechstes Gebot ansieht.

Unzweideutig ist auch die Einstellung der Kriminalbeamtem zum Modetrend Client-Server: Als zu kompliziert und betreuungsintensiv verwarf die Behoerde ihre angedachte Client-Server-Strategie. Statt vernetzten PCs mit verteilten Anwendungen und verteilter Datenhaltung kommen nun Unix-Server mit X-Terminals und Laserdruckern zum Einsatz.

Wichtigstes Argument fuer die Einfuehrung eines Server-Terminal- Konzeptes sei die Wartungsfreundlichkeit: "Wir koennen es uns nicht leisten, eine riesige Betreuungsorganisation einzurichten", erklaert der Kriminaldirektor. Die Administrations- und Upgrade- Kosten muessten in Grenzen gehalten werden. Es fehle am noetigen Personal, um eine komplexe Client-Server-Architektur langfristig betreuen zu koennen.

So gab es auf der Hardwareseite - zunaechst begrenzt auf das Frankfurter Projekt - jeweils EG-weite Ausschreibungen fuer Server- Systeme, X-Terminals und Laserdrucker. Insgesamt trafen 166 Angebote bei der Behoerde ein. Fuer das Polizeipraesidium Frankfurt wurden schliesslich nach ausgiebiger Evaluationsphase 54 Rechner von der Motorola GmbH, Hamburg, geordert.

Als Regionalrechner, die fuer Datensicherung und Kommunikationssteuerung eingesetzt werden, kommen dort zwei Systeme vom Typ 8640 mit jeweils zwei Prozessoren zum Einsatz. Die Systeme werden redundant betrieben, um eine maximale

Ausfallsicherheit zu gewaehrleisten. Auch die Dienststellenrechner an den einzelnen Standorten stammen aus der Motorola-Rechnerserie 8000. Die Palette reicht vom kleinsten System 8420 mit vier angeschlossenen Terminals bis hin zum Hochleistungssystem 8640 mit vier Prozessoren und 60 angeschlossenen Bildschirmen.

Ausgekluegelte Belastungstests, so Koerber, haben den Ausschlag fuer die Hardware gegeben. "Bei uns muss jede Investition einer Ueberpruefung des Landesrechnungshofes standhalten", betont der Kriminaldirektor die Objektivitaet des Auswahlverfahrens. Man habe dabei "exorbitante Preisunterschiede" zwischen den Systemen verschiedener Hersteller feststellen muessen.

Die Ausschreibung fuer die 650 X-Terminals fuer das Frankfurter Polizeipraesidium gewann ebenfalls Motorola - diesmal aber in der Funktion als OEM-Partner fuer X-Terminals vom Hersteller Network Computing Devices (NCD) in Muenchen. Motorola liefert die X- Terminals auf Wunsch der Behoerde nicht mit NCD-Bildschirmen, sondern mit strahlungsarmen Farbbildschirmen von Nokia Data aus. Dennoch ist die Freude bei der Muenchner NCD-Niederlassung ungetruebt: "Das ist der groesste Fisch, den wir in diesem Jahr an Land gezogen haben", bilanziert Verkaufsleiter Achim Herber.

Trotz der gescheiterten Generalunternehmerschaft ging auch Siemens-Nixdorf nicht leer aus. Die Muenchner gewannen die Ausschreibung bei den Druckern und sollen nun 650 HP-kompatible Laser-Printer, Modell HP 4819, liefern. Sehr viel duerfte SNI an diesem Auftrag allerdings nicht verdienen: Wie Kriminaloberrat Bernd Paul berichtet, betraegt der Stueckpreis nur zirka 1300 Mark.

Insgesamt 17 Millionen Mark investiert das Land Hessen bis Mitte naechsten Jahres fuer die DV-Unterstuetzung des Polizeipraesidiums in Frankfurt. Allein die Hardware einschliesslich der Betriebssystem- Lizenzen kostet rund zehn Millionen Mark. Ein Vielfaches dieser Summe wird aufzubringen sein, wenn die fuenf anderen Polizeiregionen in aehnlicher Weise auf den neuesten DV-Stand gebracht werden. Landesweit sollen immerhin sechs Regionalrechner, 200 Dienststellenrechner und jeweils 3000 X-Terminals und Laserdrucker angeschafft werden.

Um die Kosten in Grenzen zu halten, haben sich die Verantwortlichen fuer eine rigide Ausschreibungs- und Beschaffungspolitik entschieden. Die angebotenen DV-Systeme werden bis ins letzte Detail auf das zugrundeliegende Preis-Leistungs- Verhaeltnis analysiert. Dabei tragen die Hessen den neuesten Trends am Markt Rechnung: In chronologischer Abfolge wird fuer jeden Praesidialbezirk die Hardware komplett neu ausgeschrieben, so dass auf Trends bei Technologie und Preisentwicklung jederzeit reagiert werden kann. "Wir haben mehrere Millionen Mark gespart, weil wir mit unseren Forderungen direkt an den Markt gegangen sind", freut sich Koerber.

Obwohl also Motorola zur Zeit wichtigster Hardwarelieferant der Frankfurter Polizeibehoerde ist, heisst das noch lange nicht, dass das Unternehmen zwangslaeufig auch mit den anderen Polizeibezirken ins Geschaeft kommen wird. Lieferanten, die mit ihren Rechnern Unix V.4 unterstuetzen und einen guenstigen Preis machen koennen, behalten ihre Chance.

Dagegen hat der Datenbankanbieter gute Aussichten auf ein langfristiges Geschaeft mit allen hessischen Polizeidienststellen. Hier haben sich die Beamten allerdings bis heute noch nicht festgelegt - eine Entscheidung steht aber unmittelbar bevor. Ambitionen auf den Millionenauftrag, so wird hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, haben nur noch drei Anbieter: Informix, Oracle und Sybase.

Bei der Buerokommunikationssoftware sind indessen die Wuerfel gefallen. Den Zuschlag erhielt das Office-Paket Uniplex Business Software vom gleichnamigen Hersteller in der Version 7.01. Darin enthalten sind Textverarbeitung, Formularbearbeitung und elektronische Post sowie fuer ausgewaehlte Bereiche auch Grafikfunktionen und Spreadsheet. Um die einfache Bedienbarkeit des Systems zu gewaehrleisten, sollen die kuenftigen Anwender nur mit etwa 25 Prozent der Funktionalitaet vertraut gemacht werden. Wer mehr will, kann sich in eigener Initiative weiter mit der Software beschaeftigen.

Vorrang vor der Bueroausstattung hat fuer Hessens Polizei aber die Vorgangsbearbeitung. Eine Reihe von Routineablaeufen wie die Erstellung von Straf- oder Verkehrsunfallanzeigen soll kuenftig am Bildschirm mit vorgefertigten Formularen erfolgen. Auf ihrem Terminal erhalten die Mitarbeiter die komplette Formularansicht, die Ausgabe erfolgt auf dem Laserdrucker.

DV-technisch realisieren die Polizeimitarbeiter diese Funktionen mit der Textverarbeitung von Uniplex als Werkzeug und Traegersystem, der Software "Print-Control" von der Firma Softpro in Boeblingen und mit selbstgeschriebenen individuellen Erweiterungen der Uniplex-Software. Die Mitarbeiter erhalten einen "elektronischen Formularschrank", in dem sich schon in Kuerze rund 80 verschiedene Formulare verwalten lassen.

Dabei handelt es sich nach Ausfuehrungen von Paul um ein "Uebergangssystem" - die Bezeichnung "quick and dirty" moechte er allerdings nicht gelten lassen. Man habe unter dem Druck gestanden, moeglichst schnell eine Loesung zu entwickeln, damit "die Schreibmaschinen endlich aus dem Fenster geworfen werden koennen".

Langfristig soll die Software jedoch durch eine neue Individualentwicklung abgeloest werden, die nicht nur die Formularerstellung, sondern auch die administrativen Funktionen einer Vorgangsbearbeitung unterstuetzt. Diese Loesung, so ist geplant, bietet neue Kommunikationsmoeglichkeiten sowie den Zugriff zur Datenbank und zum landesweiten DV-Grossrechner-System Hepolis.

Im Bereich der Individualsoftware-Entwicklung verlaesst sich das Landeskriminalamt in der Anfangsphase auf die Integrata AG, Tuebingen, die im Rahmen der Vorgangsbearbeitung den Zuschlag fuer ein ausgeschriebenes Teilprojekt mit genau definierter Zielsetzung erhalten hat.

Auch bei der Auswahl des Softwarepartners sind die Behoerden ihrem Prinzip, das Spiel der freien Kraefte im Markt fuer sich zu nutzen, treu geblieben. Sie haben saemtliche Individualentwicklungen in einzelne "Scheiben" zerlegt, die jeweils neu ausgeschrieben und an Softwarehaeuser vergeben werden. Vorgegeben sind lediglich Entwicklungswerkzeuge, mit denen die Softwarepartner arbeiten muessen. Zu diesen strategischen Produkten zaehlen "Grit Plus", ein Werkzeug fuer die Maskengenerierung von der Stuttgarter GFT Gesellschaft fuer Technologietransfer, und die Programmiersprache Cii.

Hoechste Prioritaet hat bei der hessischen Polizei zwar die neue Vorgangsbearbeitung, doch langfristig ist auch noch eine Reihe weiterer Entwicklungen vorgesehen. Geplant ist etwa ein dezentrales Auskunft- und Recherchesystem und eine Loesung fuer die Nachrichtenuebermittlung vom Arbeitsplatz aus. Ausserdem soll Software fuer die Akten- und Einsatzverwaltung sowie fuer das Personal-Management erstellt werden. Um diese Entwicklungen spaeter auch in eigener Regie realisieren zu koennen, streben die Polizeimitarbeiter einen Know-how-Transfer zunaechst mit Integrata, dann auch mit den anderen involvierten Softwarehaeusern an.

"Wir sind zu einem Wallfahrtsort geworden"

Kraft-Gunther Koerber, Kriminaldirektor des Hessischen Landeskriminalamtes in Wiesbaden

"Das ist der groesste Fisch, den wir in diesem Jahr an Land gezogen haben"

Achim Herber,

NCD-Verkaufsleiter in Muenchen

"Die Trennung der aufnehmenden von der sachbearbeitenden Dienststelle koennte aufgehoben werden"

Bernd Paul, Kriminaloberrat des Hessischen Landeskriminalamtes in Wiesbaden