Fachbereiche entscheiden zunehmend über Einsatz von DV-Technik:

Herstellern und DV-Zentralisten steigt das Wasser bis zum Hals

04.09.1987

MÜNCHEN - Traditionelle DV-Chefs wie auch viele Computeranbieter sehen ihre Felle davonschwimmen: Mündige Benutzer rütteln am Thron der DV-Halbgötter und greifen die Politik der Hersteller an, Bislang hätten die Anbieter nämlich nicht gelernt, DV-Konzepte aus Benutzersicht zu entwickeln. Alte Berufsbilder geraten ins Wanken, gleichzeitig bringt der Trend zur Anwendernähe neue Jobs mit sich.

Mit hierarchischen DV-Konzepten, in denen sich alles um einen Zentralrechner dreht, werden künftig sowohl DV-Chefs als auch Hersteller auf der Stelle treten. Dazu ist die Integration der Informationssysteme nach Meinung von Branchenkennern inzwischen zu weit fortgeschritten. Turbulenzen sieht denn auch William Zachmann, Vice President Corporate Research der International Data Corporation (IDC), auf die konservativen DV-Chefs zukommen. Auf der "IDC-Briefing Session 87" in Frankfurt prognostizierte der DV-Experte, daß es zwar weiterhin Positionen mit Planungs- und Kontrollfunktionen in zentralen RZs geben werde, "in Wahrheit aber jeder Fachbereich selber entscheiden könne, welcher DV-Technik er sich vor Ort bedient". Organisatorische und weniger technische Aspekte müßten von den Datenverarbeitern zunehmend ins Kalkül gezogen werden; die qualitative DV sei gefragt. Zachmann betont: "Die Informationsverarbeitung wird künftig normaler Bestandteil des Unternehmens."

Also nicht ohne Grund müssen nun DV-Spitzenmanager um ihre Position in der Unternehmenshierarchie fürchten. Wenn mündige Benutzer den Einsatz der DV-Technik selbst bestimmen wollen, sehen neben den Zentralisten auch die Hersteller ihre Felle davonschwimmen. "Mit Recht", wettert Udo Blum von der Abteilung Automatisation und Technologie bei der IG Metall, "bekommen die Anbieter künftig Probleme." Schließlich hätten sie, immer noch nicht gelernt, ihre Konzepte aus Benutzersicht und nicht aus Sicht der Datenververarbeiter zu entwickeln: "Die Hersteller waren schon immer groß darin, viel zu versprechen und wenig zu halten."

Auch Professor Erich Staudt vom Lehrstuhl Arbeitsökonomie, Ruhr-Universität Bochum, Institut für angewandte Innovationsforschung (IAI), meint über die Wirkungen des Einsatzes von Computer-Technologie: "Da die potentiellen Anwender nicht ganz so naiv sind, wie sie von den Promotoren der neuen Techniken eingeschätzt werden, halten sich viele zurück, so daß heute bei der Anwendung noch nicht einmal die Zehn-Prozent-Marke des eigentlichen Potentials erreicht wird."

Die sinkende Bedeutung der zentralistischen DV färbt indes auch auf ihre Mitarbeiter ab. Immer öfter bleiben traditionelle DV-Manager im rasanten Innovationsprozeß auf der Strecke: Während den einen noch der Weg in die Fachabteilung bleibt, müssen sich andere mit ihrem Vorruhestand abfinden. Allerdings haben eine Reihe von DV-Chefs den Wandel in Berufsbild der DV rechtzeitig "erspürt".

"Das Pendel schlägt lediglich zurück", resümiert Herbert Rotthauwe, Leiter DV-Aus- und -Fortbildung bei der Veba Oel AG. Der ehemalige Chef der Programmierung: "Heute geht es DV-Mitarbeitern so wie vor zehn Jahren Sachbearbeitern, als man Teile ihrer Arbeit in die DV verlagerte. Jetzt werden diese - mit wesentlich eleganteren Werkzeugen als früher - vom Sachbearbeiter erledigt, und der Programmierer kommt sich überflüssig vor." Neue Karrieremöglichkeiten sieht der Gelsenkirchener Ausbildungsleiter in Nischen, in denen noch Spezialistenwissen erforderlich ist. Dies gelte vor allem für die Bereiche Datenschutz, Revision oder Benutzerunterstützung bei der PC-Einführung.

"Der DV-Chef muß zu einem frühen Zeitpunkt Strukturveränderungen im Unternehmen erkennen", betont Kurt Geiser, ehemals Leiter der kommerziellen Gesamt-DV und heute zuständig für die prozeßgesteuerte EDV bei der Bremer Lagerhaus Gesellschaft. Sonst sei er ohnehin nicht der richtige Mann und arbeite am Unternehmen vorbei. Ferner müsse der DV-Leiter zur Kenntnisnehmen, daß die Informationsverarbeitung Bereiche wie Logistik, CAD/CAM, CIM, Robotic durchdringt, von denen er bisher wenig gewußt hat. Geiser: "Die bisherige administrative" DV bietet nicht mehr allzu große Befriedigung, der Reiz liegt im Neuen."

Nicht auf Wissen der DV-Oldies verzichten

Horst Dähne, Bereichsleiter beim EDV-Studio Ploenzke, Wiesbaden, ist überzeugt, daß sich die Unternehmen ins eigene Fleisch schneiden, wenn sie auf das in vielen Jahren erworbene DV-Wissen wie auch die Kreativität der "Oldies" verzichten würden. Der Software-Experte schlägt vor, ältere DV-Mitarbeiter auf Kommunikations- oder Management-Lehrgänge zu schicken. Dann könnten sie bei größeren Projekten als Berater offensiv mitwirken oder sogar "Vaterfigur" sein. Einen weiteren Vorschlag hält Wolfgang Dernbach, Mitglied der Geschäftsleitung der Diebold Deutschland GmbH, parat: "Altgediente DV-Chefs müssen ihre Dienstleistungen so überzeugend wie möglich verkaufen." Allen Abteilungsleitern im Unternehmen müßte das Gefühl vermittelt werden, sich an die DV zu wenden sei vorteilhafter und zeitsparender, als sich die DV-Kenntnisse selbst anzueignen. Dernbach: "Wenn Zentralisten diese Taktik beherrschen, können sie noch eine Weile überleben."

Informations-Manager noch nicht in Sicht

Müssen nun auch fortschrittliche DV-Spitzenmanager um ihre Positionen in der Unternehmenshierarchie fürchten? "Keineswegs, das gilt nur für diejenigen, die ihre berufliche Erfüllung in der Optimierung von CICS-Transaktionen und ähnlichem finden", betont Lutz Martiny, Leiter Kommerzielle Datenverarbeitung Systementwicklung, Schering AG. Der Berliner DV-Profi weiter: "Der Wert und die Funktion des DV-Chefs von morgen werden nicht dadurch geprägt, daß Nutzer und Topmanagement die Technologie begreifen, sondern dadurch, daß der DV-Chef das Geschäft der Nutzer und des Topmanagements beherrscht."

Peter Clotten, Prokurist und ADV-Leiter DV-Produktion bei der Wacker Chemie GmbH in München, hat sich ebenfalls mit dem Stellenwert der DV heute auseinandergesetzt: "Wir haben uns zur Diskussion gestellt, unsere Arbeit ist transparenter geworden." Das Bild der "DV-Gurus", der freischaffenden Künstler, sei schon lange zerstört, auch wenn einige konservative DV-Chefs noch immer an diesem Habitus festhielten. Clotten: "Wir haben die Erfahrungen der Datenverarbeiter in den neuen Funktionsverbund Fachabteilung/DV einzubringen, um die umfassende und abgestimmte Informationsverarbeitung des Unternehmens sicherzustellen." Im Rahmen dieser Symbiose müsse sich die DV-Abteilung neu positionieren.

In vielen Unternehmen ist trotz des Wandels in der DV nach wie vor der traditionelle DV-Manager am Ruder. Wie jüngste Untersuchungen von Personalberatungsunternehmen beweisen, klaffen nämlich Angebot und Nachfrage weit auseinander. Informations- oder CIM-Manager zu suchen, ist bislang nicht leichter, als die berühmte Nadel im Heuhaufen zu finden. Also müssen viele Firmen mit dem vorhandenen Potential vorlieb nehmen. In größeren Unternehmen tauchen indes neue Berufsbilder auf. Hier werden verstärkt Funktionen wie CAD-Programmierer/-Verfahrensentwickler, Systemmanager, Datenbankadministrator oder TP-Koordinator ins Leben gerufen. "Trotzdem handelt es sich bei dem beruflichen Wandel in der DV um einen langwierigen Prozeß", kommentiert Rainer Jung, langjähriger Unternehmensberater und jetzt bei einem Softwarehaus beschäftigt die Situation. Da seiner Meinung nach die jungen Universitätsabgänger auch nur "mit Wasser kochen", hätten auch DV-Oldies noch genügend Zeit, sich über ihre Zukunft Gedanken zu machen. Jung: "Man sollte die Pferde nicht schon jetzt scheu machen."