Herbstmodelle

03.11.1978

"Dann steht als neue BDV-Serie "Pacific" vor der Tür", hieß es an dieser Stelle in der COMPUTERWOCHE vom 27.10.1978. "Wird Siemens jetzt mit der 6000er-Serie noch lange auf sich warten lassen?", orakelte Unternehmensberater Günter Leue zum Thema der Woche der gleichen Ausgabe. Und "Hausgemachter Krieg bei IBM?" war ein Bericht auf der Rubrikseite Universalrechner/Peripherie betitelt.

Alles, über das da so im Innenteil gemutmaßt wurde, war bei Fertigstellung der Zeitung bereits überholt. Immerhin spiegelte die Front-Page der Ausgabe 44 dann doch den aktuellen Informationsstand der COMPUTERWOCHE-Redaktion am 24. Oktober 1978 wieder.

Folgerichtig wies ein Einspalter auf die bevorstehende "Großoffensive von Siemens" hin, schilderte ein Zweispalter, wie IBM dem Datenbank-Computer System /38 auf der Orgatechnik, Köln, vom Stapel ließ.

Binnen einer Woche hatten IBM und Siemens, die beiden Hauptkonkurrenten und wechselseitigen Angstgegner ein wahres Ankündigungs-Feuerwerk abgebrannt - fast zu schnell zum Mitschreiben.

"ius primae noctis" für IBM

Um das "ius primae noctis" gebracht (wer plant eigentlich bei Siemens die Ankündigungstermine?), spulten die Münchner ihre gut einstudierte Herbst-Modell-Modenschau mit der Präzision eines (mikro)elektronischen Uhrwerks herunter. Daß bei einer derartigen Fülle von Großrechner-Novitäten - immerhin acht Modelle, darunter vier "hochgradige Mitbewerber-kompatible" Fujitsu-Jumbos - das Siemens-Debüt im MDT-Markt nahezu unterging, schien jedenfalls die Verantwortlichen nicht zu stören.

Im intimeren Kreis hörte man dann allerdings andere Töne: "Wir hätten uns eine mächtigere Ankündigung im unteren Bereich gewünscht", verplauderte sich etwa ein Mitarbeiter des Siemens-Geschäftsbereiches "Basisinformationssysteme".

Ameisenpfade nach Datasibirsk

Wurde der erste kommerzielle Kleincomputer aus dem Hause Siemens das System 6000 bei seiner Marktpremiere unter Wert verkauft? Ist dies vielleicht einer geschickten Dramaturgie zuzuschreiben?

Vieles spricht dafür. Denn bei aller Bescheidenheit, denn die Führungscrew der Siemens-Basis-DV an den Tag legte war nicht zu übersehen, wie stolz man über das bereits Erreichte ist.

Dazu ist relevant, daß sich die "Parteibasis" unter Günter Leonhard, Leiter des Geschäftsbereiches Basis-Informationssysteme, in aller Ruhe auf den Start vorbereiten konnte.

Da Hardware und Software (das Prozeßrechnersystem 300 sowie das Ablauf- und Programmiersystem AMBOSS) seit langerem fertig waren, galt es zuletzt "nur" noch, eine schlagkräftige Verkäufer-Truppe zu rekrutieren.

Die MDT-Konkurrenten (Nixdorf, Kienzle, NCR) können ein Lied davon singen: Regelrechte "Ameisenpfade" führen mittlerweile von Paderborn, Villingen und Augsburg nach "Datasibirsk", dem neuen Siemens-DV-Zentrum in München-Neuperlach. Wozu bedarf es eigentlich einer offiziellen Ankündigung, sagten sich offensichtlich die Zuerstgekommenen - und verkauften munter drauflos.

So konnte Leonhard am Premierentag schon von ersten Installationen reden - skeptischen Mitbewerbern ist anzuraten, dies zu glauben.

Keine Frage, das System 6000 wird seinen Weg machen - dafür dürfte das Siemens-Typenschild auf der Zentraleinheit garantieren.