Strategisches Informations-Management/Konsequente Harmonisierung als Voraussetzung

Henkel denkt europäisch - und die IT zieht mit

24.11.2000
Wie alle Geschäftsbereiche ist auch die Informationstechnik dem Wechsel der Markterfordernisse und der strategischen Unternehmensausrichtung unterworfen. Die Düsseldorfer Henkel-Gruppe hat beschlossen, eine Reihe ihrer Aktivitäten auf europäischer Ebene zu bündeln. Michael Müller* beschreibt, was die IT zum Erfolg dieser Strategie beitragen kann.

Henkel ist wohl das, was man ein Traditionsunternehmen nennt: Einige Mitglieder der Firmengruppe blicken auf eine mehr als hundertjährige Geschichte zurück. Übernahmen und Neugründungen von Tochterunternehmen haben den Konzern erweitert. Dadurch wurde auch die IT-Landschaft extrem komplex.

Standardsoftware war schon in den 80er Jahren ein Thema; damals führte Henkel SAP R/2 ein. Mitte der 90er Jahre wurde der Wechsel auf R/3-Systeme vollzogen. Dabei gingen große Organisationseinheiten innerhalb der Gruppe weitgehend autonom vor. So entstanden weltweit unterschiedliche SAP-Instanzen, die sich nicht durchgehend auf dem gleichen Niveau befinden. Ergänzt werden sie durch Eigenentwicklungen und Legacy-Systeme, die im Lauf der Jahre entwickelt wurden.

Für Peter Hinzmann, Corporate Vice President und Chief Information Officer (CIO) der Henkel-Gruppe, ist diese Situation nicht haltbar: "Hier muss stark harmonisiert werden." Als Ziel des globalen IT-Managements gibt Hinzmann deshalb die Parole aus: so wenig SAP-Instanzen wie möglich! Auf diese Weise lassen sich der Pflegeaufwand verringern und die weltweite Effizienz verbessern. Und das hilft der IT, ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen, also die strategische Entwicklung des Unternehmens zu unterstützen.

Die einzelnen Unternehmensbereiche der Henkel-Gruppe wollen ihre Verantwortlichkeiten europaweit bündeln. Für die Umsetzung haben sie ihrem jeweiligen Bedarf angepasste Vorstellungen und Ziele definiert. So sind etwa die Anforderungen, die der Industriebereich an das Customer-Relationship-Management (CRM) stellt, nur in Teilen deckungsgleich mit denen des Consumer-Bereichs: Im erstgenannten gibt es tendenziell mehr Anwendungsberatung; im Endkundengeschäft geht es viel stärker um die optimale Gestaltung der Demand Chain, die durch ein regionales Supply-Chain-Management (SCM) gestützt wird.

Seine Handelskunden berät Henkel seit vielen Jahren zum Thema Anforderungen im Category-Management. Für die Key-Account-Manager kommt immer stärker das Opportunity-Management ins Spiel; beispielsweise wird nachvollzogen, welche Maßnahmen zur Wachstumssteigerung wirksam waren, welche Promotion-Planungen zum Erfolg führten, welche Anregungen der Kunde in Bezug auf das Produktsortiment hatte oder welche Verpackungsgestaltung die Umsätze ankurbelte.

Im Zusammenhang mit der Bündelung der Verantwortlichkeiten auf europäischer Ebene hat Henkel die Tauglichkeit verschiedener Systemarchitekturen untersucht. Die Fragen lauteten: Inwieweit lassen sich neue Anforderungen in der bestehenden IT-Landschaft abbilden? Reicht die Flexibilität weniger regionaler beziehungsweise globaler Systeme für die individuellen Anforderungen der verschiedenen Geschäftsbereiche aus? Lässt sich eine europäisch ausgerichtete Supply Chain mit einer regional ausgerichteten Systemarchitektur realisieren? Lohnt es sich, für die Geschäftsbereiche durchgängige Geschäftssysteme zu installieren?

Im Zentrum der bislang vorgesehenen Varianten steht jeweils ein R/3-Kernsystem, um das sich weitere Systeme wie CRM, SCM, Portale oder Business Warehouses gruppieren. Erklärtes Ziel ist es, in allen Zusatzanwendungen einheitliche Systeme zu nutzen. Dabei kommen neben den "New-Dimension"-Produkten von SAP auch andere Anwendungen zum Zuge, zum Beispiel Softwarewerkzeuge der Anbieter Siebel, Tibco, Manugistics oder I2 Technology.

Derzeit wird eine konkrete Implementierungsplanung für jedes der betroffenen Geschäftsfelder erarbeitet. Dabei müssen europaweite Synergien bei jedem einzelnen Architekturbaustein nachgewiesen werden. Die Erstellung von "Business Cases" ist Pflicht.

Die geplante Erweiterung und Optimierung der vorhandenen Systemlandschaft lassen sich nicht realisieren, wenn die solide Datenbasis fehlt. Die Vereinheitlichung der logischen Strukturen muss mit einer weltweiten Datenharmonisierung einhergehen. Henkel versteht darunter: klar formulierte Soll-Anforderungen für die Erfassung und Pflege von Material-, Kunden- und Lieferantenschlüsseln, die ihrerseits durch eine entsprechende Arbeitsorganisation untermauert sind.

Das ist keine Kleinigkeit. Dazu Hinzmann: "Datenharmonisierung hat etwas mit Fleißarbeit und hoher Disziplin zu tun." Doch die Arbeit hat sich gelohnt. Eine weit reichende Konsolidierung der Stammdaten in den vergangenen Jahren bildet bei Henkel heute eine tragfähige Grundlage für die Einführung des globalen IT-Managements.

Parallel zur internationalen Harmonisierung der Datenbasis erfolgte der Aufbau von Templates, also logischen Programm-Modulen, die im Detail beschreiben, wie beispielsweise ein Einkaufsprozess ablaufen soll. Diese Prozessgerüste müssen im Idealfall in jeder SAP-Implementierung wiederzufinden sein.

Nachhaltige Erfolge bei der Harmonisierung von Daten und Prozessen verzeichnet Hinzmann im asiatisch-pazifischen Raum (regionales Systemkonzept) und Südamerika (Shared-Service-Modell für Finanzen und Administration). Eine solche "Shared-Service-Organisation" strebt Henkel besonders in Europa, aber auch in den übrigen Weltregionen an. Dabei müssen die Administrationsleistungen - im Gegensatz zu einem "Shared-Service-Center" - nicht unbedingt physisch gebündelt werden; die Verwaltungstätigkeiten können in unterschiedlichen Unternehmen angesiedelt sein, die jedoch gemeinsam die Leistung erbringen. "Wir haben unser Projekt zunächst europaorientiert aufgesetzt, da wir aus der Wettbewerbssituation heraus gefordert sind, unsere Synergiepotenziale schnell und effektiv auszuschöpfen", erläutert CIO Hinzmann.

Doch das globale IT-Management erschließt Synergie- und Einsparmöglichkeiten nicht nur im administrativen Bereich, sondern besonders im Kerngeschäft. "Für ein globales Unternehmen wie Henkel steckt das größte Potenzial nach wie vor im Supply-Chain-Management", lautet die Einschätzung von Hubert Österle, Leiter des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Der Hochschullehrer und SAP-Spezialist beziehungsweise die von ihm mitbegründete Information Management Group (IMG) berät Henkel bei der Erweiterung und Optimierung der Systemlandschaft.

Hinzmann teilt Österles Ansicht. Vor allem im Konsumgütergeschäft gebe es in Verbindung mit dem Handel die Notwendigkeit hoch integrierter Prozessketten, die unter anderem mit SAP-Software gesteuert werden. Die Gestaltung der Logistikkette und die durchgängige Steuerung der Produktionsprozesse habe im europäischen Umfeld neue Akzente bekommen. Bei der Lagerhaltung seien Standorte und Sicherheitsbestände neu zu definieren. Beispielsweise müsse ermittelt werden, wie sich Veränderungen bei den Lagerstandorten auf die Produktionssteuerung auswirken und ob den einzelnen Produktionsstätten weiterhin tradierte Produktprogramme zugewiesen werden sollen.

"Um tatsächlich so kostengünstig wie möglich und der jeweils aktuellen Marktsituation angepasst bei gleichbleibender Produktqualität produzieren zu können, muss mehr Intelligenz in die Supply Chain hinein", fordert Hinzmann. In bestimmten Geschäftsbereichen ist beispielsweise der Anteil der grenzüberschreitenden Absatztonnage noch zu gering, um sämtliche Skaleneffekte auszuschöpfen.

Wenn Henkel diesen Anteil erhöhen und die Vorteile unterschiedlicher Allokationen nach Maßgabe wechselnder Faktorpreise nutzen will, muss das Unternehmen seine Prozesse noch mehr straffen. "Wir haben bei manchen Produkten eine Vielzahl von national immer perfekt erklärbaren Verpackungsvarianten", beschreibt Hinzmann den Ist-Zustand. "Wenn wir die daraus resultierenden Komplexitätskosten über Europa zusammenrechnen, stellen wir fest, dass hier Handlungsbedarf besteht und Konsolidierung mit Sicherheit möglich ist." Bei diesen Entscheidungen stehen selbstverständlich Marktforschung, Verpackungs-Management, Logistik und kundennahe Unternehmensfunktionen im Vordergrund. Die Informationstechnik ist hier erst in zweiter Linie berührt.

Zudem sind all diese Synergien und Kostenoptimierungen nicht ohne den "Faktor Mensch" realisierbar. "Fünfzig Prozent des Erfolges, den wir erreichen möchten, ist von einem gelungenen Change-Management abhängig", bekennt der CIO. Das heißt zunächst, dass alle betroffenen Mitarbeiter so früh wie möglich informiert werden müssen, welche Veränderungen anstehen und wie diese bewältigt werden sollen. Nur so lassen sich Unsicherheiten in der Belegschaft von vornherein vermeiden.

Wie das konkret funktionieren kann, zeigt Hinzmann in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich. Hier waren in den zwischen 15 und 250 Mitarbeiter starken IT-Abteilungen der jeweiligen Henkel-Unternehmen Spezialisten mit vergleichbarem Know-how tätig. So wurde zu oft ohne Abstimmung an unterschiedlichen Stellen an sehr ähnlichen Themen gearbeitet.

"Wir können es uns einfach nicht erlauben, dass diese Know-how-Träger nur lokal orientiert sind", erkannte Hinzmann. Stattdessen sollten die Spezialisten für E-Business, hochentwickelte Planungssysteme oder andere übergreifende Techniken und Applikationen zusammenarbeiten. Dazu wurde ein internationales Projekt namens "Virtuelle IT-Organisation", kurz: Vito, ins Leben gerufen. Die Mitarbeiter bleiben in ihren bisherigen Lebensbereichen, arbeiten aber in virtuellen Arbeitsgruppen zusammen.

Die IT-Entscheider treffen sich monatlich. Der Status großer und mittlerer Projekte ist also stets allen bewusst. Der gemeinsame Ressourcen-Pool hilft der IT-Organisation, ihre Arbeitsleistungen besser zu fokussieren und ihr Skill-Niveau anzuheben.

Zudem praktiziert die Henkel-Gruppe intensive Job-Rotation. "Damit wollen wir eine Community heranbilden, für die es selbstverständlich ist, kosmopolitisch zu denken und zu handeln", begründet Hinzmann dieses Angebot. Die Gemeinschaft sei notwendig, um die "Riesenherausforderung" zu bewältigen, die in einer Runderneuerung der Systeme bestehe - "gepaart mit dem Sex-Appeal des E-Business".

Dem Thema "E-enabled enterprise" misst der CIO besondere Bedeutung bei: "Die Rationalisierung der Supply Chain ist eine Herausforderung, die wir so oder so verfolgt hätten. Die Internet-Technologie aber befähigt uns, neu über die globale Beschleunigung aller internen und externen Transaktionen und die Gestaltung von Wertschöpfungsnetzen nachzudenken."

Offener Handelsplatz oder eigener Web-Markt?Nachdem über Jahre hinweg mit hohem finanziellen Aufwand integrierte Systeme aufgestellt und die Transaktionen aufeinander abgestimmt wurden, tritt nun die Internet-Technologie als willkommene Ergänzung und als Beschleuniger dieser Systeme auf. Ein Auftrag kommt innerhalb von wenigen Minuten; der Kunde erwartet die Auslieferung seiner Bestellung in Stunden, spätestens jedoch am nächsten Tag. Folglich ist die Provider-Struktur im Logistikbereich zu überprüfen. Lagerhalter, Spediteure und Logistikpartner müssen sich gleichgetaktet in diese neue Welt hinein bewegen.

Die im Internet entstehenden Marktplätze sieht Hinzmann "sehr positiv". Angesichts der Konkurrenz zwischen den einzelnen "Marketplaces" stellt sich für Firmen wie Henkel allerdings die Frage, ob sie sich an bereits etablierten Internet-Handelsplätzen beteiligen oder eigene elektronische Märkte aufbauen sollen. Die Praxis lehrt, dass die Entscheidung vermutlich auf ein Sowohl-als-auch hinauslaufen wird.

Alle diese Aktivitäten müssen in der künftigen europaweiten IT-Architektur Berücksichtigung finden. Ein Architektur-Pilotprojekt haben Henkel und IMG Anfang dieses Jahre gestartet. Seine Umsetzung wird mindestens die kommenden 24 Monate in Anspruch nehmen.

*Michael Müller ist freier Journalist in Düsseldorf.

DAS UNTERNEHMENDie in Düsseldorf beheimatete Henkel-Gruppe ist ein weltweit operierendes Unternehmen, das Produkte für den industriellen Bedarf ebenso anbietet wie Markenartikel für den Endverbraucher. Weltweit erwirtschafteten mehr als 56000 Mitarbeiter im Geschäftsjahr 1999/00 einen Umsatz von 11,4 Milliarden Euro. Der Konzern ist in vier Unternehmensbereiche gegliedert: Klebstoffe, Kosmetik/Körperpflege, Wasch-/ Reinigungsmittel und Hygiene/Oberflächentechnik. Hinzu kommt die Cognis GmbH, eine Ausgründung, die Chemieprodukte herstellt und vertreibt.