Helpdesk: Spagat zwischen Effizienz und Kosten

07.02.1997

"Man kann sich überhaupt nicht vorstellen, wieviel Zeit einem Anwender heutzutage durch die unterschiedlichen Hard- und Softwareprobleme verlorengeht. Doch statt etwas dagegen zu unternehmen, zieht unsere Geschäftsleitung nur den finanziellen Aufwand für das Programm ins Kalkül", spricht ein DV-Verantwortlicher eines westdeutschen Konzerns aus, was in den Köpfen zahlreicher deutscher IT-Experten vorgeht, kommt man auf das Thema Helpdesk zu sprechen.

Guter Rat ist teuer, meistens zu teuer - dieses Sprichwort haben sich deutsche Führungsriegen offensichtlich zu Herzen genommen. Häufig regiert in den Chefetagen der Rotstift, mit dem Anträge für ein Helpdesk-System abschlägig beschieden werden, statt dessen soll der Anruf bei der Hotline des Herstellers erfolgen. "Daß diese Einsparung jedoch längst keine mehr ist, leuchtet den wenigsten Geschäftsführern ein", schimpft der westdeutsche DV-Manager. Immer mehr DV-Hersteller wittern in der schier ausweglosen Situation mancher Anwender das dicke Geschäft und lassen sich die noch vor einigen Jahren kostenlose Fehlerbehebung via heißen Draht bezahlen.

So etwa Microsoft: Der Softwarekrösus aus Redmond beschäftigt weltweit rund 4000 Mitarbeiter für ein und denselben Zweck - die telefonische Unterstützung für Anwender von Microsoft-Produkten. Und das nicht ohne Grund. Das Gates-Imperium berechnet für den sogenannten Answerpoint-Service, die billigste Supportvariante, 165 Mark. Für diesen Betrag stehen Benutzern ganze drei Anrufe im Jahr frei. In der höchsten Stufe mit 75 Anfragen im Jahr zahlen Anwender rund 30000 Mark. Auch Hardwareproduzenten zeigen sich seit einiger Zeit alles andere als großzügig: 3,60 Mark pro Minute verlangt etwa der Münchner PC-Anbieter Compaq, 2,40 Mark pro Minute der Großdistributor Vobis aus Würselen für die Unterstützung per Telefon. Ähnlich ungeniert verfährt der DV-Gigant IBM: Für die telefonische Unterstützung beim Betrieb eines nicht vernetzten PCs inklusive Software muß der Anwender knapp 170 Mark, für den Support von zwei bis vier Arbeitsplätzen rund 450 Mark im Jahr berappen. Hilfe für Anwender mit fünf bis zehn vernetzten PCs kostet bei Big Blue gar satte 1000 Mark per annum.

Zahlen, die so manchen IT-Chef und seine Mitarbeiter im User-Support zwingen, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, um den DV-Katastrophen ein für allemal ein Ende zu bereiten. Grundsätzlich bieten sich dabei zwei Produkttypen an: sogenannte intelligente und unintelligente Helpdesk-Systeme. Die Lösungen, mit denen Hersteller wie SNI, Workgroup Systems, Inference, Astea oder Ultracomp derartige Probleme aus der Welt schaffen wollen, klingen für viele Anwender zu schön, um wahr zu sein.

Ein Computer, so die Versprechen auf den Hochglanzbroschüren von Anbietern intelligenter Pakete, der sich, basierend auf Technologien der künstlichen Intelligenz, sämtliche kleinen und großen DV-Störfälle mit Hilfe einer Datenbank merkt, sortiert, sie auswertet, Schritt für Schritt eingrenzt und am Ende hilfreich-weisen Rat erteilt, beseitigt die Pein mit DV-Systemen schneller als traditionelle User-Supporter. Dabei seien diese oft auch als "fallbasierte Expertensysteme" bezeichneten intelligenten Produkte zum Teil in der Lage, die mit der Zeit angesammelten Problemfälle zu "verstehen" und untereinander zu vergleichen. Mit den benötigten Informationen gefüttert, machen sie sich auf die Suche nach ähnlichen Fällen und grenzen so das Problem ein, um im besten Fall dem Mitarbeiter des User-Supports eine endgültige Lösung schneller zu präsentieren, als es das menschliche Know-how zuläßt.

Bei unintelligenten Paketen handelt es sich hingegen hauptsächlich um erweiterte Datenbanken, in die der Anwender - meist ist dies der User-Supporter selbst - Daten und Probleme des "Kunden" notiert, um eine Basis für das weitere Vorgehen zu erhalten.

Helpdesk-Systeme unterstützen, so die Theorie, den Benutzersupport in technischen Fragen zu allen Bereichen - von der Hardware über das PC-Betriebssystem bis hin zu einzelnen Applikationen. Darüber hinaus ließen sich Aufgaben wie Anwendungsberatung, Verwaltung von Druckern und Benutzerkonten, Datensicherung auf den Servern sowie die Installation neuer Rechner meistern.

Das Wachstumspotential für derartige Hilfssoftware ist, glaubt man den Analysten, gigantisch: Das Marktforschungsinstitut Aberdeen Group beispielsweise prognostiziert, daß bereits im kommenden Jahr weltweit 1,5 Milliarden Dollar allein mit dem Verkauf von Helpdesk-Paketen umgesetzt werden. Heute beträgt der Umsatz 560 Millionen Dollar, 1995 waren es 250 Millionen Dollar.

Doch während Analysten enorme Wachstumsraten prophezeien und Helpdesk-Anbieter von "kinderleichter Anwendung" und "erheblichen Effizienzsteigerungen" durch ihre Produkte sprechen, plagen deutsche Unternehmen ganz andere Sorgen: "Wir haben uns den Einsatz eines Helpdesk-Systems vor einiger Zeit durch den Kopf gehen lassen, aber keine der erhältlichen Lösungen war auch nur ansatzweise für unsere DV-Strukturen einsetzbar", beschreibt ein Mitarbeiter des User-Supports eines süddeutschen Unternehmens den Stand der Dinge. Von funktionierenden fallbasierten, intelligenten Systemen, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz Probleme selbst erkennen und zufriedenstellende Lösungsvorschläge machen, sei die heutige Industrie noch Lichtjahre entfernt. Aufgrund der extrem heterogenen DV-Umgebung mit 30 bis 35 individuellen Insellösungen ist dem DV-Profi zufolge an einen rentablen und effizienten Einsatz aktueller Helpdesk-Systeme zumindest bei seinem Brötchengeber nicht zu denken.

Schon der Umstand, daß in seiner Firma teils auf Windows-, teils auf Macintosh-Rechnern gearbeitet werde, würde ein trotzdem genutztes Helpdesk-System zum Scheitern verurteilen. "Wir rennen deshalb mit dem gesamten Wissen im Kopf umher und lösen die Probleme on the fly", so der DV-Experte. Alles in allem würde "unsere DV-Umgebung mehr als nur eine Helpdesk-Lösung erfordern".

Auch die personelle Situation des User-Supports spreche nach den Worten des DV-Profis gegen einen Helpdesk. Schließlich erfordere die Einführung eines Helpdesks zusätzliche Mitarbeiter, die damit beschäftigt wären, sämtliche Benutzermeldungen in das Programm einzugeben.

Der Mann vom Benutzerservice konkret: "Solange unsere Verantwortlichen fast wöchentlich individuelle Insellösungen, die sie irgendwo einmal gesehen haben, unbedingt gebrauchsfertig verlangen, implementieren wir diese zwar zähneknirschend im Netz." An den Einsatz von intelligenten Helpdesk-Systemen sei allerdings bei einer derartigen Unternehmenspolitik nicht zu denken, begründet der DV-Experte die Augen-zu-und-durch-Mentalität.

Sein Fazit: Aufgrund der immer komplexeren Topologien seien Probleme, die Helpdesk-Systeme früher noch in den Griff bekommen hätten, heute auf diesem Weg nicht mehr lösbar. "Es ist schlichtweg effektiver und kostengünstiger, mit dem Schraubenzieher von User zu User zu pilgern und die Wehwehchen vor Ort zu heilen, als Probleme zuerst in ein Rechnerkorsett zu zwängen, um sie anschließend doch wieder per Hand zu lösen."

Bessere Erfahrung mit Helpdesk-Systemen hat Jochen Voßgätter, Leiter des Benuterservice bei der Nationalbank AG, Frankfurt, gemacht. Das Finanzinstitut setzt bei der Behebung von DV-Problemen der rund 750 Mitarbeiter aus dem gesamten Ruhrgebiet auf das Problem- und Hotline-Management-Tool "Teambase" von SNI sowie auf die Fernzugriffssoftware "PC Anywhere" des Utility-Anbieters Symantec. "Damit kann ich mich in die Konsole des Benutzers einloggen und ihn durch das System führen", beschreibt Voßgätter die ersten Schritte.

Mit der SNI-Lösung sei die Nationalbank, so Voßgätter, in der Lage, Probleme und dazugehörige Lösungen in einem zentralen Wissenspool zu verwalten. Von Systemen, die eigenständig Lösungsvorschläge unterbreiten, hält Voßgätter jedoch nur wenig: "Ich bräuchte einen endlosen Multiple-Choice-Fragebogen sowie Mitarbeiter, die sehr diszipliniert jedes Formular schnellstmöglich ausfüllen."

Für den Hessen haben sich die zirka 1000 bis 1500 Mark für jedes der insgesamt 25 Software-Exemplare zweifelsohne gelohnt. Fehler ließen sich mit Hilfe des Systems um zehn bis 20 Prozent schneller beheben als in vergangenen Tagen. Dennoch sollte die Implementierung eines Helpdesk-Systems reiflich durchdacht sein: "Die Installation ist nicht gerade einfach", räumt der Manager ein. Besonders beim Einsatz auf verschiedenen Plattformen habe es Schwierigkeiten gegeben, zumal die Dokumentation des Systems zu wünschen übrig ließ.

"Es ist effektiver und kostengünstiger, mit dem Schrauben- zieher von User zu User zu pilgern"

"Keine der erhältlichen Lösungen war auch nur ansatzweise für unsere Strukturen einsetzbar "