Experten fordern Kommunikation statt Technologie-Schnickschnack

Helpdesk: IT-Prügelknabe als Geschäftsoptimierer

21.11.1997

Die Auguren sind sich einig: Dem IT-Bereich Helpdesk steht eine goldene Zukunft bevor. Mehr als 200 Produktanbieter und Projektfirmen tummeln sich im mittlerweile lukrativen Markt: "Der Customer-Service erlebt eine wahre Renaissance", gibt etwa Frank Solbach, Geschäftsführer des Marktforschungsunternehmens Meta Group Deutschland zu Protokoll. Eine noch deutlichere Sprache sprechen die Zahlen der Londoner Analysten von Ovum: Bis zum Jahr 2002 werden die Umsätze mit Supportsystemen weltweit von derzeit knapp 1,4 Milliarden auf mehr als 6,5 Milliarden Dollar in die Höhe schnellen.

Alleine der europäische Markt für Helpdesk-Produkte wächst im gleichen Zeitrahmen, so die Prognose der Briten, von momentan 380 Millionen auf rund 1,2 Milliarden Dollar. Ebenso euphorisch klingen die Voraussagen der Aberdeen Group. Schon im kommenden Jahr erwarten die Analysten aus Boston einen weltweiten Umsatz mit Helpdesk-Tools von insgesamt 1,5 Milliarden Dollar. Und auch Forrester Research aus Cambridge, Massachusetts, will wissen: Ein Drittel von 100 Großunternehmen erwartet, daß Helpdesks helfen, die rapide ansteigenden Supportkosten für moderne heterogene Systemumgebungen zu senken.

Doch anders als in vergangenen Jahren, als Helpdesks in Gestalt von turnschuhtragenden Supportmitarbeitern PC-Problemen zu Leibe rückten, haben Customer-Services heute erheblichen Anteil an der Optimierung von Geschäftsprozessen. Grundsätzlich unterscheiden Experten dabei zwischen zwei Kategorien: dem internen, nur für die Mitarbeiter im eigenen Unternehmen bestimmten Hilfeleister und dem externen Helpdesk, der im Rahmen von Service-Level-Verträgen für Kunden außerhalb der Firma betrieben wird.

Ziel des Helpdesks ist es jedoch in allen Fällen, Probleme, die via Telefon, E-Mail, Fax oder über das World Wide Web (WWW) gemeldet werden, möglichst schnell und kostengünstig zur Zufriedenheit der Kunden zu beseitigen. "Helpdesks müssen Probleme lösen, Service anbieten, installieren, Tools entwickeln, schulen, Informationen sammeln und DV-Kosten kontrollieren", beschreibt Joachim Wolbersen, Vorsitzender des Help Desk Instituts e.V., Hamburg, die umfangreichen Anforderungen. Das Verhältnis von Betreuern und Anwendern sollte dabei ungefähr zwischen eins zu 65 und eins zu 80 liegen, erklärt der Hanseat.

Während die Industrie ihre Geschäftsabläufe in den vergange- nen Jahren optimiert hat, arbeiten Dienstleistungsunternehmen heute noch vielfach mit veralteten, funktionsorientierten Systemen, die Unternehmensprozesse nur unzureichend unterstützen, so die Erfahrung von Michael Dahr, Geschäftsführer der Dr. Dahr Consulting GmbH aus Bonn. Der Einsatz funktionsorientierter "Fertigpakete von der Stange" führe oft zu abgeschotteten Insellösungen, während in prozeßorientierten Systemen Funktionen abteilungsübergreifend mit einer Workflow-DV verknüpft werden.

Datenbank bildet zentrale Komponente

Zur effizienten Bearbeitung der "Calls" benötigten Supportmit- arbeiter eine Vielzahl von Informationen über den Kunden - gleichgültig ob intern oder extern -, dessen Ansprechpartner und die von ihm eingesetzten Pro- dukte. Auch Daten zu Wartungs- und Serviceverträgen sowie In- formationen zu Reaktionszei- ten und zum Vertragsumfang (Service Level Agreements = SLA) sollten laut Dahr ad hoc abrufbar sein.

Die zentrale Komponente eines jeden Helpdesk-Systems bildet Dahr zufolge jedoch stets eine zentrale Datenbank, in der sämtliche Daten gespeichert werden. Auch ein Problembericht (Incident Report) sei Kernbestand- teil moderner Helpdesk-Systeme, in denen die vom Kunden ge- meldeten Probleme registriert und zur weiteren Bearbeitung (Tracking) an spezialisierte Mitarbeiter weitergeleitet werden. Zu jedem Anruf sollten dabei beliebig viele Aktivitäten und die durch diese verursachten Kosten im System hinterlegt werden können. Das Bearbeiten der einzelnen Anfragen erfordere darüber hinaus die Verfügbarkeit einer Suchfunk- tion, die den Helpdesk-Mitarbeitern das Recherchieren nach vergleichbaren Störfällen in der Datenbank erlaubt. Somit ließe sich vermeiden, daß gleich gelagerte Probleme immer wieder von neuem gelöst werden müssen. Dahr konkret: Überdurchschnittlich viele Calls zu einem Produkt oder einer Komponente legen den Schluß nahe, daß die Bedienungsanleitung oder die Ergonomie des Produkts verbessert werden müssen.

Wesentlich trivialere Sorgen plagten die Mehrzahl der rund 100 Teilnehmer des vom Institute for International Research, Frankfurt am Main, veranstalteten "Helpdesk-Forums" in Mainz: "Der Helpdesk-Manager bekommt von oben eines auf die Birne, und seine Mitarbeiter treten ihn gegen das Schienbein", drückte Mechthild Mollbach-Elbert, auf Benutzerservice spezialisierte Unternehmensberaterin aus dem französischen Bubry, aus, was in den Köpfen der Anwesenden vorging. Während die Einführung und Handhabung der diversen Helpdesk-Produkte relativ unproblematisch verlaufe, stellten interne Akzeptanz- und Kommunikationsprobleme den Helpdesk allzu oft in Frage: "Das Management denkt in der Regel nur in zwei Farben - schwarz und rot", kritisiert Mollbach-Elbert die Führungsphilosophie deutscher Geschäftsleitungen. Deshalb sei es für erfolgreiche Helpdesks zwingend erforderlich, konkrete Zahlen zu liefern. Nur durch eindeutige Messungen seien Helpdesk-Abteilungen in der Lage, die Unverzichtbarkeit ihrer Arbeit zu beweisen.

Darüber hinaus stehe die Mo- tivation der Mitarbeiter im Vordergrund, nicht die Features einzelner Helpdesk-Produkte: "Zirka 80 Prozent aller Calls entstehen durch eine Streßsituation beim Kunden", erklärt die Expertin. Der Endanwender sei oft in Rage. Um so wichtiger sei es, daß Helpdesk-Mitarbeiter ihre Kunden "an die Hand" nehmen. Kommunikationsseminare, psychologisches Training und die technische sowie persönliche Erreichbarkeit, ausgeprägte Hilfsbereitschaft und nicht zuletzt fachliche Kompetenz seien das Erfolgsrezept für moderne Helpdesk-Umgebungen.

Thyssen Informatik poliert Helpdesk auf

Aus den genannten Anforderungen an einen Helpdesk hat die Thyssen Informatik GmbH ihre Lehren gezogen. Künftig soll das System Control Center (SCC) von Thyssen nicht nur 24-Stunden-Service bieten, sondern auch 90 Prozent aller Störfälle bereits im "First-Level-Support" bereinigen. "Wir stehen an der Schwelle von einer gewöhnlichen Störungsannahme zu einem echten User-Helpdesk", erklärt Projektmitarbeiterin Simone Breuer. SCC deckt dabei unter anderem die Bereiche MVS, VSE, Windows und Windows NT, Transaktions- und Datenbanksysteme, aber auch Paisy, SAP R/3 und Baan ab. Zwischen 200 und 300 Anrufe täglich nimmt das derzeit 50 Mitarbeiter umfassende SCC-Team im Schichtbetrieb entgegen. Die durchschnittliche Bearbeitungsdauer pro Call beträgt eine Stunde. Alles in allem greift das SCC 20 000 Kunden aus den Fachabteilungen des Thyssen-Konzerns unter die Arme.

Neben einer permanenten Mitarbeiterschulung baut das Projektteam um Breuer auf Technologie: Zusätzlich zu Tools wie "Resolve" von Boole & Babbage, "Control-M/R" von CA, "HP Openview" von HP oder "Netview-AOC/ANO" von IBM bilden "Spectrum" von Cabletron, "Incoming Call Management" von Micrologica, Remedys "Trouble Ticket System" sowie ein eigenentwickeltes Netzverwaltungssystem (NVS) die Basis.

NVS dient dabei als Dokumentationssystem für den technischen Ausbaustand einzelner Komponenten, Lieferanten und Wartungsunternehmen oder aber für die jeweils vereinbarten Service Level Agreements (SLAs). Breuer: "Dort ist auch genau hinterlegt, welchen Servicegrad der Kunde besitzt." Remedys Ticket-System wiederum übernimmt die "Auftragsannahme". Die Annahme der Calls läßt sich dabei sowohl manuell vom Helpdesk-Mitarbeiter registrieren als auch automatisch an das System-Management-System Spectrum weiterleiten (Eskalation). Ebenso registriert Remedy die zur Fehlerbehebung getroffenen Maßnahmen. Spectrum sei anschließend in der Lage, den Ausfall der jeweiligen Komponente selbständig zu erkennen und gegebenenfalls erste Maßnahmen wie das Steuern einzelner Teile zu übernehmen. Das Cabletron-System überwacht die komplette Client-Server- und Netzinfrastruktur, Middleware und Applikationen. Anschließend lassen sich automatische Alarmmeldungen für sämtliche SNMP-fähigen (SNMP = Simple Network Messaging Protocol) generieren. "Irgendwann werden wir das System dann vermarkten", so Breuer.