Visionen auf dem Prüfstand/Kommentar

Headset statt Kopfgeburt

10.01.2003
Helga Biesel Redakteurin CW

Zu viel des Guten schien es Ende des 20. Jahrhunderts für technikverliebte Marketiers nicht zu geben. Ergebnis: Misstrauen beim pragmatischen Adressaten. Die kostspielig und trickreich umworbenen potenziellen Anwender wandten sich gelangweilt wieder den Lowcost-Gewohnheiten ihres Alltags zu. Die anfängliche Begeisterung für so manche schrille Idee, angefacht von flüchtigen Science-Fiction-Fantasien und gestylten Hightech-Visionen, verflachte, geriet in Vergessenheit oder hinterließ im besten Fall die beiläufige Frage: Was wurde eigentlich aus...?

Es ist beruhigend festzustellen, dass sich nach dem Hype der 90er Jahre - beispielsweise des Themas "virtuelle Realität" (VR) - dennoch ein weites Spektrum alltagstauglicher Anwendungen aus den Forschungslaboratorien herausgemendelt hat (Seite 34). Der Mix mit der "echten Realität" ist - wen wundert''s - das Erfolgsgeheimnis. In der Automobilindustrie wurde VR zum Standardwerkzeug eines jeden Mitarbeiters in der Prozesskette.

Wesentlich länger, fast 30 Jahre, hat es gedauert, den sprechenden und verstehenden Computer HAL aus Arthur C. Clarkes Roman "2001 - Odyssee im Weltraum" seines literarischen Kontexts zu entledigen und die faszinierende Vision quasi als ganz normale Schnittstelle, genannt "natürlichsprachliches Dialogsystem", in große Auskunftssysteme zu integrieren (Seite 36). Die Technik der Spracherkennung eignet sich geradezu ideal für die Vorqualifizierung von Anrufern in Call-Centern. So direkt ist der Traum vom "papierlosen Büro" noch nicht in Erfüllung gegangen, trotz Web, E-Mail und ausgefeilter elektronischer Archivierungsverfahren, trotz Dokumenten- und Content-Management. Dennoch konnten die wichtigsten papierintensiven Geschäftsprozesse von der Bremswirkung dieses Mediums weitgehend befreit werden: Relevante Informationen entstehen zunehmend nur noch elektronisch. HAL hätte keine Probleme, sie zu verstehen, pardon: zu bearbeiten.