Windows vs. Retail

Hat Microsoft den falschen Store dichtgemacht?

Kommentar  13.07.2020
Von 
Preston Gralla ist Redakteur bei Computerworld, Blogger bei ITworld und Autor von mehr als 45 Büchern, darunter "NOOK Tablet:The Missing Manual" (O'Reilly 2012) und "How the Internet Works" (Que, 2006).
Microsoft hat sich kürzlich entschieden, seine Ladengeschäfte zu schließen. Dabei hätte man lieber einem anderen Store den Stecker ziehen sollen.
Microsoft schließt seine Retail Stores. Nur die Flaggschiff-Läden in London, Sydney, Redmond und New York bleiben erhalten und sollen künftig als "Experience Center" dienen. Dabei hätte ein anderer Store die Schließung weit mehr "verdient".
Microsoft schließt seine Retail Stores. Nur die Flaggschiff-Läden in London, Sydney, Redmond und New York bleiben erhalten und sollen künftig als "Experience Center" dienen. Dabei hätte ein anderer Store die Schließung weit mehr "verdient".
Foto: lev radin - shutterstock.com

Ende Juni 2020 entschloss sich Microsoft dazu, seine weltweit 82 Ladengeschäfte zu schließen. Zuvor hatte der Konzern seine Läden im Zuge der Corona-Pandemie bereits vorübergehend dichtgemacht.

Es ist das schmachvolle Ende des Versuchs, ein prestigeträchtiges Windows-Pendant zu den Apple Stores zu etablieren: Dem Erfolg der Surface-Reihe zum Trotz hat es Microsoft nie geschafft Hardware zu kreieren, die eine ähnlich überzeugte Fangemeinde um sich scharen konnte wie Apple. Geht es um Marketing, kann Microsoft wie die meisten anderen Unternehmen Apple nicht das Wasser reichen. Das manifestierte sich zum Beispiel darin, dass es Microsoft nicht gelang, seine Läden zu Tech-Hotspots und Begegnungsstätten für juvenil-hippes Publikum zu machen.

Retail Store schlägt App-Büdchen

Das Ende der Brick & Mortar Windows Stores versucht Microsoft nun etwas ungeschickt als etwas Positives zu verkaufen - auch wenn es Außenstehenden schwerfallen dürfte, dieser Argumentation zu folgen. David Porter, Corporate Vice President Microsoft Store, erklärte im Rahmen eines Blogposts, sein Unternehmen habe sich zu einer strategischen Neuausrichtung des Retail-Geschäfts entschieden, wozu auch die Schließung der physischen Stores gehöre. Worin genau die Strategie besteht - abgesehen von der Schließung der Stores - und vor allem, warum das besser für die Kunden sein soll, dazu schrieb Porter nichts.

Microsoft hätte statt seiner schicken Ladengeschäfte lieber den Windows App Store schließen sollen. Kennen Sie nicht? Da sind Sie nicht allein - und es ist auch nicht verwunderlich, schließlich bot der dieser App Store noch nie so etwas wie eine solide Softwaresammlung. Stattdessen ist der virtuelle Store vollgestopft mit Apps, die oft weit entfernt von modernen Standards sind und auch deswegen nicht bei den Nutzern ankommen.

Gründe für diese Entwicklung gibt es einige. So stand der Windows App Store lange Zeit nur den sogenannten UWP Apps offen. Universal Windows Platform war ein Konzept von Windows 8, das vorsah, Apps zu veröffentlichen die auf Windows Phone und Windows 8 (neben anderen Windows-Plattformen wie der Xbox) gleichermaßen laufen. Microsoft glaubte damals noch daran, Windows Phone als dominantes mobiles Betriebssystem positionieren zu können. Die UWP-Apps sollten zunächst die Win32-Apps beerben und dann die Welt erobern.

Die Geister der Vergangenheit

Das hat bekanntermaßen nicht funktioniert. Windows Phone stürzte in die Bedeutungslosigkeit ab, und die Softwareentwickler mieden UWP-Apps wie der Teufel das Weihwasser. Die virtuellen Regale im Windows App Store leerten sich, und Microsoft selbst setzt seine Pläne für eine UWP-Version von Office nicht mehr um. Zwar veröffentlichte Microsoft eine UWP-App namens Office - dabei handelt es sich aber nicht um ein vollwertiges Office, sondern nur um eine Art Companion App, die nicht besonders nützlich ist.

Die Entwicklung von UWP-Apps wurde so uninteressant, dass Microsoft irgendwann damit anfing, Entwickler für die Einreichung entsprechender Applikationen zu bezahlen: Anfang 2013 startete man ein Promotion-Programm, bei dem die Developer zwischen 100 und 200 Dollar pro App verdienen konnten. Der Windows-Konzern war so versessen darauf, die Regale seines App Stores zu füllen, dass Qualitäts- und Sicherheitskontrolle vernachlässigt wurden und die Nutzer zu protestieren begannen. In der Folge entfernte Microsoft rund 1.500 verdächtige Apps aus dem Store, was allerdings dazu führte, dass das Angebot noch trauriger wirkte.

Inzwischen hat der Konzern aus Redmond eingesehen, dass das UWP-Konzept gescheitert ist: Ursprünglich war der Internet-Explorer-Nachfolger Edge als UWP-Applikation veröffentlicht worden, inzwischen hat Microsoft eine neue Version seines Browsers auf Basis von Edge Chromium veröffentlicht. Joe Belfiore, Corporate Vice President von Microsoft Devices, erklärte das folgendermaßen: "Es ist nicht so, dass UWP schlecht wäre, aber UWP ist eben keine über 35 Jahre gereifte Plattform, für die bereits Unmengen von Apps geschrieben wurden."

Auch heute bietet der Windows App Store hauptsächlich UWP-Apps zum Download, ab und zu lässt sich auch mal Win32-Software finden. Einige der besten, nützlichsten und beliebtesten Win32-Apps fehlen allerdings weiterhin: Chrome, Adobe Reader, CCleaner, Zoom oder Dropbox sind nur einige Beispiele von vielen. Wenn Microsoft es nicht hinbekommt, seinen App Store so auszustatten, dass für die Nutzer Mehrwerte entstehen, ist das der Laden den das Unternehmen tatsächlich dichtmachen sollte. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.