Keine weiteren Firmenübernahmen geplant

Hat Cisco seine Aktionäre getäuscht?

13.04.2001
MÜNCHEN (CW) - Cisco steht Ärger ins Haus. Möglicherweise hat der einstige Börsenliebling den Anlegern zu lange verschwiegen, mit welchen Schwierigkeiten der Konzern kämpft.

Auf einer Konferenz von Gartner Ende März in Florenz räumte der europäische Cisco-President Robert Lloyd ein, die Verantwortlichen in der Führungsetage des Netzspezialisten hätten bereits Mitte Dezember des vergangenen Jahres von den wirtschaftlichen Problemen gewusst. Erste Andeutungen über ein möglicherweise schlechteres Quartalsergebnis machte Cisco-Chef John Chambers allerdings erst Ende Januar anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels im schweizerischen Davos. Die endgültige Warnung, dass im dritten Quartal statt 19 nur 18 Cent Gewinn pro Aktie zu erwarten seien, folgte erst am 6. Februar 2001.

Diese Verschleierungstaktik könnte die US-amerikanische Börsenaufsicht auf den Plan rufen. Die Unternehmen sind dazu verpflichtet, Unregelmäßigkeiten und mögliche Probleme im Geschäftsverlauf sofort zu melden. Ob die Behörde Sanktionen gegen das einstige Vorzeigeunternehmen der Nasdaq plant, ist bislang nicht bekannt.

Der wirtschaftliche Abschwung habe den Hersteller von Netzwerkequipment laut Aussage von Lloyd überrascht. Noch Anfang Dezember 2000 gingen die Verantwortlichen von einem ungestörten Wachstum nach Plan aus. Kurz darauf musste die Führungsriege jedoch die Notbremse ziehen. Die geplante Einstellung von bis zu 7000 neuen Mitarbeitern wurde auf Eis gelegt. Drei Monate später, als klar wurde, dass Cisco mit einer Krise zu kämpfen hat, gab das Unternehmen bekannt, bis zum Ende des laufenden Geschäftsjahres im Juni dieses Jahres 5000 Stellen abzubauen.

Um zu sparen, will Cisco vorerst keine Firmen mehr übernehmen. Im letzten Jahr hatte der Netzwerkausrüster noch 23 Unternehmen für insgesamt 12,7 Milliarden Dollar geschluckt: Zuletzt am 14. Dezember 2000 die Firma Exio Communications für 155 Millionen Dollar. Nachdem die Marktkapitalisierung von 550 auf 117 Milliarden Dollar geschrumpft ist, sitzt bei den Netzwerkern das Geld nicht mehr so locker wie in vergangenen Zeiten. "Wenn es kein Wachstum gibt, wird es auch keine Übernahmen geben", erklärt Chefstratege Michelangelo Volpi.

Seitdem die Krise beim ehemaligen Börsenliebling offenkundig geworden ist, suchen die Manager nach Auswegen. Ein Rettungsanker könnte nach Einschätzung Volpis die Sprachtelefonie über das Internet sein. Mit Voice over Internet Protocol (VoIP) sind über spezielle Telefonanlagen Zusatzdienste wie Unified Messaging sowie der Zugriff auf alle gesprochenen und geschriebenen Nachrichten im Unternehmen möglich. Volpi rechnet für das Geschäft mit VoIP-Geräten mit Zuwachsraten von über 100 Prozent jährlich.

Die Analysten stützen die hohen Erwartungen Ciscos. So wird laut einer Untersuchung der Marktforscher von Synergy Research der Markt für VoIP-Lösungen von 213 Millionen Dollar im letzten Jahr auf etwa 3,9 Milliarden Dollar im Jahr 2005 wachsen. 20 Prozent des Umsatzes mit Telekommunikationsanlagen würden dann mit Server-basierten Telefonielösungen erwirtschaftet.

Allerdings müssen die Techniker bis dahin noch ein paar Hausaufgaben erledigen, räumt Volpi ein. So sei die IP-Telefonie zwar sehr preisgünstig, meist leide jedoch die Qualität unter der paketbasierten Übertragungsweise.