Web-Design allein reicht nicht mehr

Harte Zeiten für Internet-Dienstleister

05.04.2002
MÜNCHEN (sp) - Im Geschäft mit Internet-Dienstleistungen graben den Web-Agenturen vor allem die klassischen Berater das Wasser ab. Wer von den einstigen Stars der New Economy überleben wird, hängt unter anderem davon ab, wie sie den Spagat zwischen reinen Frontend-Services und einer stärker prozessorientierten Ausrichtung schaffen.

Internet-Beratungsfirmen, die zu Beginn des Dotcom-Booms in den Markt drängten, machen inzwischen vor allem durch hohe Verluste und Entlassungen Schlagzeilen. Nicht erst seit der spektakulären Pleite des einstigen Börsenlieblings Kabel New Media im Sommer vergangenen Jahres geht es für viele Web-Dienstleister bergab. Jüngstes Beispiel ist die drohende Insolvenz der hoch verschuldeten Ision Internet AG.

Pixelpark mit RekordverlustAuch der Branchenpionier Pixelpark steht vor einem Scherbenhaufen. Der bereits 1993 in Berlin gegründete Internet-Dienstleister wies im vergangenen Geschäftsjahr, dem nach eigenen Angaben "schwierigsten Jahr der Firmengeschichte", einen Rekordverlust von 86 Millionen Euro aus, der sogar den Umsatz (81,3 Millionen Euro) übertraf. Im Rahmen einer tief greifenden Restrukturierung hat sich die Belegschaft inzwischen fast halbiert. Ohne die Unterstützung von Bertelsmann - der Medienkonzern ist mit 60 Prozent an Pixelpark beteiligt - hätte das ehemalige Vorzeigeunternehmen schon vor einem Jahr aufgeben müssen.

Einer der Gründe für den jähen Fall der einstigen Börsenlieblinge war ihr rasantes Wachstum während des Internet-Booms. Kabel New Media etwa hatte mit vier Mitarbeitern begonnen - nicht einmal zwei Jahre später beschäftigten die Hamburger fast 1000 Menschen. Ähnlich explosionsartig entwickelten sich die Personalstände bei Razorfish oder der ebenfalls schwer angeschlagenen Concept AG.

Dabei übernahmen sich die Internet-Beratungsfirmen mit zum Teil kaum nachvollziehbaren Akquisitionen, mit denen sie sich als Full-Service-Agenturen positionieren wollten. Doch die Erwerbungen konnten nur unter großen Mühen und Kosten integriert werden, weil die nötigen internen Strukturen nicht vorhanden waren. "Wir sind in der Internet-Euphorie zu schnell und zu unstruktruiert gewachsen", räumt Paulus Neef, Gründer und Vorstand von Pixelpark, rückblickend ein.

Das rapide Wachstum ging dabei nicht selten zu Lasten der Kunden. "Es blieb ja kaum Zeit, ausgewogene Projektteams aufzubauen", gesteht Stefan Hetges, Geschäftsführer der seit Anfang des Jahres unabhängig von der US-Mutter operierenden Web-Agentur Razorfish Germany. Das habe das Vertrauen in die Kompetenz der Web-Dienstleister nachhaltig erschüttert.

Das Image hat gelitten"Es gab eine ganze Reihe von Agenturen, die sich quasi alles - von der Konzeption über die Markenkompetenz und Gestaltung bis hin zur SAP-Integration - auf die Fahnen geschrieben haben", kritisiert auch Matthias Schrader, Vorstand des vorrangig auf E-Commerce spezialisierten Dienstleisters Sinner Schrader. Versprechungen, die jedoch nicht zu halten waren: "Diese Anbieter haben viel verbrannte Erde hinterlassen und dem Ruf der gesamten Branche geschadet."

Hinzu kam das Platzen der Dotcom-Blase: Die Web-Dienstleister rennen heute keine offenen Türen mehr ein wie zu Zeiten des Internet-Booms, als in der Old Economy noch wenig Wissen über die Möglichkeiten im Web und deren Umsetzung vorhanden war. Mittlerweile haben fast alle Unternehmen ihre eigene Website - die damals vorrangige Tätigkeit der Agenturen, das Web-Design, ist kaum noch gefragt. "Das Internet-Geschäft hat sich im letzten Jahr fast komplett aufgelöst", bilanziert Ulrich Dietz von GFT Technologies aus St. Georgen im Schwarzwald. "Nice-to-have-Projekte werden überhaupt nicht mehr - andere Web-Aktivitäten nur noch schrittweise in Angriff genommen", bestätigt Schrader. "Selbst fest budgetierte Projekte werden oft nicht freigegeben."

Wachsende KonsolidierungDie schwache Auftragslage seit Beginn der Dotcom-Krise hat zu einer geringeren Auslastung der Kapazitäten, niedrigen Margen im Kerngeschäft, einen extremen Preisdruck und schließlich zu einer zunehmenden Konsolidierung geführt. Wegen ihres tief gesunkenen Börsenwerts sind viele der noch übrig gebliebenen Dienstleister attraktive Übernahmekandidaten - speziell für große IT-Servicekonzerne, die ihr Portfolio um die gestalterische Komponente ergänzen wollen. Auch Werbeagenturen sehen in der Akquisition von Internet-Beratungsfirmen eine Möglichkeit, ihren Kunden klassische Werbung und Online-Dienstleistungen aus einer Hand zu bieten. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Übernahme der Concept AG durch WPP/Ogilvy One.

Um das, was den Web-Agenturen noch an potenziellem Geschäft geblieben ist, kämpfen sie inzwischen mit den klassischen Beratungsunternehmen. Die Analysten der Meta Group gehen davon aus, dass die am Neuen Markt notierten Internet-Dienstleister 2004/05 höchstens zehn Prozent des Markts unter sich aufteilen werden. Allein die acht größten globalen IT-Beratungshäuser würden im Jahr 2004 weltweit über 20 Milliarden Dollar umsetzen. Das ist laut Meta-Group-Berater Achim Heidebrecht das Doppelte des Umsatzes, den alle Web-Agenturen zusammen generieren.

Web-Design bringt kaum noch GeldGrund für die zunehmende Dominanz der großen Consulting-Firmen im Internet-Geschäft ist neben ihren langjährigen Kundenbeziehungen vor allem die wachsende Komplexität von E-Business-Projekten, der die meisten Agenturen, die bislang hauptsächlich mit der Website-Konzeption und -Gestaltung ihr Geld verdienten, nicht gewachsen sind. "Der Markt für Web-Design am Frontend ist implodiert", bringt Markus Kerber, Chief Financial Officer (CFO) bei GFT, das Dilemma auf den Punkt.

Stattdessen geht es heute in erster Linie um die Anbindung der E-Business-Anwendungen an die Backend-Systeme. Und da, so Meta-Berater Heidebrecht, haben die traditionellen Beratungshäuser vor den Internet-Dienstleistern einen klaren Vorsprung. Speziell im B-to-B- und B-to-E-(Business-to-Employee-)Bereich stehe nicht die Gestaltung, sondern die Integration der Anwendungen im Vordergrund: "Das Design - das macht doch maximal zehn Prozent der Kosten aus. Rund 20 Prozent entfallen auf Technik, und der Rest - das ist die Abbildung von Prozessen zwischen Zulieferern, Partnern und Kunden."

Um Linux, Datenbank- und Netzwerk-Server, Weitverkehrsnetze und alle möglichen verschiedenen Clients erfolgreich zu integrieren, fehlt es den einstigen Stars der New Economy laut Heidebrecht nicht unbedingt an den entsprechenden Kenntnissen, aber an Erfahrung. "Die wissen oft nicht, wie man Daten aus einem Mainframe holt." Auch im System- und Security-Management könnten die Agenturen mit den klassischen IT-Beratern und Systemintegratoren nicht mithalten: "Wenn das jemand beherrscht, dann nur die großen Consulting-Firmen", so der Experte.

Diesen Vorwurf weist Sinner-Schrader-Vorstand Matthias Schrader zurück. Er räumt zwar ein, dass es sich etwa bei der Implementierung von J2EE, XML oder Soap mittlerweile um Standard-Skills handle, über die sich die Anbieter nicht mehr voneinander abgrenzen könnten. Seiner Ansicht nach bieten aber auch Projekte, die rein auf die Geschäftsprozessoptimierung ausgerichtet sind, keinen Wettbewerbsvorsprung. "Die meisten Veränderungen finden künftig in der Schnittstelle zwischen Unternehmen, Lieferanten, Partnern und Endkunden statt", glaubt der Firmenchef. "Und das funktioniert nur mit einer kundenorientieren Perspektive." Entscheidend sei daher, Lösungen aus einer Hand anbieten zu können: "Die Integration der Frontend-Prozesse in die IT sowie Marketing- und Kundenbindungsprozesse und Personalisierung - das kann ein rein auf Technik ausgerichteter Dienstleister nicht", ist Schrader überzeugt.

Abgrenzung von klassischen BeraternAuch das Pixelpark-Management hofft, sich mit seiner neuen Positionierung als "Web-Agentur mit Implementierungskompetenz" von den reinen IT-Beratern abzugrenzen. "Wir wollen gar nicht gegen McKinsey und Co. antreten", so Firmenchef Neef. Da Pixelpark über seine individuell auf den Kunden abgestimmte Web-Beratung mit Fokus auf das Frontend vorwiegend Unternehmen aus dem B-to-C-(Business-to-Consumer-)Geschäft wie Banken oder Fernsehsender bediene, dürfe die kreative Komponente nicht vernachlässigt werden.

Dennoch, betont Neef, hat sich Pixelpark auf die veränderte Marktsituation eingestellt. 70 Prozent der Aktivitäten entfielen bereits heute auf die Implementierung und damit verbundene Beratung von Anwendungen: "Wir haben uns zum IT-Unternehmen entwickelt." Der Mehrwert gegenüber den klassischen Beratungsfirmen bestehe jedoch darin, alles aus einer Hand anbieten zu können. "Auf diese Weise schaffen wir eine Brücke zwischen Technologie und Marketing."

Ähnlich sieht es Razorfish-Chef Hetges: "Klar, die Integration von Mainframes, das können wir nicht bieten", räumt er ein. Aber dafür fehle es den klassischen Consulting-Unternehmen an der kreativen Leistung, um die Strategie markengerecht umzusetzen. Im Endeffekt sei es sinnvoll, sich gegenseitig - über Partnerschaften - zu ergänzen.

Ob das viel zitierte friedliche Nebeneinander von Web-Agenturen und IT-Beratern Zukunft hat, wird sich zeigen. Andere Anbieter fahren lieber zweigleisig, indem sie stärker auf die technologische Realisierung von Web-Projekten setzen. GFT etwa sieht sich in einer "Sandwich-Postition" zwischen den großen Beratern wie Accenture oder IBM Global Services und den kleineren Konkurrenten.

Auch die Sapient GmbH, einer der wenigen Anbieter, die 2001 ein - wenn auch geringes - positives Nettoergebnis ausgewiesen haben, versteht sich nicht als reiner Internet-Dienstleister, sondern als Anbieter von Strategie, Kreation, Technologie und Projekt-Management aus einer Hand. "Obwohl für die Backend-Integration leider noch die kritische Masse fehlt, sind wir deutlicher umsetzungsorientiert als viele unserer Wettbewerber", behauptet Arndt Rautenberg, Sprecher der Geschäftsführung der seit einem Jahr in Deutschland tätigen Tochter des US-Branchenpioniers Sapient. "Wir betrachten daher auch eher Accenture oder Cap Gemini als Konkurrenten - nicht Firmen wie Pixelpark oder Sinner Schrader."

Besserung frühestens im zweiten HalbjahrWie auch immer sich die einzelnen Anbieter positionieren - es bleibt schwierig im heiß umkämpften Markt für Web-Dienstleistungen. Außer der Sapient GmbH, die ihren Umsatz in Deutschland im vergangenen Jahr steigern konnte, und der GFT Technologies AG, die von der Übernahme der Deutsche-Bank-Tochter Emagine profitierte, rechnet in diesem Jahr kaum jemand mit Wachstum.

Eher geht das Geschäft noch weiter zurück. So erwartet die Pixelpark AG, dass ihre Einnahmen im Geschäftsjahr 2002 "deutlich" unter denen des Vorjahres liegen werden. Andere Anbieter veröffentlichen erst gar keine Geschäftszahlen, wenn sie nicht müssten - von Prognosen ganz zu schweigen.

Es sieht alles danach aus, als ob sich die Internet-Dienstleister auf eine längere Durststrecke einstellen müssten. Da sich der Markt weiter in Riesenschritten konsolidiert, wird die Entscheidung, welchen der verbliebenen Player die Bereinigung der Szene zugute kommen wird, jedoch nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen.

Neupositionierung von PixelparkUm auf die veränderten Marktbedingungen angemessen reagieren zu können, hat sich die Pixelpark AG, die neben Deutschland inzwischen nur noch in Österreich, der Schweiz, Frankreich und Brasilien vertreten ist, neu aufgestellt. Neben einer konsequenten Konzentration auf das Kerngeschäft Internet-Beratung will der angeschlagene Branchenpionier seine technologische Kompetenz über Partnerschaften - etwa mit SAP, dem E-Procurement-Spezialisten Hybris und dem Content-Management-Anbieter Core Media - ausbauen. Mit einer stärkeren Vertriebsorientierung hofft Pixelpark zudem, sich dem Wandel vom Käufer- zum Verkäufermarkt anpassen und die Entscheidungswege verkürzen zu können: Im neu geschaffenen Bereich Marketing & Sales sollen die Beratungs-, Vertriebs- und Marketing-Kompetenzen standortübergreifend gebündelt und auf diese Weise der bisher eher stiefmütterlich behandelte Vertrieb gestärkt werden. "Damit können wir auch das angekratzte Image der Branche wieder aufpolieren", hofft Pixelpark-Vorstand Paulus Neef.