Erster sprechender Schachcomputer:

Harte Online-Knobelei mit Challenger Voice

28.03.1980

Anwenderfreundlichkeit scheint bei Schachcomputerhersteller großgeschrieben zu sein. "Chess Challenger Voice", der erste sprechende "elektronische Schachfreund" der Welt aus dem US-Unternehmen Fidelity Electronic, Miami, ist auch auf dem deutschen Markt erhältlich.

Vielleicht sollte man gleich zu Anfang noch zwei mechanische Vorgänger sprechende Ur-Maschinen - erwähnen: Der Türke, ein um das Jahr 1770 von Baron Johann von Kempelen konstruierter "Shachautomat", konnte bis zu 30 Worte menschenähnlich artikulieren. Für die damalige Zeit war das eine bemerkenswerte Leistung auf dem Gebiet der Akustik.

Die um das Jahr 1890 vom Spanier Torres y Quevedo vorgestellte Endspiel-Schachmaschine brachte es immerhin auf ganze zwei Worte: "Schach" und "Matt".

Akustische Hilfestellung

Die künstliche von dem Sprachmodul TI 989 erzeugte Stimme von Challenger Voice leistet schon viel mehr. Sie sagt zum Beispiel bei jedem Zug an, welche Figur wohin zieht, ob dabei eine Figur geschlagen wird und auf Wunsch wird der menschliche Partner über die jeweilige Stellung der Figuren informiert.

Diese akustische Hilfestellung ist vor allem für den Anfänger, der sich mit den Schachzügen schneller und besser vertraut machen will, besonders wertvoll. Aber auch ein Routinier heißt es willkommen, daß dadurch die Gefahr von Fehlinterpretationen stark vermindert wird, wenn auch die Rochade, "En passant" Züge oder Bauernumwandlungen angesagt werden.

Das gleiche gilt für die akustische Kontrolle der Stellungen oder für die Aufstellung bei den Schachaufgaben.

Die Züge werden zusätzlich auf einem übersichtlichen vierstelligen alphanumerischen LED Display angezeigt. Andere Anzeigesymbole (1 bis 8) gewähren Einblick in die strategische "Zauberküche" des "Taschengroßmeisters". Mittels leicht bedienbarer Hexatastatur kann man die Spielstärke in zehn Stufen (von 1 bis 9) variieren. Neu wurde bei diesem Modell die Analysenstufe H eingeführt, hier ist die Bedenkzeit unbegrenzt. Den Rechenprozeß kann man leider nur bei dieser Einstellung (H) vorzeitig unterbrechen.

Wünschenswert wäre es allerdings, diese Unterbrechungsmöglichkeit gleich bei allen Schwierigkeitsgraden einzuführen. Ähnlich gilt es auch für die Beobachtung des Suchvorganges im Display, die ebenso nur bei der Stufe H (durch die Betätigung der Taste DM) möglich ist.

Eröffnung der Superlativen

Von den Superlativen kann man auch bei der Eröffnungsbibliothek von Challenger, dem Herausforderer, sprechen.

Die ursprünglich zwölf elementaren Eröffnungen seines Vorgängers CC7 wurden auf 46 der bekanntesten Varianten bis zur maximalen Folge von 19 Zügen erweitert. Man kann sich sogar per Knopfdruck jede gewünschte Eröffnung vom Gerät vorführen lassen, was von großem, didaktischen Wert für den weniger geübten Spieler ist (siehe die Eröffnungstabelle A).

Aber auch einem Experten leistet das in 24 K-Byte ROM untergebrachte beachtliche Eröffnungswissen viel härteren Widerstand als das des Challenger 7.

Es ist kaum mehr möglich Challenger Voice auf höherer Schwierigkeitsstufe in wenigen Zügen zu überlisten. Es kostete den Tester etliche Stunden harter Online-Knobelei, bis er die erste Eröffnungslücke entdeckte (siehe Partie B und Diagramm C).

Mittelspiel - Programmheuristiken

Als selbstverständlich setzt man bei diesem nicht gerade preiswerten Modell (zirka 1000 Mark) voraus, daß alle Spezialzüge wie Rochade, "En passant" oder die Bauernumwandlung einwandfrei akzeptiert und auch ausgeführt werden Dank seines größeren "Hirnvolumens schlägt Challenger Voice (CCV) in der Regel seinen Vorgänger CC7 und andere Konkurrenzmodelle auf allen Stufen.

Trotzdem scheinen sich seine Programmheuristiken von deren des Vormodells nicht wesentlich zu unterscheiden. In mancher Hinsicht, vor allem vom Mittelspiel bis in die Endspielphase gibt sich "Voice" sogar friedlicher als sein aggressiverer Pate (Modifizierung der Bewertungsparameter?). Näher wird auf diesen Umstand- in der Vergleichspartie gegen das neue Konkurrenzmodell der Horten AG - Chess Champion Super System III in einer der nächsten CW-Ausgaben eingegangen.

Um einen Bauernverlust zu vermeiden, ließ sich CCV in diesem Kampf trotz besserer Stellung auf eine dreimalige Zugwiederholung, und damit auf ein Unentschieden, ein. Auch die Handhabung der Bedenkzeit ist in den letzten zwei Spielabschnitten noch nicht optimal gelöst. Für die selbstverständlichen Züge verbraucht das Gerät bis zum Doppelten der im Prospekt angegebenen Bedenkzeit.

Friedfertiges Endspiel

Die allzu friedfertige Einstellung der Bewertungsparameter macht sich auch im Endspiel des öfteren bemerkbar. Zur angenehmen Überraschung des Prüfers führte das Gerät in dieser Phase das Mattsetzen mit Dame Turm, ja sogar mit den zwei Läufern gegen den schwarzen König einwandfrei vor! Das ist bei anderen Produkten nicht immer der Fall.

Wenn auch die Mattführung besonders bei den niedrigeren Leistungsstufen nicht immer auf dem kürzesten Wege erfolgt, die "50-Züge-Remis-Regelung " wird eingehalten.

Ziemlich zu schaffen - auch bei höheren Stufen - macht CCV die Mattführung mit dem König, Springer und Läufer gegen den König (KSLK) oder mit der Dame und König gegen den Turm und König (KDKT). Auf Diagramm D bringen wir ein Beispiel einer solchen Stellung.

Gesamtwertung: Spitzenprodukt

Zusammenfassend kann man behaupten, daß es sich hier um eines der Spitzenprodukte auf dem bundesdeutschen Minischachcomputermarkt handelt, an dem nicht nur der Anfänger seine Freude haben wird. Auch mancher Klubspieler findet in Chess Challenger Voice für längere Zeit einen Übungspartner von großem didaktischen Wert.

Der beste Beweis dafür ist das hervorragende Abschneiden im Hamburger Vergleichskampf der Minischachcomputer, der im November 1979 stattfand. Man darf vom Hersteller in absehbarer Zukunft erwarten, daß er die bei CCV '79 noch vorhandenen Speicherreserven zur weiteren Vervollkommnung der Programmheuristiken nützen wird.

Vielleicht könnte man dann auch an ein ERB Brett (Electronik Response Board), einen wahlweisen Netz/Akku- oder Batteriebetrieb und eine Modifizierung der Zeithandhabung denken.

In der Diagrammposition bewegte sich der weiße König (Computer) bis zur Schwierigkeitsstufe 4 ständig im Kreise (e3-e4-d4-d3-e4 etc.), so daß es zur dreimaligen Stellungswiederholung und damit remis kam.

Wir können aber getrost feststellen, daß diese Art von Mattführung selbst einem Großmeister ziemliche Präzision abverlangt.

Viel Problemlösung im Speicher

Bei der Problemlösung wirkt sich die größere Speicherkapazität von Voice gegenüber allen anderen Modellen vorteilhaft aus. Schon ab der Stufe 4 löst der "Taschenschachmeister" die Zweizüger in Sekundenschnelle. Nur 23 Sekunden brauchte er bei der Einstellung 4 um die richtige Lösung zu finden (siehe das Diagramm E).

Partie B (Diagramm C)

Weiß: Mensch Schwarz: CCV Gespielt am 27. 10. 79 auf der Stufe 7

Antwortzeit ca. 3,5 min pro Zug

Königsgambit 1.e4 e5

Nach eingehender Prüfung stellt man fest, daß das sogenannte Königsgambit in dem Eröffnungsrepertoir des Computers fehlt (sehe das Verzeichnis der Eröffnungen A).

Hier ist der Computer auf "sich selbst" angewiesen. Ein Grund mehr für die Wahl folgender Variante des Läufergambits: Übrigens der Zufallsgenerator muß einem dabei wohlgesonnen sein, sonst wartet er mit 1...c5, 1...e6 oder 1...c6 auf. 2.f4 exf4 3.Lc4 Dh4!?

Nicht einmal der Weltmeister unter den Großcomputern "Chess 4.9" auf dem Cyber 176 würde sich dieses Damenschach entgehen lassen. 4.g3?! (Üblich ist an dieser Stelle 4.Kf1!) Dieser sonst fragwürdige Textzug stammt aus häuslicher Analyse. Er stellt das auf der Basis der Shannon'sche A Strategie rechnendes Programm vor erhebliche Probleme.

4...fx3! 5.Df3? g2!+ 6.Kd1 gxh1 D? (Siehe das Diagramm C)

Das Gerät nimmt auf dieser Stufe anscheinend schon nach 2 Halbzügen eine Vorauswahl der plausiblen Zügen nach Prioritäten vor.

Nur so ist zu erklären, daß die Mattdrohung nicht vollständig, das heißt, nur bis zum 7.Dxf7+ untersucht wird und in die engere Wahl kommt:

6...gxh1 D?? (Siehe das Diagramm C)

7.Dxf7+ Kd8 Dxf8 matt!

Auf der Stufe 8 eingestellt pariert CV allerdings richtig mit 6...d7-d5!, wobei mindestens eine weiße Figur verloren geht.