DV-Standort Deutschland/Neue Verfahren machen Produktion im Zielmarkt rentabel

Hardwarebau in Deutschland bringt gute Margen

14.03.1997

In den vergangenen Jahren haben Marktforschungsunternehmen, Institutionen und Experten immer wieder darauf hingewiesen, daß der Produktionsstandort Deutschland wegen zu hoher Nebenkosten immer unrentabler wird. Der Deutsche Industrie- und Handelstag (DIHT) beispielsweise sagt auf seiner Internet-Homepage, daß die schlechte Geschäftslage vor allem inlandsorientierte Unternehmen mit einem geringen Exportanteil betrifft. Die meisten Waren könnten in Ostasien oder auch in osteuropäischen Niedriglohnländern zu Konditionen gefertigt werden, die in Deutschland nicht vorstellbar wären.

Hiesige Unternehmen beschweren sich zum Beispiel über höhere Steuern und Sozialabgaben, großzügigere Arbeitszeit- und Urlaubsregelungen für Arbeitnehmer oder Aufwendungen für den Umweltschutz. Deswegen gehen immer mehr deutsche Firmen dazu über, in Hongkong, der Wirtschaftssonderzone Shenzen in Südchina oder auch in Taiwan und Südkorea zu produzieren. Die dadurch eingesparten Herstellungskosten machen die Nachteile einer solchen zielmarktfernen Produktion wie beispielsweise lange Transportwege und Reaktionszeiten für die meisten Unternehmen wieder wett.

All diese Entwicklungen wirken sich auf den Standort Deutschland äußerst negativ aus: Zum Beispiel verschärft der Wegfall von Arbeitsplätzen in Deutschland das soziale Klima und belastet den Staatshaushalt durch die hohen Sozialausgaben. Der intensive Wettbewerb zwingt zu Preiszugeständnissen in den Auslandsmärkten, verstärkt aber auch im Inland. Viele Unternehmen fühlen sich vom Kosten- und Preisdruck in die Zange genommen. Auch ist, aufgrund einer schlechten Zahlungsmoral, das Insolvenzrisiko groß - mit der Gefahr des Verlustes weiterer Arbeitsplätze. Für die Unternehmen besteht der Zwang zur Rationalisierung unvermindert fort.

Damit geht die Tendenz einher, Produktionsstätten zu schließen, was die Lage noch verschlimmern wird. Politische Eingriffe sind zum Scheitern verurteilt: Schutzmaßnahmen wie Strafzölle kommen immer seltener in Frage. Der Abbau der Betriebe ist aber kein Phänomen, das alle Marktsegmente betrifft, es gibt interessante Ausnahmen. Eine davon ist die Computerproduktion. Computer bestehen aus vielen verschiedenen Komponenten, von denen einige preisstabil sind, andere nicht. Zu ersteren gehören beispielsweise Floppylaufwerke oder Gehäuse, während Festplatten und Prozessoren sehr schnell an Wert verlieren.

Ein Intel-Pentium-Prozessor mit 133 Megahertz Taktfrequenz ist dafür ein sehr gutes Beispiel: Noch im Weihnachtsgeschäft 1995 galt eine solche CPU als für die meisten Privatleute unerschwingliches High-end-Produkt. Heute ist sie praktisch der günstigste Prozessor auf dem Markt und das absolute Minimum, mit dem ein moderner PC ausgestattet werden muß. Generell gilt hier die Aussage, daß solche kostensensitiven Komponenten alle vier bis sechs Wochen drei bis fünf Prozent ihres Wertes verlieren.

Berücksichtigt man, daß ein Transport per Schiff von Ostasien nach Hamburg vier bis sechs Wochen dauert, ist es für eine profitable Fertigung wesentlich, möglichst wenig preisinstabile Teile im Lager vorzuhalten. Dazu kommt noch, daß die preissensitiven Komponenten in der Regel klein sind, wenig wiegen, aber viel kosten. Sie eignen sich damit hervorragend für einen Transport per Luftfracht. Es ist also sinnvoll, Prozessoren und Festplatten per Luftfracht zu liefern statt per Schiff, da diese Komponenten während des Schiffstransportes bis zu fünf Prozent ihres Wertes verlieren würden. Dies ist bei den geringen Gewinnmargen im Hardwarebereich - nach Aussage des Finanzanalysten Morgan Stanley liegen sie bei vier bis sieben Prozent - zuviel. Diskettenlaufwerke und Gehäuse können dagegen sehr wohl per Schiff geschickt und auf Lager gelegt werden, da deren Preise stabil bleiben.

Diese besonderen Faktoren bei der Computerherstellung wirken sich auf die Produktion aus: Computerfirmen wie zum Beispiel der taiwanische Computerhersteller Acer oder auch die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG (SNI) gehen jetzt dazu über, ihre Rechner "vor Ort" zu fertigen, also in den Ländern herzustellen, in denen sie auch verkauft werden. Sogar Unternehmen, die eigentlich in klassischen Billiglohnländern zu Hause sind, erhoffen sich davon Vorteile. So fertigt Acer seine Computer für den deutschen Markt seit Anfang 1993 in Ahrensburg. Die Komponenten kommen nach wie vor aus Ostasien oder den USA, aber die Assemblierung der Geräte findet jetzt in Deutschland statt. Die Kostenersparnis durch den Transport preisinstabiler Einzelteile per Luftfracht ist so groß, daß nicht nur höhere Abgaben und Produktionskosten aufgefangen werden. Unternehmen, die vor Ort produzieren, können ihre Geräte sogar billiger anbieten als die Konkurrenz, die auf traditionelle Weise komplette PCs per Schiff liefert.

Lohnfaktor spielt eine untergeordnete Rolle

Die Strategie der Markt- und Kundennähe erfordert natürlich eine besondere Logistik und Organisation. Deshalb sind bei Unternehmen, die nach diesem Prinzip verfahren, alle Produktionsstätten dezentral. Weitere Vorteile bringt das Prinzip der Just-in-time-Fertigung. Damit wird auf Kundenwünsche direkt reagiert, Rechnerkonfigurationen werden gezielt aus "frischen" Komponenten zusammengestellt. So lassen sich die Lagerkosten niedrig halten, die Hersteller können auf Marktveränderungen und technologische Neuerungen schneller reagieren.

"Unsere Just-in-time-Fertigung vor Ort hat sich sehr bewährt und uns dabei geholfen, den Marktanteil in Deutschland weiter auszubauen", erklärt Klaus Muuß, Geschäftsführer der Acer Computer GmbH in Deutschland. "Darüber hinaus können wir mit Snap-in-Technologie, mit der Computer nicht mehr verschraubt, sondern nur noch zusammengesteckt werden, einen kompletten Rechner theoretisch in weniger als 30 Sekunden zusammenbauen. Damit erreichen wir solche Stückzahlen pro Zeiteinheit, daß der Lohnfaktor eine eher untergeordnete Rolle spielt. Für uns würde sich nicht einmal eine Produktion beispielsweise in Polen lohnen. Dort sind zwar die Produktionskosten viel niedriger, aber hier in Ahrensburg ist die Produktivität so hoch, daß schon die Logistik für einen Transport von Polen nach Deutschland unsere Gewinnmarge deutlich schmälern würde..

Angeklickt

Im Hardwaresektor kündigen sich rückläufige Entwicklungen an. Der Produktionsstandort Deutschland rechnet sich wieder. Just-in-time-Fertigung, spezielle Logistikkonzepte und Stecktechniken holen die Produktion von Computern (beispielsweise) wieder nach Deutschland zurück. SNI und Acer praktizieren das Verfahren schon.

*Dr. Götz Güttich ist freier Journalist in München.