Hannover Messe: PLM-Anbieter drängen in den Mittelstand

18.04.2007
Unternehmen wie Dassault Systemes und die unlängst von Siemens geschluckte Firma UGS wollen ihren Radius auf den Mittelstand ausweiten, und zwar mit vorkonfigurierten Varianten ihrer Kernprodukte.

Unter Product-Lifecycle-Management (PLM) verstehen die Softwarefirmen Funktionsbausteine und Datenhaltung, die ein industrielles Erzeugnis von der Konstruktion über die Produktionsplanung, Fertigung und Vertrieb bis zur Wartung begleitet. Dassault Systemes zählt zu den namhaften Anbietern von CAD-Software ("Catia"), die vor allem von großen Industriekonzernen verwendet wird. Die PLM-Software übernimmt die im CAD-Programm erzeugten Informationen und speichert sie in einem Datenmodell, so dass die nachgelagerten Abläufe sie verwenden können. Zudem lassen sich einmal entworfene Komponenten etwa im Fahrzeugbau erneut in anderen Varianten verwenden. Solche Abläufe müssen die Firmen mittlerweile standort- und unternehmensübergreifend steuern (siehe auch Produkte aus virtuellen Ingenieurbüros).

Aus Sicht der Anbieter können PLM-Programme Industriebetrieben helfen, Produkte rascher zu entwickeln und marktreif zu machen. Auch Änderungen am Design sowie an der Konfiguration können in kürzeren Abständen vollzogen werden. Dies setzt ein enges Zusammenwirken unterschiedlicher Abteilungen voraus, beispielsweise muss das Marketing Produktentwürfe absegnen, die ein Konstrukteur erzeugt hat. Das Idealkonzept der PLM-Branche sieht vor, dass beide Abteilungen an dieselbe Softwareumgebung angebunden sind, jedoch unterschiedliche Funktionen der PLM-Lösung verwenden. Während große Firmen bereits PLM-Abteilungen gegründet hätten und die Ideen in die Tat umsetzten, entdecke nun auch der Mittelstand die Vorzüge des Ansatzes, behaupten die Softwarehäuser unisono (siehe auch Bosch plant ein konzernweites PLM).

Um besser als bisher den Mittelstand zu erreichen, legte Dassault die Software "Smarteam Design Express" auf. Express soll auf eine rasche Einführung des Systems beim Kunden hinweisen. Aus dem breiten Funktionsspektrum des PLM-Angebots werden nur bestimmte Komponenten in die Express-Paketen zusammengefasst. Auf diese Weise entstand zum Beispiel eine Sammlung von Werkzeugen, die aus Sicht von Dassault für Anwender aus dem Anlagen- und Maschinenbau relevant sind. Bereits angelegt sind ferner Benutzerrollen und Datenmodelle. Da viele Betriebe bereits CAD-Programme verwenden, verfügt Smartteam Design Express über Schnittstellen zu unterschiedlichen Zeichensystemen. Dassault arbeitet darüber hinaus an weiteren mittelstandstauglichen Produkten für den Mittelstand, die demnächst vorgestellt werden sollen.

Dass der Mittelstand PLM-Prozesse einführt, davon ist man bei Dassault überzeugt. "Die Auftragsbücher sind voll, nun wollen Firmen schneller sowie standort- und firmenübergreifend fertigen", so der Hersteller. Teilweise können die Unternehmen auch gar nicht anders. Zulieferer im Automobilsektor müssen ihre Produktionsprozesse immer enger mit den Abläufen der OEMs verknüpfen. Wenn dort bereits ein PLM-System läuft, führt der Lieferant diese Lösung ebenfalls bei sich ein.

Allerdings sind Unternehmen dieser Größe Dassault zufolge nicht bereit, für Services zu bezahlen, die sich Großkunden von Dassault leisten. Bei Konzernen wie Airbus sind Softwareexperten dauernd dabei, die PLM-Umgebung zu justieren. Kleinere und mittelgroße Betriebe wollen ein Programm erwerben und allenfalls noch Wartungsgebühren entrichten.

Als "Teamcenter Express" bezeichnet Dassault-Konkurrent UGS sein Mittelstandsprodukt. Und auch dieser Hersteller verspricht kurze Einführungszeiten. Teamcenter agiert als Rückgrat einer PLM-Umgebung, zu der ebenfalls CAD-Software zählt. Laut Anbieter nutzen zahlreiche Industriefirmen das System als Integrationsbaustein, um CAD-Programme wie Catia und "Pro/Engineer" des PLM-Spezialisten PTC einzubinden. Von der hauseigenen CAD-Software "NX" hatte UGS unlängst die Version 5 präsentiert. Damit soll es möglich sein, Fremdgeometrie einzubinden und damit Modelle von Produkten zu erzeugen. Mit Fremdgeometrie sind Daten von anderen CAD-Umgebungen gemeint. Möglich wird dies durch das Datenformat "JT", das UGS entwickelt hat und mittlerweile auch von einer Reihe anderer Softwarehäuser verwendet wird. NX 5 verfügt darüber hinaus über ein Rollen-basierendes Interface, so dass Marketing-Experten andere Funktionen und Menüs vorfinden als Mitarbeiter der Konstruktion.

Seit kurzem gehört UGS zu Siemens (siehe auch Siemens mit glänzenden Zahlen. Der deutsche Konzern erwarb das Unternehmen von einem Investor und setzte damit die Konsolidierung im PLM-Umfeld fort. Vor einem Jahr hatte Dassault sich den PLM-Spezialisten Matrix One einverleibt und PTC kaufte die Softwarefirmen Abortext und Mathsoft (siehe auch PLM-Anbieter drängen mit Branchenlösungen in den Markt).

Wie genau das Unternehmen in Siemens eingebunden wird, steht zwar noch nicht fest. Bei UGS geht man jedoch davon aus, dass es nun gelingt, neue Kundensegmente zu erreichen, da das Softwarehaus nun einen finanzstarken Konzern im Rücken habe. Die Siemens-Sparte "Automation & Drives" bedient bereits zahlreiche Industriekunden im Projektgeschäft und erweitert nun sein Lösungsspektrum um spezialisierte Software.

Den Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland hofft der Anbieter mit Komplettsystemen zu begeistern. Neben der CAD- und PLM-Software führt UGS auch ein Manufacturing Execution System (MES) im Portfolio, wobei wiederum Teamcenter als gemeinsame Plattform für alle Komponenten fungiert. UGS hatte lange vor der Übernahme durch Siemens den MES-Spezialisten Tecnomatix gekauft. Somit reiche die Software bis in die Werkstätte, wo die Fertigungsabläufe maschinennah gesteuert werden, behauptet der Hersteller. Neben den Produktionsplanungsdaten könne die UGS-Software auch sämtliche Arbeits- und Qualitätssicherungspläne sowie begleitende Dokumente aufnehmen. Mit Letzterem ließe sich die Datenübergabe von der Produktionsplanung zu den Mitarbeitern in der Werkstatt von Papier auf Software umstellen. "In vielen Betrieben findet man neben den Maschinen noch Arbeitspläne in Form von Handzetteln, die nicht selten ein halbes Jahr alt sind", so Armin Klaus, der bei UGS in Ismaning bei München Senior Business Consulting Manager für das Produktions-Management ist. Welche Rolle die MES-Lösung von UGS künftig spielt, bleibt abzuwarten, denn der neue Eigentümer Siemens verfügt über eigene Produkte im MES-Umfeld.

Neben den Spezialisten tummeln sich auch ERP-Hersteller im Markt, darunter Infor und SAP. Zwar vermarkten die Walldorfer "Mysap PLM" als Komplettsystem, dem Produkt fehlt jedoch im Gegensatz zu den Erzeugnissen von PTC, Dassault und UGS die Konstruktionskomponente (siehe auch Für wen rechnet sich SAP PLM?). Diese lässt sich jedoch über Schnittstellen einbinden. Insidern zufolge wollte die SAP diese Lücke schließen und war ebenfalls an UGS interessiert.

SAP-Systeme sind mit PLM-Produkten integriert. Beispielsweise können die mit Produkten von UGS und Dassault erzeugten Stücklisten und Arbeitspläne als Stammdaten in R/3 angelegt werden. (fn)