"Maschinen wollen sie - Menschen nicht"

Hang zum Zentralismus

16.11.1984

Ein neuer Typ muß her. Einer, der mit den neuen Techniken umgehen kann, der sie akzeptiert. Sonst können Unternehmen den wechselnden Marktanforderungen nur schwer folgen. Um Akzeptanzprobleme abzufangen, bevor sie entstehen, entwickelten die drei Autoren neue Ideen.

Die Kehrseite dieser dritten industriellen Revolution wird zunehmend deutlicher: Arbeitslosigkeit, höhere psychische Belastungen, Arbeitsintensivierung, Isolation und Dequalifikation sollen nur als einige Folgen dieser Entwicklung aufgeführt werden. Das bedrückendste Problem dabei ist sicher die steigende Arbeitslosigkeit. Die Gründe für diese Entwicklung sind zum einen die hohen Kosten des Produktionsfaktors Arbeit, die eine erhöhte Kapitalintensität der Produktion bedingen, im Klartext: Freisetzung von Arbeitskräften. Zum anderen verlangen die gestiegenen Anforderungen aufgrund des höheren technischen Niveaus eine ständige Weiterbildung der verbleibenden Arbeitskräfte.

Als Summe dieser beiden Effekte ergibt sich einerseits eine Steigerung der Arbeitslosigkeit am unteren Ende der Qualifikationsskala, andererseits eine gesteigerte Nachfrage nach spezialisierten und hochqualifizierten Kräften am anderen Ende. Dem wird das Aus- und Weiterbildungssystem in seiner heutigen Form kaum gerecht.

Neuere Untersuchungen zeigen, daß sich die Arbeitsplatzvernichtung durch den Einsatz neuer Technologien rapide beschleunigen wird.

So ist vom Sommer 1982 bis zum Frühjahr 1983 von der Abteilung "Automation und Technologie" beim Vorstand der IG Metall eine bundesweite Bestandsaufnahme in 1107 Betrieben der Metallwirtschaft zur Verbreitung und den Folgen der neuen Technologien durchgeführt worden. Man sagt dieser Studie nach, es gäbe in der Bundesrepublik in dieser Größenordnung und Vielschichtigkeit keine vergleichbare Untersuchung.

Ihre Ergebnisse sind äußerst vielschichtig. In mehr als der Hälfte der, Betriebe sind Betriebsdatenerfassungssysteme, Bildschirmstationen und spezielle Dialogsysteme installiert.

Es ist ein deutlicher Trend zu "vernehmungsfähigen" Systemen zu verzeichnen (Computer Aided Design (CAD), flexible Fertigungssysteme, Industrieroboter- und Montageautomaten-Technologien).

Numeric Control (NC)- und Computerized Numeric Control (CNC) Technologien sowie Rationalisierung in der Montage und in der (Industrie-) Verwaltung haben starke Personalfreisetzungseffekte beziehungsweise verändern Arbeitsplätze in starkem Maße.

- NC- und CNC-Technologien führten in sechs von zehn Fällen zum Abbau von Arbeitsplätzen. Generell wurden zwar körperliche Belastungen an solchen Arbeitsplätzen verringert, dagegen stiegen aber Arbeitstempo und psychische Belastungen.

- Anfang 1983 wurden bereits 4650 Industrieroboter - vor allem in Großbetrieben - registriert. Aus nahezu zwei Drittel der Anwenderbetriebe wird von einem Verlust an Arbeitsplätzen berichtet. Die Belastungsfolgen sind damit denen der NC-/CNC-Technologien vergleichbar.

- Im Bereich der Montage wird künftig ein erhebliches Rationalisierungspotential gesehen. Schon jetzt ist deutlich, daß starre Einzweckmaschinen mehr und mehr durch flexible, frei programmierbare Montageautomaten abgelöst werden. Diese Entwicklung betrifft im wesentlichen un- und angelernte Arbeitnehmer - darunter überdurchschnittlich viele Frauen und Ausländer.

- In den Büros als weiterem Automatisierungsschwerpunkt werden zunehmend Bildschirme, Textverarbeitungssysteme und Computer installiert. Rationalisierungsmöglichkeiten bestehen dabei im wesentlichen in den Bereichen Personalwesen, Buchhaltung, Kalkulation, Konstruktion, Lagerwesen und Versand. Hier führten die neu eingerichteten EDV-Arbeitsplätze zu einem Drittel zu einfachen, nur etwa zu zwei Fünfteln zu höherwertigen Qualifizierungsanforderungen (Programmierung, Systemanalyse). Die Belastungen für die Arbeitnehmer haben sich in aller Regel erhöht (Schichtarbeit, Lärm, Augenbelastung, Zwangshaltung, Monotonie, hohes Arbeitstempo, Isolation).

Angesichts dieser Entwicklung können die Ergebnisse einer von Infratest im Auftrag der Siemens AG durchgeführten Repräsentativbefragung der deutschen Bevölkerung im Alter von 14 bis 65 Jahren kaum verwundern.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach. Offensichtlich bestehen bei weiten Teilen der Bevölkerung Akzeptanzprobleme hinsichtlich der neuen Technologien

Für die an informationstechnischen Innovationsprozessen beteiligten Gruppen stellten die Akzeptanzwiderstände bei unterschiedlicher Interessenlage auch unterschiedliche Problemsituationen dar.

Für Geschäftsleitungen von Technikherstellerbetrieben bedeuteten Akzeptanzbarrieren vor allem Absatzstockungen sowie Fehlinvestitionen in Forschung und Entwicklung.

Für Arbeitnehmer und ihre Interessenvertreter in technikherstellenden Betrieben bedeuteten sie unter Umständen Kurzarbeit, Einkommensverluste und Arbeitslosigkeit.

Für Geschäftsleitungen in Technikanwenderbetrieben bedeuteten sie zeitliche Verzögerungen, erhöhte Einführungskosten niedrigere Produktivität, geringere Wirtschaftlichkeit und Investitionsruinen.

Für Arbeitnehmer in technikanwendenden Betrieben bedeuteten sie, daß ihre Vorstellungen über die Aufgabenerfüllung unter Verwendung neuer Bürotechnik nur mangelhaft Berücksichtigung fänden.

Bevor der Ansatz zur Lösung der Akzeptanzproblematik vorgestellt werden soll, muß darauf hingewiesen werden, daß nicht die Technik selbst, sondern ihre organisatorische Einbettung für die Lösung des Akzeptanzproblems mit ausschlaggebend ist.

Die Vergangenheit der deutschen Industrie ist dadurch gekennzeichnet, daß von Seiten des Managements in einigen Branchen sowohl bei den Produktionsverfahren als auch bei den Produkten eher Innovationsbremsen gezogen wurden. Erwähnt sei die Uhrenindustrie, die den Einstieg in die Elektronik, "verschlafen" hat, wodurch etwa 30 000 Arbeitsplätze verlorengingen. Das gleiche Schicksal ereilte die Phonoindustrie: Integrierte Schaltkreise und Microchips wurden zuerst in japanische und amerikanische Geräte eingebaut. Viele ehemals namhafte deutsche Hersteller hochwertiger Phonogeräte kämpften plötzlich um ihr Überleben. Innovationen bleiben auch in der Phonoindustrie aus; viele Produktionsstätten wurden in Billiglohnländer verlagert. Man machte sich jedoch wenig Gedanken um Neuheiten.

Experten bemerken treffend, daß Innovationen in der Produktion, wenn sie in deutschen Betrieben stattfanden und -finden, meist viel zu schnell und mit übersteigertem technokratischen Ingenieursdenken enorme (Personal-) Kosteneinsparungen zur Folge hatten. Eine weitere negative Auswirkung liegt im Hang zum Zentralismus, das heißt in der automationsgerechten Zerstückelung der Arbeitsprozesse in Richtung menschenleere Fabrik. Es liegt auf der Hand, daß durch solche übereilte und nicht genügend reflektierte Einführung neuer Technik die berechtigten Interessen der Arbeitnehmer nicht genügend berücksichtigt wurden.

Ralf Reichwald von der Bundeswehrhochschule in München faßt die Entwicklung für den Bürosektor zusammen: "Die Erfahrungen mit der Bürotechnisierung der letzten 20 Jahre. . . zeigen eher eine Negativentwicklung. Organisatorische und räumliche Zentralisierung, inhaltliche Arbeitsentmischung, erhöhte einseitige Belastung durch Monotonisierung der Arbeit gehen häufig einher mit einer Abqualifizierung von Büroarbeitsplätzen."

Die in Jahrzehnten gewachsenen technischen, organisatorischen und personellen Betriebsstrukturen stehen durch ihren enormen Trägheitskoeffizienten nicht zuletzt auch Neuerungen entgegen. Mühsam aufgebaute Hierarchien, Machtstrukturen, Kontrollmechanismen und Intrigen können nicht von heute auf morgen beseitigt werden. Nicht zu vergessen ist die bereits installierte Fertigungstechnik und Peripherie mit ihrem meist zentralistischen und komplizierten Aufbau - dafür haben viele Hersteller Sorge getragen.

Inzwischen schließt die Unternehmerseite nicht mehr die Augen vor der Entwicklung. Nur flexible Reaktionen auf Losgrößen und Produktspektren, hohe Produktqualität und eine maximale Auslastung der Produktionseinheiten werden längerfristig das Überleben von Betrieben sichern. Auf die Arbeitnehmer kann bei diesen Vorgaben nicht verzichtet werden. Beiträge auf der Analytik `84 in Hamburg und der Herbstkonferenz der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft `84 in Wolfsburg machen deutlich, daß eine flexible Personalpolitik die wesentliche Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen (Welt-) Markt ist. Nicht mehr die Leistungsmenge ist dabei der wichtigste Parameter, sondern Merkmale wie Kooperation im Betrieb, Kollegialität in der Arbeitsgruppe, Selbständigkeit, Verantwortungsbewußtsein, Loyalität und Identifikation mit dem arbeitgebenden Unternehmen, Kreativität und Flexibilität - kurz: qualitative Leistungskomponenten erhalten zunehmend ein stärkeres Gewicht.

Der Abriß bisher versuchte aufzuzeigen, welche nach unserer Meinung negativen Entwicklungsmomente durch die zunehmende Einführung neuer Technologien in das Arbeitsleben auftreten und wie sich diese durch vorhandene betriebliche und qualifikatorische Strukturen verstärken. Dem stehen offensichtlich derzeit betriebliche Anforderungen an einen `neuen Typus` von Arbeitnehmer gegenüber. Wissenschaftler wagen in ihrer neuesten industriesoziologischen Studie folgende Vorausschau auf die nächsten Jahre in denen sich vier Gruppen von Arbeitnehmern herausbilden werden.

Innerhalb der innovationsfähigen industriellen Kernsektoren (Automobilindustrie, Werkzeugmaschinenbau und großchemische Industrie) werden die geschickten, kooperationsfreudigen und diagnosefähigen "modernen Produktionsfacharbeiter und Instandhaltungsspezialisten" das personelle Fundament der neuen Produktionskonzepte bilden; sie sind die "Rationalisierungsgewinner".

Als "Rationalisierungsdulder" wird die Gruppe von hauptsächlich ausländischen und weiblichen Arbeitnehmern bezeichnet, die - noch per Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgesichert - in den Kernsektoren einen traditionellen Arbeitsplatz besitzt, der aber im Laufe der Zeit durch neue Produktionskonzepte überflüssig wird.

Die dritte Gruppe sind Arbeitnehmer in krisenbestimmten Branchen (Stahl- und Werftindustrie), die aufgrund interner Konkurrenzkämpfe um den Arbeitsplatz nicht kollektiv gegen ihre Situation handeln werden.

Schließlich bleibt noch die Gruppe der Arbeitslosen, die immer weniger eine Chance hat, noch in den Produktionssektor hineinzukommen. Es ist unbestimmt, ob Aggression oder Apathie das Verhalten dieser Gruppe kennzeichnen werden.

Diese Ergebnisse sind allerdings mit einer gewissen Zurückhaltung zu betrachten - im Hinblick auf die seit Jahrzehnten eingefahrenen betrieblichen Strukturen.

Es wird sehr schwierig sein, aus der vorhandenen Belegschaftsstruktur den neuen Typus von Arbeitnehmer zu rekrutieren. Falls dies gelingt - und es muß ja recht schnell gelingen - Wer tragt die soziale Last für das ständig wachsende Heer von Arbeitslosen? Die Erfahrung zeigt, daß es sicherlich nicht jene "industriellen Kernsektoren" sein werden. Um eine gesamtgesellschaftliche Katastrophe zu verhindern, müssen alle Seiten einen enormen Beitrag leisten.

Es ist in diesem Aufsatz deutlich geworden, daß die meisten Unternehmen in ihrer traditionellen fertigungstechnischen, organisatorischen und personellen Struktur den neuen Marktanforderungen schwerlich folgen können. Weiterer Taylorismus und Zentralismus werden in einer Sackgasse enden.

In Anlehnung an Hilbig (1984) kann zwischen technikherstellenden und technikanwendenden Betrieben unterschieden werden. Die bereits zitierte IG-Metall-Studie fordert an EDV-Arbeitsplätzen eine benutzerfreundlichere Software. Es darf nicht so sein, daß nur ein besonders qualifizierter Programmierer mit den Anlagen umgehen kann, sondern auch der. durchschnittliche Arbeitnehmer nach kurzer Anlernzeit. Sich mit etwas Neuem vertraut zu machen, bedeutet für die meisten von uns zuerst die Einnahme einer abwehrenden Haltung. Die Herstellerfirmen und aufgerufen, der komfortablen Bedienung (noch) mehr Aufmerksamkeit zu widmen und das Augenmerk nicht mehr primär auf die Entwicklung immer schneller und exakterer Anlagen zu konzentrieren.

Die IG-Metall-Studie zeigt unter anderem, daß in rund 80 Prozent der Betriebe zwar Qualifizierungsmaßnahmen beim Einsatz von EDV-Systemen stattfanden, sie aber in aller Regel unzureichend, da zu kurzfristig (meist auf weniger als eine Woche) angelegt waren. Bullinger (1984) schätzt, daß manche Mitarbeiter dann nur auf 50 Prozent des Anwendungspotentials des an ihrem Arbeitsplatz installierten Gerätes zurückgreifen können. Gründe sieht er darin, daß ihnen niemand die brachliegenden 50 Prozent erklärt hat beziehungsweise das Tagesgeschäft keine Zeit laßt, zusätzliche Funktionen zu erlernen.

Weitere Taylorisierung soll vermieden werden

Also ist es auch Aufgabe der Hersteller, für entsprechende Ausbildungsmaßnahmen zu sorgen. Nur wenn alle Möglichkeiten einer Anlage einem Arbeitnehmer bekannt. sind, kann er Ängste abbauen und das System voll nutzen. Statt einer. "Anpaßqualifikation" müssen Grundlagenkenntnisse vermittelt werden, die auch längerfristig stabil bleiben. Nur wenn die Betriebe für eine solide Aus- und eine permanente Weiterbildung der Arbeitnehmer sorgen, um diese in die Lage zu versetzen, technische Veränderungen und Produktionsmethoden ohne beruflichen und sozialen Abstieg zu bewältigen, werden die Unternehmen so flexibel sein können, den steigenden Problemdruck abzufangen.

Eine weitere Taylorisierung und Zentralisierung betrieblicher Strukturen wird das Innovationsreservoir der Arbeitnehmer nicht fördern, sondern es immer weiter "versickern" lassen. So kritisiert etwa Gruppe (Vorstandsmitglied der SEL), daß in der betrieblichen Realität die Arbeit durch Überspezialisierung auf vier isolierte Schultern gelegt Er fordert als Gegenstrategie den Abbau hierarchischer Strukturen und die Duldung der Förderung der positiven Wirkungen informeller Gruppen und Strukturen. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die positiven Erfahrungen vieler Unternehmen mit hierarchielosen Task Force Gruppen. Dieses sind Gruppen, "... in denen Teilnehmer aus verschiedenen Funktionsbereichen und Hierarchieebenen aufgabenbezogen für eine bestimmte Zeit zusammenarbeiten". Zusätzlich sollte Mitentscheidung an der Festlegung des Produktionsprogrammes sowie an den Produktionsverfahren ermöglicht werden.

Über die betrieblichen Lösungswege hinaus messen wir der Schule eine ganz zentrale Bedeutung bei der Lösung des Akzeptanzproblems bei.

Die Schule als eine zentrale gesellschaftliche Sozialisationsinstanz bietet eine geeignete Plattform, des Problem der Akzeptanz anzugeben.

Schule leistet einen ganz zentralen Beitrag sowohl für die allgemeine Sozialisation des Schülers als auch für dessen Einstellung zur Arbeitswelt zu gewerkschaftlichen Problemen zu Fragen der Einführung neuer Techniken etc. Dabei ist der Bildungsauftrag der Schule dahingehend gesetzlich festgeschrieben, daß die Schüler fähig werden sollen, sich im Berufsleben zu behaupten.

Die Notwendigkeit neuer Technik mit ihren Schwierigkeiten stellt sich für die Schule als eine Aufgabe, den Schüler mit den Chancen und Möglichkeiten, aber auch mit den Risiken der neuen Technik zu konfrontieren und ihn zum Umgang damit in einer fundierten Weise zu qualifizieren. Dieses Ziel kann jedoch nicht durch eine bloße quantitative Ausweitung des Informatikunterrichtes erreicht werden, wie sie letztlich etwa vom niedersächsischen Kultusminister Oschatz gefordert wird und wie sie - kurzfristig - auch scheinbar im Interesse der deutschen Industrie liegen mag. Eine Verbesserung der Akzeptanz und ein fundierter, rationaler Umgang des Schülers damit kann wohl nur dann erreicht werden wenn in einem interdisziplinären Ansatz gleichrangig technische wirtschaftliche, soziale und arbeitswissenschaftliche Momente behandelt werden.

Lernziele müssen Orientierungspunkte sein

Es kann zweierlei erreicht werden: Zum einen werden die Folgen der neuen Technik ganz bewußt zum Gegenstand des Unterrichts gemacht da nur dann, wenn die Schüler die verschiedenen Konsequenzen rational einzuschätzen wissen, überhaupt die Chance besteht, die Akzeptanz Dieser Technik bei ihnen zu verbessern. Andererseits soll durch einen solchen integrativen Ansatz vermieden werden, daß eine Diskussion über neue Technik stattfindet, ohne daß sich die Schüler vorher Kenntnisse hinsichtlich der Grundlagen und konkreter Anwendungsmöglichkeiten angeeignet haben. Dazu ist es notwendig, Lernziele auszuweisen, die neben der allgemeinen Forderung nach Kollegialität, Flexibilität, Verantwortungsbewußtsein etc. Orientierungspunkte eines berufsbezogenen Unterrichts sein müßten. Dazu zählen Kenntnisse der Entwicklung der Arbeit (Arbeitsorganisation, Technik, Rationalisierung, Humanisieren), Einsicht in die betriebs- und volkswirtschaftlichen Zusammenhänge sowie Kenntnisse der Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technologien.

Weiterhin stehen Kenntnisse in der Informatik und der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Konsequenzen der neuen Technik sowie Kenntnisse der im vorgegebenen Kontext vorhandenen Gesetze und sonstigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen innerhalb von diesem Rahmen.

Die Entwicklung der Fähigkeit, die so gewonnenen Kenntnisse und Erkenntnisse in einen sachlicheren Umgang mit diesen Technologien umzusetzen gleichzeitig handlungsorientiert umzusetzen und innovativ tätig zu sein, ergänzen diesen Katalog.

Er wird damit sowohl den oben erwähnten Anforderungen an den Arbeitnehmer von morgen als auch den gegenwärtig vorhandenen Möglichkeiten des Bildungssystems gerecht. Er ist als ein großes Raster zu verstehen und bedarf der weiteren Differenzierung. Nimmt man ihn als Maßstab, an dem gemessen werden kann inwieweit die Schule ihre gesetzlich festgeschriebene Aufgabe erfüllt dem Schüler bei seiner beruflichen Orientierung Hilfestellung zu leisten, so wird allerdings ein großes Defizit sichtbar. Selbst wenn man der Schule zugutehält, daß es einige Zeit dauert, ehe neue Erkenntnisse Eingang in den Unterricht gefunden haben, bleibt es bei der Feststellung daß der schulische Anspruch auf berufliche Orientierung gegenwärtig kaum eingelöst wird; er bleibt Theorie, eine entsprechende Unterrichtspraxis fehlt. Dieses wird besonders am Beispiel des Betriebspraktikums deutlich, das zwar schon lange zum pädagogischen Alltag gehört, trotz dem aber von den anderen Unterrichtsinhalten und -methoden weitgehend isoliert ist. Dieses Defizit ist um so bedauerlicher, als eine Untersuchung eines Betriebspraktikums an einem hannoverschen Gymnasium exemplarisch den Nachweis erbracht hat, daß ein erheblicher Anteil der Schüler für die Einführung eines Faches Arbeitslehre plädiert, das über einen längeren Zeitraum kontinuierlich unterrichtet wird.

Ein Konzept, das Grundlage entsprechender schulischer Curricula sein könnte, sollte die notwendige Berufsorientierung des Schülers, besonders im Hinblick auf die Technologien obenanstellen.

Gesellschaftliche und technische Aspekte der neuen Techniken kann besonders ein interdisziplinäres Konzept für die Entwicklung von Curricula für allgemein- und berufsbildende Schulen und für die Erwachsenenbildung berücksichtigen.

Nach einer Einführung in die allgemeine Problematik wird in den ersten beiden Teilen ein Abriß der Geschichte der Arbeit unter den Aspekten der Arbeitsorganisation/Arbeitsteilung und der Technikentwicklung gegeben. Es soll deutlich werden, daß mit diesen gesellschaftlichen Voraussetzungen die Einführung und die enorme Verbreitung der neuen Technologien in der Arbeitswelt erst möglich wurde.

Aus der "gesellschaftlichen Arbeitsteilung" entwickelt sich über das Handwerk und die Manufakturen eine "neue Form betrieblicher Arbeitsteilung" (Babbage-Prinzip) zur organisatorischen Rationalisierung Taylor trennt in seiner "wissenschaftlichen Betriebsführung" die planende von der ausführenden Arbeit und ermöglicht damit eine weitgehende Kontrolle der Arbeitnehmer.

Ford reduziert mit der Einführung des Fließbandes die unnötigen (unproduktiven) Bewegungen der Arbeitstakt wird von der Maschine vorgegeben.

Die genannten Entwicklungen haben die REFA-Methodenlehre in Deutschland unter anderem initiiert und geprägt. Mit ihr steht den Betrieben, ein sehr differenziertes System zur rationellen Gestaltung von Arbeitsabläufen und Erhöhung der Leistungsabgabe von Arbeitnehmern zur Verfügung.

Anhand von Mechanisierungsebenen - Handarbeit Mechanisierung Automation - soll gezeigt werden wie über die erste bis dritte industrielle Revolution (Dampfkraft, Elektrizität, Mikroelektronik) anfangs hauptsächlich menschliche Muskelkraft, später auch Steuertätigkeiten ersetzt wurden.

Arbeitsorganisation und Technikentwicklung führten zu einer weitgehenden Zerlegung und Mechanisierung des Arbeitsprozesses. In diesem Stadium wurde die Entwicklung und Einführung der Mikroelektronik zunächst technisch möglich und später aufgrund ihres Rationalisierungseffektes wirtschaftlich notwendig.

Durch die Mikroelektronik wurden anfangs einfache, im Laufe der Zeit aber immer komplexere Entscheidungs-, Steuerungs- und Regelungsvorgänge ausgeführt. Der Unterschied der dritten industriellen Revolution zu den beiden früheren liegt darin, daß in wesentlich kürzerer zeit sowohl Produktion als auch Verwaltung gleichzeitig betroffen sind.

Arbeitsorganisation und Technikentwicklung bedingten Veränderungen der Arbeit und des Arbeitsumfeldes, zum Beispiel in der Form großer Transmissionsriemen, die weitgehend erfahrbar und verständlich waren. Bei der Einführung etwa von elektronischen Steuerungen ist dies kaum noch der Fall. Für solche mikroelektronischen Steuerungen und Datenverarbeitungssysteme ist zunächst die Kenntnis von den Grundbegriffen dieser Technik notwendig.

Das Verständnis dieser Grundzusammenhänge ist deshalb für jeden wichtig, weil alle davon betroffen sind oder davon betroffen sein werden. Nach der Erläuterung technischer Zusammenhänge sollen die Funktion einer EDV-Anlage dargelegt und die Grundzüge einer einfachen höheren Programmiersprache erlernt werden.

Nachdem im dritten Teil Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung erarbeitet wurden, werden im vierten Teil Anwendungsmöglichkeiten dieser neuen Technik konkret an zwei Fallbeispielen untersucht. Beispiele sollen dabei eine plastische Vorstellung der Einsatzmöglichkeiten dieser Technik zu vermitteln. Aus der Fülle der Anwendungsbereiche sollen exemplarisch zwei typische Fälle untersucht werden. Dabei bietet es sich an, auf der Basis der inzwischen bekannten Programmiersprachen die Anwendungsmöglichkeiten der Mikroelektronik in Verwaltung/Dienstleistung einerseits und in der Produktion andererseits zu verdeutlichen.

Wandlung von Berufsfeldern untersuchen

Anknüpfend an die Fallbeispiele werden in diesem fünften Teil allgemeine Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen der Mikroelektronik sowie Perspektiven der betroffenen untersucht und diskutiert. Dabei wird es darum gehen, die Überlegungen, die die Einführung der neuen Techniken bedingen, aufzuzeigen und - betriebswirtschaftliche Effizienz im Blickfeld - volkswirtschaftliche Konsequenzen zu erörtern.

Die Debatte um 'Humanisierung des Arbeitslebens' (HdA) setzte bereits Ende der 60er Jahre mit den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen ein (Energie-/ Rohstoffverknappung, Einführung neuer Technologien" . . ). Für viele Arbeitnehmer bedeutete dies: Verlust von Arbeitsplätzen und qualifizierten Tätigkeiten. Weiterhin Lohnabbau, Arbeitsintensivierung, außerdem Schichtarbeit, hohe Arbeitsbelastungen etc. Die Folgen waren weltweite Streiks und Sabotagen gegen Fließbandarbeit (USA, Italien, Schweden), hohe Fluktuation und Fehlzeiten sowie hohe Ausschußquoten.

Erste 'Meilensteine' zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen waren in der Bundesrepublik etwa das neue Betriebsverfassungsgesetz (1972) und der Lohnrahmentarif II in Nordwürttemberg/Baden (1973) .

1974 initiierte die Bundesregierung - des Aktionsprogramms 'HdA'. Dazu läßt sich derzeit feststellen, daß in der Forschungsförderung der sozialpolitische zugunsten des wirtschaftlichen Aspektes immer mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Die neuesten Vorgaben zum HdA-Forschungsprogramm verstärken diesen Eindruck: der Schwerpunkt 'Arbeitsorganisation' ist zugunsten der 'Entwicklung und Einführung neuer Technologien' gänzlich verschwunden.

Abschließend sollen die im Verlauf des Curriculums erworbenen Kenntnisse und Erkenntnisse berufs- und handlungsorientiert umgesetzt werden. Hierzu ist es einerseits notwendig, die Wandlung von Berufsfeldern zu untersuchen, um den Schüler Hilfen bei der beruflichen Erst- oder Weiterorientierung zu geben. Andererseits sollen schwerpunktmäßig die bereits vorhandenen Mitwirkungs- und -bestimmungsmöglichkeiten untersucht und weitere erschlossen werden.

Dieses Konzept soll als allgemeine Grundlage für ein Curriculum gelten, dessen Anwendung keineswegs auf den Bereich der allgemeinbildenden Schulen beschränkt ist. Da mittlerweile nahezu jeder in irgendeiner Form mit dem Komplex neue Technik in Berührung gekommen ist und diese von dem Arbeitnehmer ein erhöhtes Maß an Mobilität und Flexibilität verlangt, stellen sich auch für den Bereich der betrieblichen Aus- und Weiterbildung sowie der Erwachsenenbildung erhebliche Aufgaben.

Aufgabe der nächsten Zeit müßte es sein, die anwendungsorientierte Umsetzung dieses oder eines ähnlichen Konzeptes unterrichtspraktisch voranzutreiben. In diesem Umsetzungsprozeß sind besonders Fragen nach Adressatenkreis, Schulform, dem zeitlichen Rahmen sowie der Didaktik zu beantworten. Methodische Umsetzung (Texte, Medien Betriebserkundung, -praktikum) und technische Voraussetzungen gehören ebenfalls dazu.

Über die Umsetzung für unterschiedliche Gruppen von Lernenden hinaus erfordert ein solches Konzept weiterhin Konsequenzen für die Ausbildung der Ausbilder. An den Universitäten müssen entsprechende Studienmöglichkeiten geschaffen werden (etwa im Rahmen des Faches Arbeitswissenschaft), im Bereich der Lehrerfortbildung muß den veränderten Inhalten Rechnung getragen werden. Gleiches gilt auch für die Meister in den Betrieben und die Dozenten an den Volkshochschulen.

*Wilfried Jungkind ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an einem arbeitswissenschaftlichen Forschungsprojekt, Hannover

*Wolfgang Reich ist als Dozent in der Erwachsenenbildung tätig, Hannover

*Roland Schalles ist selbständiger EDV- und Organistionsberater, Hannover

Literatur

- Behrens, G. u.a.: Betriebspraktikum, Hannover 1980 (Berufsorientierung. Unterrichtsmaterialien zur Arbeits-, Wirtschafts- und Gesellschaftslehre 6)

- Bullinger, H.J.: An der Schwelle zur Büroautomation - vom Mythos zur Realität, in: ZFO, Heft 5-6/1984, Bundesministerium für Forschung und Technologie - Projektträger HdA (BMFT/PT - HdA): Kurzpapier zur IG-Metall Studie "Maschinen wollen sie - uns Menschen nicht", Bonn o.J.

- Gaugler, E.: Besitzstand oder Leistung in der Personalpolitik - wie können Unternehmen diesen Konflikt lösen?, in: REFA-Nachrichten 3/1984, S. 10 - 15

- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg).: Erziehung und Wissenschaft, Heft 9/1984

- Gruppe. G.: Personalpolitische Zielsetzungen und Handlungsstrategien zur Steuerung des technischen Wandels, in: ZFO, Heft 5 - 6/1984, S. 335 - 338

- Hinz, H.: Kreativität darf nicht brachliegen, in: DUZ 40(1984),Nr. 4,S. 125 - 127

- Industriegewerkschaft Metall (Hg.): "Maschinen wollen sie - uns Menschen nicht Rationalisierung in der Metallwirtschaft (Kurzfassung), Frankfurt/M. 1983

- Kern. H./Schumann. M.: Neue Produktionskonzepte haben Chancen, in SOFI-Mitteilungen Nr. 9, Göttingen 1984

- Lutz. 8./Schultz-Wild. R.: Tendenzen und Faktoren des Wandels der Arbeitswelt in fortschreitender Automatisierung in: Sonderdruck der Zeitschrift "ZWF", 78 Jg 1983, S. 150 - 154

- Probs. A.: Neue Techniken... , Hrsg: Bundesministerium für Forschung und Technologie, Bonn 1984

- Reich, W.: Möglichkeiten und Grenzen des Betriebspraktikums als Einführung in Probleme der Arbeitswelt, 2 Bde., unveröffentlichtes Manuskript, Hannover 1983

Die sieben Stufen des Ausbildungskonzepts

1 Arbeitsorganisation und organisatorische Rationalisierung

2 Technikentwicklung und technische Rationalisierung

3 Grundbegriffe der elektronischen Datenverarbeitung

4 Anwendungsmöglichkeiten in Verwaltung und Produktion

5 Auswirkungen, Perspektiven und Konsequenzen der neuen Technologien

6 Humanisierung des Arbeitslebens und Ausblick

7 Berufs- und handlungsorientierte Umsetzung