IT im Handel/Austausch der Kassensysteme vorrangig

Handel investiert trotz Krise in IT

08.08.2003
2002 war ein schlechtes Jahr für den Einzelhandel, und auch die Prognosen für das laufende Jahr weisen nicht auf eine Verbesserung hin. Dennoch wird der Einzelhandel in strategisch wichtige Technologien investieren, um Wettbewerbsvorteile zu gewinnen.Von Wolfgang Keller*

Nach Jahren anhaltenden Wachstums war 2002 das Jahr mit dem größten Umsatzrückgang im deutschen Einzelhandel. Die Umsätze sanken im Vergleich zum Jahr 2001 um zwei Prozent auf 371 Milliarden Euro. Auch für dieses Jahr erwartet der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels einen weiteren Rückgang um ein Prozent. Damit fällt der Einzelhandel wieder auf den Mittelwert der Jahre von 1993 bis 1999 zurück, nachdem ihm die euphorische Konsumstimmung während des New-Economy-Hypes erhebliche Zuwächse beschert hatte. Hinter den absoluten Zahlen verstecken sich jedoch auch Zuwächse in einzelnen Segmenten, wie der anhaltende Siegeszug der Discounter zeigt.

Die eher schwache Bereitschaft des Einzelhandels, in IT-Systeme zu investieren, ist schon seit ein paar Jahren zu spüren. Nach der Jahr-2000-Umstellung stand die Einführung des Euro an erster Stelle der IT-Budgets. Investitionen in die Kassen- und Hintergrundsysteme, die oftmals länger als acht Jahre im Einsatz sind, wurden daher oft verschoben. Die Umsatzeinbrüche des letzten Jahres verhinderten dann außerdem den Start neuer IT-Projekte.

Eine aktuelle Studie des Eurohandelsinstitutes (EHI) zeigt jedoch, dass die IT-Budgets der Einzelhändler im Durchschnitt immer noch rund ein Prozent des Bruttoumsatzes ausmachen. In diesem Jahr werden abzüglich der Personalkosten rund eine Milliarde Euro für IT im Einzelhandel investiert.

Auf Rationalisierungseffekte konzentriert

Im Zentrum neuer Investitionen stehen gegenwärtig vor allem solche Projekte, denen eine besondere strategische Bedeutung beigemessen wird oder die schnelle Rationalisierungseffekte versprechen. Strategisch rangiert für den Handel die vertikale Integration der Geschäftsprozesse, also von der Filiale bis zum Lieferanten, an erster Stelle. Kurzfristig sollen vor allem die interne Warenwirtschaft und die Prozesse in der Supply Chain optimiert werden. Für die SMCG-Anbieter (Slow Moving Consumer Goods) wie Textil- oder Facheinzelhändler bleibt darüber hinaus das Thema CRM (Customer-Relationship-Management) im strategischen Fokus. Für die Anbieter dieser "langsam drehenden" Konsumgüter sind Kundenbindungsprogramme wie Coupon-Aktionen, Rabattangebote oder Kundenkarten mehr denn je der Schlüssel zum Erfolg.

Da die Funktionen von älteren Kassensystemen mit diesen neuen Anforderungen des Einzelhandels oft nicht mehr Schritt halten können und der Wartungsaufwand stetig steigt, wird es hier in den nächsten drei Jahren zu Neuinvestitionen kommen. So plant jeder dritte vom EHI befragte Einzelhändler bis zum nächsten Jahr den Austausch der Kassensysteme. International operierende Unternehmen zielen dabei vorwiegend auf eine Vereinheitlichung der Systeme über die Ländergrenzen hinweg.

Ebenso groß wie bei den Kassensystemen ist der Druck im Bereich der Warenwirtschaftssysteme. Hier scheiden sich die Geister zwischen Eigenentwicklungen und Standardprogrammen. Vor allem spezialisierte Facheinzelhändler beispielsweise für Textilien sehen ihre Anforderungen auch von den großen Standardlösungen nicht genügend abgebildet und setzen daher weiterhin auf Eigenentwicklungen, von denen sie sich Wettbewerbsvorteile versprechen.

Schnellere Informationen

Ein wichtiges strategisches Ziel des Einzelhandels ist laut EHI die Beschleunigung des Datenflusses durch die dauerhafte Anbindung der Filialen an die Zentralen. Mit dem Einsatz von Online-fähigen Systemen lassen sich Prozesse automatisieren und Fehlerquellen beheben. Während die Daten gegenwärtig meist in Batch-Prozessen einmal täglich zwischen den Filialen und der Zentrale abgeglichen werden, gestatten es dauerhaft verfügbare und kostengünstige virtuelle private Netze (VPN), Informationen sofort im gesamten Unternehmen zu verteilen. Das Management hat den Vorteil, alle Business-relevanten Informationen über Umsatz, Kundenfrequenz, die Ergebnisse spezieller Aktionen etc. zeitnah auf dem Bildschirm zu haben.

Eine wichtige Voraussetzung für die Arbeit mit Online-Systemen sind Kassensysteme, die transaktionssichere und Multiuser-fähige Datenbanken verwenden. Auf der Basis des Standards SQL können auch heterogene Systemlandschaften an den Kassen verwendet werden, ohne dass es zu Kollisionen kommt. Für das nahtlose Ineinandergreifen verschiedener Applikationen ist es vorteilhaft, wenn die Daten standardisiert - zum Beispiel nach dem international gültigen ARTS-Datenmodell (Association for Retail Technology Standards) - vorliegen. Durch Betriebssystem-unabhängige und standardisierte Lösungen lassen sich Kosteneinsparungen im Bereich der Lizenzen erzielen, die gerade bei Einzelhändlern mit sehr vielen Kassen von Bedeutung sind. Immerhin 80 Prozent der FMCG-Anbieter (Fast Moving Consumer Goods), die "schnell drehende" Konsumgüter (beispielsweise Lebensmittel) anbieten, erwägen laut EHI mittlerweile einen Einsatz von Linux als Kassen-Betriebssystem.

Drahtlose Vernetzung im Fokus

Im Fokus steht außerdem die drahtlose Vernetzung der Filialen. Wireless LAN (WLAN) ist als Technologie bereits so weit ausgereift, dass es die traditionellen Kabelnetze in den Filialen in Zukunft ablösen wird. Die gegenwärtigen Hauptprobleme, Ausleuchtung und Geschwindigkeit, werden von neuen Technikgenerationen immer besser gelöst. Im Einzelhandel ist die Geschwindigkeit für handelstypische Transaktionen bereits heute ausreichend, da die zu übermittelnde Datenmenge in der Regel relativ klein ist.

Vor allem im Bereich der Warenannahme, Disposition, Preiskontrolle oder Inventur werden mobile Geräte eingesetzt. Häufig handelt es sich um proprietäre Batch-Geräte, die zur Datenverarbeitung Dockingstations benötigen und deren Speicherkapazitäten begrenzt sind. Durch den Einsatz von WLAN-tauglichen Geräten ist es möglich, durchgängige Echtzeitlösungen zu schaffen, die ohne Middleware oder Konverter direkt in die Hintergrundsysteme integriert werden. Voraussetzung dafür sind mobile Clients mit Standard-Betriebssystemen, auf denen Web-Applikationen oder je nach Prozessor- und Speicherkapazität in naher Zukunft auch vollständige Applikationen eingesetzt werden können.

Langfristig wird vor allem RFID (Radio Frequency Identification) von den befragten Unternehmen als wichtiger Investitionssektor angesehen. Noch sind die technische und betriebswirtschaftliche Realisierbarkeit zu überprüfen. Der Einzelhandel setzt jedoch schon jetzt große Hoffnungen auf die Funkidentifikation von Artikeln entlang der Supply Chain (siehe Seite 34). (bi)

*Wolfgang Keller ist Technical Consultant bei der Logware Informationssysteme GmbH in Berlin.

Angeklickt

Im Zentrum neuer Investitionen im Handel stehen IT-Projekte von strategischer Bedeutung, das sind

- die Verbesserung der internen Warenwirtschaft und der Supply Chain,

- die Einführung von Customer-Relationship-Management,

- der Austausch und die Vereinheitlichung der Kassensysteme,

- Anbindung der Filialen durch Online-fähige Systeme,

- Multiuser-fähige Datenbanken,

- drahtlose Vernetzung der Filialen (WLAN),

- mobile Geräte für Warenannahme, Disposition, Preiskontrolle und Inventur sowie

- RFID (Radio Frequency Identification).

EHI-Studie: IT-Investitionen

Das Eurohandelsinstitut (EHI) ist ein Forschungsinstitut für den Handel und seine Partner. Es wird getragen durch Handelsunternehmen sowie die Verbände des Handels und gefördert durch die Hersteller von Konsum- und Investitionsgütern. Das EHI-Netz umfasst europaweit rund 500 Mitglieder.

Das Institut veröffentlichte im Mai 2003 die Studie "IT-Investitionen im Handel". Sie basiert auf Interviews mit 120 IT-Verantwortlichen in 60 deutschsprachigen Handelsunternehmen und gibt einen umfassenden Überblick über Investitionsprioritäten, Entscheidungsstrukturen, eingesetzte Technologien und Budgets in der IT (www.ehi.org).