Bei Softwarelieferungen sind Gerichte jetzt auf die Anwenderseite eingeschwenkt:

Handbücher sind Hauptpflicht des Vertrags

14.03.1986

MÜNCHEN (CW) - Wer kennt nicht das leidige Problem mit den Bedienungsanleitungen! Werden sie mitgeliefert, sind sie zumeist in englischer Sprache geschrieben. Hiermit muten die überwiegend amerikanischen Hersteller deutschen Anwendern zu, was sie oftmals selbst nicht beherrschen: das Sprechen einer Fremdsprache. Jetzt aber haben die Gerichte eine deutliche Sprache gesprochen, wie Rechtsanwalt Ekkehard zur Megede darstellt. Fehlende Handbücher sind als Mängel zu rügen.

Die Hinzufügung einer Bedienungsanleitung wird bei Lieferung von Standard- oder auch Erstellung von Individualsoftware gern als unwichtiges Nebenprodukt angesehen. Der Anwender wird auf eine Einweisung verwiesen oder gebeten, sie sich selbst bei einem Lizenzgeber zu besorgen. Klare Worte zu dieser Praxis finden sich in einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. 1. 1985 - Az.: 5 U 86/ 84. Dort wird gesagt, die Verpflichtung zur Lieferung einer Bedienungsanleitung sei eine Hauptpflicht des Softwarelieferungsvertrages und der Erwerber könne deren Fehlen als Mangel rügen.

Die Beklagte in diesem Verfahren hatte bei einer Lieferantin Hardware ausgewählt und Anwendungssoftware bestellt, ein Handbuch (Bedienungsanleitung) jedoch nicht, sondern nur eine Einweisung zur Bedienung der Anlage erhalten. Die Finanzierung erfolgte über Leasing. Klägerin des Prozesses war die Leasinggeberin, der gegenüber die Beklagte schriftlich bestätigt hatte, daß bei der Übergabe das Gerät "fabrikneu, ordnungsgemäß, funktionstüchtig und den Absprachen mit der Lieferantin entsprechend" gewesen sei. Mehrere Monate später stoppte sie die zu zahlenden Mietraten für das System und teilte mit, sie werde eine weitere Erfüllung ablehnen, wenn nicht bis zum 10. 1. 1981 die Anlage in einen "ordnungsgemäßen Zustand versetzt und eine Bedienungsanleitung für die Hard- und Software mitgeliefert werde".

Sie führte dazu aus, "daß beim Betrieb der Anlage Mängel aufgetreten seien, um deren Beseitigung sich die Lieferantin mehrfach vergeblich bemüht habe. Ohne Bedienungsanleitung sei es ihr nicht möglich, die Anlage effektiv zu nutzen, was ihr auch durch die Auskunft eines Sachverständigen vom 10. 11. 1980 schriftlich bestätigt worden sei. Die Bitte um Stellung eines Ersatzgerätes lehnte die Klägerin ab. Am 2.2 1981 kündigte die Beklagte dann den Vertrag fristlos aus wichtigem Grund".

Verantwortung dem Lieferanten zugeschoben

Die Klägerin widersprach, kündigte schließlich selbst und forderte Schadensersatz, den sie dann einklagte. Das Landgericht holte daraufhin ein Gutachten ein, aus dem sich ergibt, "daß die EDV-Anlage ohne schriftliche Bedienungsanleitung trotz Einweisung des Personals wertlos sei". Die Klage wurde abgewiesen.

In der Berufung trug die Klägerin dann zusätzlich vor, "es sei nicht ihre Pflicht gewesen, der Beklagten die Bedienungsanleitung, die sie selbst nicht besessen habe, zu verschaffen. Vielmehr hätte die Beklagte diese von der Lieferantin verlangen müssen. Außerdem: Wenn die Bedienungsanleitung eine so wesentliche Funktion habe, hätte die Beklagte die Übernahmebestätigung nicht unterschreiben dürfen. Daneben bestritt die Klägerin, daß eine Gebrauchsanleitung die Beseitigung des "error 40 in jedem Fall durch die Mitarbeiter der Klägerin ermöglicht hätte". Die Berufung blieb erfolglos.

Die Beklagte hatte einen weiteren wesentlichen Mangel der Computeranlage bewiesen, der die vollständige Einbehaltung des Mietzinses ab November 1980 rechtfertigt. Dieser besteht darin, daß zu der Computeranlage unstreitig die schriftliche Bedienungsanleitung fehlte. Nachdem die Beklagte bei fortgesetzt auftretenden Störungen immer wieder die Lieferfirma herangezogen hatte, um eine einwandfreie Betriebsfertigkeit der Datenverarbeitungsanlage zu erreichen, hat sie schließlich vorprozessual den vereidigten Sachverständigen H. zu Rate gezogen. Bereits dieser hat in seiner privatgutachtlichen Stellungnahme vom 10. 11. 1980 die Beklagte darauf hingewiesen, daß für die ausgelieferte EDV-Anlage eine Bedienungsanleitung erforderlich sei und mit deren Fehlen die vertragliche Leistung in einem der wesentlichen Punkte nicht erbracht worden sei.

Nach seiner Einschätzung ist es schon allein aufgrund des Fehlens der Anleitung für einen Nichtfachmann der elektronischen Datenverarbeitung nicht möglich, ein solches System voll auszunutzen, effektiv zu betreiben und mit eventuell auftretenden Ausnahmesituationen fertig zu werden. Die Bewertung des Mangels ist durch das Gutachten des gerichtlich bestätigten Sachverständigen R. bestätigt worden. Denn auch er stellt fest, daß die Beklagte als Anwender über das Gerät soweit im unklaren gelassen wurde, daß sie sich bei den auftretenden Schwierigkeiten nicht helfen konnte.

Keine Mietzinszahlung ohne Handbuch

Insbesondere seien Datenverarbeitungsanlagen ohne schriftliche Dokumentation im allgemeinen wertlos für den Anwender. Beide Sachverständige geben dem Fehlen der Bedienungsanleitung jedenfalls bei auftretenden Schwierigkeiten das Gewicht eines zur Gebrauchsuntauglichkeit führenden Mangels. Aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen und der Aufstellung vom 2 10. 1980 steht weiter fest, daß die Beklagte das Fehlen der Bedienungsanleitung mehrfach gegenüber der Lieferantin gerügt und vergeblich um Nachlieferung gebeten hat.

Das Unterlassen der Lieferantin in der Klägerin auch zuzurechnen, w die Lieferantin in diesem Punkt nicht aus einer eigenen Verpflichtung gegenüber der Klägerin tätig wurde, sondern nur als Erfüllungsgehilfe der Klägerin handelte. Der Klägerin oblag als Leasinggeberin die Pflicht, die Anlage der Beklagten in einem den vertragsgemäßen Gebrauch ermöglichenden Zustand zur Verfügung zu stellen. Zur Erfüllung dieser Pflicht bediente sie sich der Lieferantin.

Die Verschaffungspflicht der Klägerin ist nicht dadurch entfallen, daß, die Mitarbeiter der Beklagten in d Funktion der Anlage eingewiesen worden sind. Eine mündliche Erklärung ist nicht ausreichend, weil die zur Handhabung einer Datenverarbeitungsanlage erforderlichen Kenntnisse erfahrungsgemäß zu umfangreich sind, als daß sie von einem Laien aufgrund einer mündlichen Darlegung dauerhaft erworben werden können.

Da die Klägerin ihrer Verpflichtung zur Überlassung des unbeeinträchtigten Gebrauchs nicht nachgekommen ist und die Lieferung eines Ersatzgeräts abgelehnt hat, war die Beklagte nach fruchtlosem Ablauf der von der Klägerin gesetzten Frist berechtigt, den Leasingvertrag im Februar 1981 gemäß ° 542 BGB zu kündigen. Die Beklagte war damit endgültig von der Verpflichtung zur Mietzinszahlung frei geworden. Die Darlegung der Klägerin, auch mit Betriebsanleitung wären die von der geklagten beanstandeten Störungen nicht vermieden oder behoben worden, ist unerheblich, weil ohne Aushändigung eines Handbuchs für die Beklagte das Gerät bereits allgemein gebrauchsuntauglich war.

DV-Unerfahrenheit nicht ausnützen

Des weiteren hat die Beklagte durch Unterzeichnung der Übernahmebestätigung nicht ihr Recht verloren, sich auf die Mieterrechte aus °° 537 und 542 BGB zu berufen. Der Übernahmeerklärung kann hinsichtlich der Bedienungsanleitung weder ein ausdrücklicher noch ein konkludenter Verzicht auf die Geltendmachung nicht ordnungsgemäßer Erfüllung entnommen werden. Wie sich aus dem Sinn und dem Wortlaut der Erklärung ablesen läßt, beseitigt diese jedenfalls keine Rechte aus solchen Umständen, die frühestens mit beziehungsweise nach der Inbetriebnahme des Computers für den Leasingnehmer erkennbar sind. Dazu gehört auch das Erfordernis einer Betriebsanleitung im vorliegenden Fall. Der Beklagten, die erstmals eine EDV-Anlage in ihrem Betrieb einsetzte, wurde erst nach Inbetriebnahme klar, daß sie eine schriftliche Dokumentation benötigte. Sichere Kenntnis erhielt sie erst durch die schriftliche Stellungnahme des Privatgutachters H.

Vertragsauflösung ist möglich

Die Rechte der Beklagten sind auch nicht dadurch untergegangen, daß sie zunächst elf Monate lang den vereinbarten Mietzins zahlte, obwohl sie bereits im Februar 1980 das Fehlen der Bedienungsanleitung beanstandet hatte. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, daß die Anlage erst Ende Januar 1980 nach Fertigstellung der Anwendungssoftware in Betrieb genommen wurde. Ende Februar hatte die Beklagte dann bereits die erste Mahnung gegenüber der Lieferantin hinsichtlich der Bedienungsanleitung ausgesprochen. Auch die anschließende Zahlung von März bis einschließlich Oktober 1980 ist nicht als vorbehaltslose Vertragserfüllung zu werten, weil die Beklagte nach der Rüge zunächst die volle Miete weiterzahlte, weil sie glaubte, daß die Lieferantin als Erfüllungsgehilfin der Klägerin eine Anleitung demnächst liefern werde. Mit der Zahlung hat die Beklagte allenfalls auf die Geltendmachung der Minderung für die Vergangenheit verzichtet.

Dies ergibt sich zum einen daraus, daß sie die Mahnung wiederholte Zum anderen darf nicht außer acht gelassen werden, daß häufig Störungen beim Betrieb des Computers auftraten, die die Beklagte zunächst immer wieder durch die Lieferantin zu beseitigen suchte. Nachdem die Beklagte dann aber von dem von ihr beauftragten sachverständigen Zeugen H. auf die Bedeutung der Bedienungsanleitung aufmerksam gemacht worden war, stellte sie ab November 1980 sofort die Zahlungen ein und setzte die Klägerin von ihren Gründen In Kenntnis. Nach allem ging die Kündigung der Klägerin ins Leere, weil bereits die Beklagte zu- vor das Vertragsverhältnis nach ° 542 BGB berechtigt gekündigt hatte."

Diese Rechtsprechung ist mehr als deutlich. Auch das Landgericht Mannheim (Urteil vom 8. 10. 1984 -Az.: 24062/83) hat die Verpflichtung zur Lieferung der Dokumentation als Haupflicht angesehen mit der Konsequenz, daß bei Fehlen ebenfalls der gesamte Vertrag rückgängig gemacht werden konnte. Aus beiden Entscheidungen sowie einem Nebensatz des Inkassoprogrammurteils des BGH vom 9.5 1985 läßt sich die Tendenz ablesen, den Begriff Software so zu definieren, daß er nicht nur Programme, sondern auch die Unterlagen zur Erstellung und die Dokumentation oder das Handbuch erfaßt. Ähnliche Ansätze finden sich auch im EDV-Bereich selbst.

Es gibt darüber hinaus keinen Grund, die in anderen Branchen längst übliche Praxis, eine Gebrauchsanweisung zu übergeben, nicht hierher zu übertragen. Insbesondere, da auf dem Bürosektor und durch die Ausweitung des Marktes bei Mikrocomputern auf der Anwenderseite keine eigene EDV-Kenntnis erwartet und nicht die Bereitschaft verlangt werden kann, englische Manuals, die sich nur auf Teilbereiche der Lieferung beziehen, selbst durchzuarbeiten oder sich mit handgeschriebenen Stichworten über den Arbeitslauf zufriedenzugeben.