Reality Check Karrierenetzwerke

Halten LinkedIn & Co. was Sie versprechen?

Kommentar  09.02.2022
Von 

Frank Schabel ist freiberuflicher Senior Advisor. Zuvor war er bei SAP, CSC Ploenzke sowie Hays in leitendender Funktion in den Bereichen Marketing und Kommunikation tätig.

Gut vernetzt zu sein, soll viele Vorteile im Berufsleben mit sich bringen. Fragt sich nur, ob LinkedIn, Xing & Co. auch halten können, was sie versprechen.
Im Networking gilt analog wie digital - weniger ist mehr! Wer mit zu vielen Personen vernetzt ist, verliert den Überblick. Erst recht in digitalen Netzwerken, die oft mehr Bühne für Selbstdarsteller als für seriöse Netzwerkpartner sind.
Im Networking gilt analog wie digital - weniger ist mehr! Wer mit zu vielen Personen vernetzt ist, verliert den Überblick. Erst recht in digitalen Netzwerken, die oft mehr Bühne für Selbstdarsteller als für seriöse Netzwerkpartner sind.
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Über ein gutes Netzwerk zu verfügen, gilt als Gütesiegel. Denn wer gut vernetzt ist, ist gefragt und dadurch beruflich erfolgreicher als schwach Verdrahtete. Nicht ohne Grund appellieren Karriereberater: innen an die Pflege und den Ausbau von Netzwerken. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob der Hype um Netzwerke berechtigt ist: Tragen sie uns in ungeahnte Höhen oder brechen sie bei Belastungen schnell ein?

Das hängt - wie vieles - von unseren eigenen Erwartungen ab. Vor allem früher, aber zum Teil auch noch heute, war und ist zum Beispiel die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft ein Karrieregarant. Ebenso in den Alumni-Kreisen der Managementberatungen. Die Kraft dieser teils ritualisierten (Männer-)Bünde zieht noch, wenngleich nicht mehr so stark wie früher. Im Gegensatz dazu sind unsere selbstgeknüpften Netzwerke in der individualisierten Gesellschaft von anderer Bauart. Sie entstehen nicht auf der Basis eines institutionalisierten und eingeführten Netzwerks, sondern entwickeln sich iterativ im Laufe unseres Berufslebens. Im Sinne unserer ständigen Optimierung sind wir für unser Netzwerk selbst verantwortlich.

Kunden und Ex-Kollegen sind meist gute Netzwerkpartner

Wie weit es uns trägt, erweist sich erst, wenn wir es benötigen. Dann zeigt sich ein interessantes und über empirische Daten bestätigtes Phänomen: Nicht die Netzwerkpartner aus dem direkten Umfeld, die uns eigentlich persönlich "verpflichtet" sind, sind behilflich, weil zu nah, zu bedrohlich, zu viel schlechtes Gewissen machend. Nein, es ist die zweite oder gar dritte Reihe, die sich einbringt. Menschen, zu denen es nur sporadisch Kontakte gab. Die jedoch ohne persönliche Verpflichtungen auf Kompetenzen schauen und sie ohne Brimborium dem eigenen Netzwerk vermitteln. Übrigens sind Kooperationspartner, die aus den alten Positionen finanziert wurden, ganz schlechte Netzwerkpartner. Für sie gilt: Aus dem Geldbeutel, aus dem Sinn. Wertvoll sind dagegen Netzwerke zu alten und bestehenden Kunden oder Ex-Kollegen, die sich als Basis für den Schritt in Richtung Selbständigkeit eignen.

Digitale Netwerke erweisen sich als flüchtig

Und was bringen die neuen digitalen Netzwerke? Weniger als erwartet, so der mehrheitliche Tenor aus meinem Netzwerk. Per Klick das eigene Netzwerk erweitern, bedeutet nicht, wirklich verbunden zu sein. Ganz zu schweigen davon, die Größe des eigenen Netzwerks mit Qualität und Relevanz gleichzusetzen. Wer mit einigen hundert Menschen vernetzt ist, verliert den Überblick, Wenigstens das gilt analog wie digital: Je größer das Netzwerk, umso weniger lässt es sich pflegen. Weniger ist mehr. Erst recht in digitalen Netzwerken, die flüchtig sind, fluide und wenig substanziell. Mehr Bühne für Selbstdarsteller als für seriöse Netzwerkpartner.

Daher sollten wir Netzwerke nicht überschätzen. Netzwerken Sie mit Menschen, nicht mit ihren funktionalen Rollen und Titeln, die bald Schall und Rauch sind. Menschen, mit denen es Spaß macht, sich auszutauschen, ohne opportunistisch auf deren möglichen Nutzen zu achten. Das trägt nicht in den perfekten Job, aber in lebendige zwischenmenschliche Beziehungen. (pg)