Motorola-Produktstrategie:

Halbleitergigant mit Rechnerambitionen

25.11.1983

Rund 500000 Computersysteme sind 1983 in der Bundesrepublik installiert. Davon werden 5000 üblicherweise als Mainframes klassifiziert 60 bis 80 Prozent der Mainframes stammen von IBM oder PCM-Anbietern (Plug Compatible Manufacturers). Der jährliche Auftragswert in der Informationstechnik insgesamt liegt bei 15 Milliarden Mark; für Datenkommunikationsprodukte und Front-end-Produkte (ohne Lieferungen an die Post) sowie für Computerterminals liegt er derzeit bei "nur" 450 Millionen Mark. Um das Systemgeschäft bemüht sich nun auch der Halbleitergigant Motorola. Was will Motorola in diesem Markt? Wer ist überhaupt Motorola?

Unter den größten Unternehmen in den USA steht Motorola auf Platz 98. Weltweit sind über 80000 Mitarbeiter mit der Entwicklung, der Produktion und dem Vertrieb von Motorola-Produkten beschäftigt; der Umsatz des Unternehmens betrug 1982 rund vier Milliarden Dollar. Unter den US-Computerfirmen stand Motorola 1982 mit einem Umsatz in DV-Produkten von etwa 485 Millionen Dollar an 22. Stelle. Neben der Informationsverarbeitung und der Datenkommunikation steht Motorolas Name für Produkte der Hochfrequenztechnik, der Telemetrie, der Industrie- und Fahrzeug-Elektronik, der Bauelemente und der Systeme der Mikroelektronik. Die 22. Stelle, die Motorola dort einnimmt, hat man gegen die 46. (!) im Jahre 1981 getauscht. Da wundert es nicht, daß ein Zuwachs von 169,4 Prozent das Unternehmen an die vierte Stelle nach Zuwachsraten katapultiert hat, auch wenn dieser Zuwachs vornehmlich durch Zukäufe realisert wurde.

Seit seiner Entstehung vor 55 Jahren war Motorola eines der führenden Unternehmen in der Konsumelektronik. Man begann zu einem frühen Zeitpunkt, Produktionskapazitäten auch in den Abnehmerländern zu installieren. Fertigungsstätten finden sich in der Bundesrepublik in München und in Taunusstein bei Wiesbaden. 440 Millionen Mark Umsatz stehen etwa 1000 Beschäftigte in der Bundesrepublik gegenüber. In den 70er Jahren lag Motorolas Schwerpunkt auf vier großen Teilbereichen: Halbleiter, Kommunikation, Staatsaufträge, Fahrzeugausrüstung und Display-Systeme.

Halbleiter spielten im folgenden eine entscheidende Rolle. Die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten umfaßten so ziemlich alle Bereiche der Mikroelektronik: diskrete Halbleiter-Bauelemente, bipolare Transistoren, integrierte MOS-Schaltkreise, Mikroprozessoren, Mikrocomputer und Speicherbausteine. In Genf entstand ein Entwicklungszentrum, das dafür sorgt, daß die entsprechenden Produkte den europäischen Anforderungen optimal angepaßt werden können.

Innerhalb weniger Jahre, vermerken die Motorola-Bosse stolz, habe sich der MC 68000 als Standard für 16/32-Bit-Prozessor durchgesetzt Allein 1983 hat Motorolas Produktionsbetrieb in Großbritannien rund drei Millionen Mikroelektronik-Bauelemente nach Westeuropa geliefert.

Im Zusammenhang mit der verstärkten Ausrichtung der Unternehmensziele auf die Industrie-Elektronik begann man in den 70er Jahren, nach verwandten Unternehmen mit hohem Wachstumspotential zu suchen. So wurden 1977 die Codex Corp. erworben, die im Bereich der Informationstechnologie tätig ist. Dies war Motorals Einstieg in die Datenkommunikation. Es folgten andere Neuerwerbungen wie UDS, ESE und verschiedene europäische Distributoren. Hieraus entstand der Geschäftsbereich Datenkommunikation. Er wuchs in den ersten fünf Jahren um 600 Prozent. Von ihm ging ein entscheidender Impuls aus: Hier wurden, laut Motorola, zum ersten Mal die Begriffe "dezentrale Datenverarbeitung", "Distributed Data Processing (DDP)" und "Büro der Zukunft" in direkte Beziehung zueinander gesetzt. Im Zusammenhang mit dem Erwerb der Four-Phase-Systems wurde im Januar 1982 der Geschäftszweig "Informationssysteme" formiert.

Dieser Bereich spielt nach eigenen Angaben eine zentrale Rolle in der Unternehmensstrategie von Motorola. Er soll 1983 mehr als eine halbe Milliarde Dollar umsetzen und steht im Gesamtkonzern an dritter Stelle.

Motorolas im Oktober angekündigter Generalangriff auf den deutschen und europäischen Markt hat nach Aussagen eines Firmensprechers folgenden Hintergrund: Deutschland habe bereits vor Jahren etwas hervorgebracht, nämlich die "Mittlere Datentechnik" (MDT), was heute in den USA und anderswo mit dem Begriff "Small Business Systems" zusammengefaßt werde. Dank seiner regionalen Struktur und den Datenübertragungsgegebenheiten sei Deutschland aus der Sicht Motorolas prädestiniert für DDP. Four-Phase-Systems nun, nach eigenen Angaben Pionier in Sachen DDP, biete im Rahmen der Büroautomation Systeme an, die Datenverarbeitung, Textverarbeitung, grafische Anwendungen, "Voice Mail" und Personal-Computer-Betrieb in einem System erlaubten und dabei üblicherweise mit einem "Host" oder Zentralrechner verkehrten, der (siehe oben) von IBM oder von einem IBM-kompatiblen Hersteller stammt.

Kurt Emonts ist freier DV-Fachjournalist.