Haendlernetze bald ein Anachronismus? Multimedia erfuellt seinen Zweck vor allem im Verkauf

22.12.1995

FRANKFURT/M. (qua) - Die Einsatzgebiete fuer Multimedia- Applikationen sind bislang scharf umrissen: Neben der Unterhaltungsbranche und dem Ausbildungssektor zaehlt dazu vor allem die Verkaufsunterstuetzung. Anwendungsbeispiele gab es auf den "Frankfurter Multimedia Tagen" zu bestaunen.

Die von der Management Circle GmbH, Frankfurt, organisierte Veranstaltung machte deutlich, dass der Begriff Multimedia immer staerker mit einem anderen Reizwort identifiziert wird: "Online" waere die passendere Ueberschrift fuer einige der Kongressbeitraege gewesen. Das gilt insbesondere fuer den Konferenzstrang "Multimedia Banking".

CD-ROM-gestuetzt ist hingegen die "virtuelle Beratung", die die Frankfurter Commerzbank AG ab kommendem Maerz ihren Kunden anbieten will. "Es ist nicht finanzierbar, noch im letzten Winkel qualifiziertes Know-how vorzuhalten", erlaeuterte Manfred Schuck, im Rang eines Direktors fuer die Multimedia-Koordination des Finanzdienstleisters verantwortlich. Deshalb habe die Commerzbank versucht, das Wissen der Fachleute fuer nicht alltaegliche Bankoperationen so aufzubereiten, dass es sich in Software fassen liess. Die Silberscheibe soll es kuenftig jedem Bankangestellten - oder auch dem Kunden selbst - ermoeglichen, eine fachgerechte Bestandsanalyse vorzunehmen. Die raren Experten muessten sich dann nur noch auf die Loesungsmoeglichkeiten konzentrieren.

Karten fuer Konzerte oder Theater ad hoc

Waehrend die Commerzbank bei der Beratung ansetzt, hat sich die Schweizerische Kreditanstalt (SKA), Zuerich, daran gemacht, in einem Joint-venture mit der IBM und einigen Partnern aus dem Medienumfeld die Moeglichkeiten des vollelektronischen Vertriebs auszuloten. An bislang 27 Kiosken - "Fastboxes" genannt - koennen die Einwohner von Zuerich und Umgebung Blumenstraeusse bestellen, Reisen buchen und Konzert- oder Theaterkarten kaufen. Die Tickets werden an Ort und Stelle ausgegeben und per Kreditkarte bezahlt. Laut Werner Stingelin, Produkt-Manager fuer die SKA-Bereiche Electronic Banking und Self-Service, ist geplant, rund 1000 solche Kioske in der gesamten Schweiz zu installieren.

Auf aehnliche Weise naehert sich die Karstadt AG, Essen, ihren Kunden. Mit seinem Informationskiosk "Music Master" bietet der Kaufhauskonzern in seinen Filialen Ad-hoc-Informationen zu rund 100 000 verfuegbaren Musiktiteln an. 1500 davon werden durch Videosequenzen oder Animationen repraesentiert. Via Online-Zugriff auf die Bestandsdatenbank kann der Kunde feststellen, ob der Titel vorraetig ist oder aus einer anderen Filiale geordert werden muss. Allerdings laesst sich der Bestellvorgang nicht ausloesen, ohne dass ein Karstadt-Mitarbeiter ihn vorher bestaetigt. Zwei aehnliche Projekte plant der Handelsgigant fuer das mit Neckermann uebernommene Reisegeschaeft.

Auf der Suche nach alternativen Vertriebsformen wurde auch die Quelle AG, Fuerth, fuendig. Der Versandriese ist im Online-Dienst der Deutschen Telekom AG vertreten, unterhaelt eine eigene Home- Page im Internet und hat mit dem Fernsehsender Pro 7 ein Gemeinschaftsunternehmen fuer Teleshopping gegruendet. Zudem bietet er eine fuer junge, einkommensstarke Zielgruppen massgeschneiderte Ausfuehrung seines traditionellen Katalogs auf CD-ROM an - mit der Moeglichkeit, ueber T-Online zu bestellen.

Angebote wie dieses lassen den Verdacht aufkommen, dass der Zwischenhandel in naher Zukunft zum Anachronismus wird. Wie formulierte es doch der per Videokonferenz zugeschaltete Online- Guru Nicholas Negroponte? "Die Haendler sollten verschwinden. Ein Haendlernetz ist pure Zeitverschwendung."