Hacker & Hofschranzen

30.11.1984

Die Bundespostler haben jetzt das Husten. Die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Telekommunikationsstrategen ist erschüttert. Wie sagten doch die Gelben im Zusammenhang mit dem Dienst Bildschirmtext immer wieder? Es wird alles paletti werden. Alles Keine Möglichkeit, um widerrechtlich einzusteigen. Mit Passwords und Zugriffsberechtigungen sei jeder Mißbrauch ausgeschlossen. Jeder.

Solch von keiner bösen Ahnung getrübte Aussage war freilich nicht geschäftsfördernd. An eine Geschäftsschädigung mögen Schwarz-Schillings Mannen wohl gedacht haben, als sie jetzt eine Krisensitzung anberaumen mußten. Erster Tagungspunkt: Die Hacker von Hamburg (CW Nr. 48 vom 23. November 1984, Seite 1).

Welch enorm zufriedenes Bildschirmtext-Musterland könnte die Bundesrepublik doch sein, wenn die am Btx-Projekt beteiligten Instanzen der Deutschen Bundespost und der Stuttgarter IBM-Zentrale den gleichen mißlaunigen Eifer, der sich jetzt gegen ein paar Chaoten der Hanseatischen Computerszene richtet, für sinnvolle Public-Relations-Arbeit verwenden könnten etwa gegen die böse DV-Fachpresse.

Aber nein. Hacker stören den Btx-Frieden. Mitglieder des Chaos- Computer-Club, Hamburg, haben vor aller Fernsehaugen demonstriert, daß die Software für den Millionendienst" der Deutschen Bundespost löchrig ist wie ein Schweizer Käse. Diese bequemte sich zwar zu dein Eingeständnis, daß doch noch nicht alles paletti sei - hatte aber die Lacher ausnahmsweise einmal auf ihrer Seite.

Keine Häme. Aber auch kein Grund, die Textlöcher mit Nächstenliebe zuzukleistern. Die cleveren Hacker haben doch nur etwas getan, was durch -Hartnäckigkeit, gepaart mit Computerkenntnissen, zum Erfolg führen mußte. Eine kriminelle Absicht lag im übrigen nicht vor. Der Coup wurde quasi fürs Fernsehen inszeniert. Gebrauchsanweisung: Man setze sich an das Bildschirmgerät und haue blindlings in die Tasten - irgend etwas wird sich schon tun. Über Fehlermeldungen gelangt man dann auf Umwegen ins System - für DV-Spezialisten jedenfalls kein unlösbares Problem. Das sind Dinge, die softwaretechnisch nie ganz ausgeschlossen werden können. Da brauchten die Hamburger keine phantastischen Geschichten zu erfinden.

Doch Häme: Die IBM Deutschland ist an Schwarz-Schillings Renommierprojekt bekanntlich nicht ganz unbeteiligt. Leicht hatten es die Stuttgarter bestimmt nicht, die Software für das Btx-System zu entwickeln. Es geht um Transaktionen und Datenbanken. Man bedenke, daß Erfahrungen aus Batch-Projekten nicht für Online-Realisierungen gelten. So neu ist die Erkenntnis nicht, daß Big Blue die transaktionsorientierte Datenverarbeitung nicht erfunden hat. So besteht bei dein Mainframe-Marktführer ein Nachholbedarf im Btx-Vorfeld. Kein Wunder: bei der Betriebssystemvergangenheit (CICS etc., etc.). Gleichsam als Illustration dazu, so das Fazit, erlebten wir das Hacker-Happening vor wenigen Tagen.

Ist Bildschirmtext nun tot? Bewahre. Btx war nie lebendig. Ein typisches Prognosekind. Beispiel Diebold: Die Frankfurter Meinungsmacher sehen einen Riesenmarkt für Bildschirmtext, rechnen bis 1990 mit 2,8 Millionen Anschlüssen. Uns fällt zu den Btx-Beratern nur der Begriff "Hofschranzen" ein.

Wie die zukünftigen privaten und kommerziellen Anschlußinhaber über Bildschirmtext denken, ist noch nicht zuverlässig erhoben worden. Bekannt ist nur, wie sich die Bonner Ministerialen und die IBM-Entwickler zu der Frage der Btx-Akzeptanz stellen: Es wird alles mit werden. Alles. Und die Hofschranzen nicken dazu.