#WirVsVirus

Hackathon gegen die Coronavirus-Krise

01.04.2020
Von 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.
Der Aufruf der Bundesregierung zur schnellen Entwicklung von Lösungen im Zuge der Coronavirus-Krise entwickelte sich zum weltweit bislang größten Hackathon. Jetzt wurden die 20 besten Projekte vorgestellt.
Fast 43.000 Teilnehmer beteiligten sich am Hackathon #WirvsVirus und entwickelten sagenhafte Lösungsansätze rund um die Coronavirus-Krise.
Fast 43.000 Teilnehmer beteiligten sich am Hackathon #WirvsVirus und entwickelten sagenhafte Lösungsansätze rund um die Coronavirus-Krise.
Foto: Gorodenkoff - shutterstock.com

Unterstützung von Risikogruppen, Betreuung von Schülern und Kleinkindern zuhause, Zukunftsängste von Händlern und Kleinbetrieben, Diagnose und Behandlung von Erkrankten - mit der COVID-19-Pandemie kommt schlagartig eine ganze Palette neuer Probleme auf uns zu, die weit über die Versorgung mit Klopapier hinausgehen.

Um hier schnell und effektiv Lösungsansätze zu entwickeln, hatte die Bundesregierung gemeinsam mit Tech4Germany, Code for Germany, Initiative D21, Impact Hub Berlin, ProjectTogether, Prototype Fund und SEND e.V. den Hackathon #WirVsVirus veranstaltet. Der Wettbewerb sollte einen organisatorischen und technischen Rahmen bieten, in dem sich die Teilnehmer online engagieren und funktionierende Prototypen und Lösungsansätze für gesellschaftlich relevante Fragestellungen im Hinblick auf die Coronavirus-Pandemie entwickeln.

1500 Ideen - 20 Sieger

Wieviel man in 48 Stunden - trotz physischer Isolierung im Homeoffice - gemeinsam erreichen kann, zeigen die sensationellen Ergebnisse des Hackathons: Fast 43.000 Programmierer, Designer, Kreative, Problemlöser und andere sozial engagierte Bürger nahmen am Hackathon teil und reichten insgesamt 1500 digitale Lösungsvorschläge ein. Von diesen wurden 197 vielversprechende Einreichungen von einem Auswahlgremium identifiziert - davon suchte eine hochkarätige Jury anschließend die 20 besten Projekte heraus und stellte sie in einer virtuellen Pressekonferenz vor.

Wie Digital-Staatsministerin Dorothee Bär ankündigte, sollen die besten Ideen in den nächsten Wochen aufgegriffen und in Zusammenarbeit mit erfahrenen Entwicklern aus der Start-up-Szene auf ihre Machbarkeit überprüft werden. Neben praktischer und organisatorischer Hilfe werde es auch finanzielle Unterstützung geben, versprach sie.

Die 20 besten Ideen beschäftigen sich mit verschiedensten Bereichen. So geht es bei den Projekten "Sicher-Test" und "Digitales Wartezimmer" darum, die Terminvergabe bei Fachärzten zu verbessern. Bei "RemedyMatch" sollen Angebot und Nachfrage bei Medizinartikeln besser gesteuert werden, "Print4Life" dreht sich um die Verbesserung der Angebote des 3D-Drucks.

Auch die Herausforderungen einer Krisen-Kommunikation greifen die prämierten Projekte des Hackathons auf. So will "Coronav" die Notruf-Hotlines entlasten und "I.R.I.S." den Austausch zwischen Behörden und medizinischem Personal verbessern. Das Projekt "DEalog" befasst sich wiederum damit, wie man die Kommunikation zwischen den Behörden und der Bevölkerung verbessern kann, da gerade in Krisenzeiten Quantität und Qualität der Informationen höchst unterschiedlich sind. "IDA" wiederum hat zum Ziel, die Kontakte zwischen Auslandsdeutschen und den konsularischen Vertretungen der Bundesrepublik zu etablieren und zu verstetigen.

Ideen für Wirtschaft und Verwaltung

Beim Hackathon wurden auch Lösungen für die Herausforderungen der Verwaltung gesucht - und gefunden: Bei "CallvsCorona" sollen Sprachnachrichten im Ausland verschickt werden. "Fastbordercrossing" stellt in Windeseile Passierscheine für den Grenzübertritt aus und "U:DO" hilft beim Antrag auf Kurzarbeitergeld.

Auch rund um das Thema Wirtschaft haben die Teilnehmer des Hackathons zahlreichen Ideen entwickelt. "Colivery" bietet Lieferdienste für die sogenannten Risikogruppen an, dieser Problematik haben sich auch "Machbarschaft", "Small business hero" und "Wirfueruns" angenommen. "Openlogistics" sorgt für funktionierende Lieferketten, "Wirbliebenliquide" unterstützt Firmen bei der Antragstellung nach Fördermitteln. Arbeitssuchende Menschen können über "JAY" mit verschiedenen Unternehmen in Kontakt treten.

Per Video zu Besuch im Altenheim

In Zeiten fehlender direkter persönlicher Kontakte soll mit "Videobesuch" Familien, Verwandten und Freunden den Besuch bei lieben und geliebten Menschen in Altenheimen ermöglicht werden. Ebenso will "meineGemeindedigital" die Gläubigen aller Konfessionen mit ihren Gemeinden und darüber hinaus zusammenbringen.

Die 20 prämierten Projekte stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt der eingereichten Ideen dar. Einen guten Überblick über die Projekte der verschiedenen Arbeitsgruppen kann man sich auf dem Hackathon-Portal Devpost sowie auf YouTube verschaffen - jeweils unter dem Suchbegriff #WirVsVirus. Außerdem finden Sie hier einige der - aus unserer Sicht - spannendsten Lösungen.

CoronaQueue: Mit ITSM-Methoden gegen Warteschleifen

Wer in diesen Tagen versucht, die COVID-19-Hotline zu erreichen, wird mit endlos langen Warteschleifen konfrontiert. Einer der Gründe: Weil es keine Priorisierung dringender Fälle gibt, sind von den langen Wartezeiten alle Anrufer betroffen, egal ob beunruhigte Bürger mit allgemeinen Fragen oder Vertreter einer Risikogruppe mit Fieber und Atemnot.

Die Lösung von CoronaQueue adressiert dieses Problem, indem sie in einem von der CovApp inspirierten Fragebogen relevante Angaben (z.B. Aufenthaltsorte, körperliche Anzeichen) über verschiedene Schnittstellen erfasst, die Fälle automatisiert nach Priorität einstuft und die Daten - über eine Oberfläche und Schnittstellen - anschließend in einem Ticketsystem (Zammad) bereitstellt. In diesem kann medizinisches Fachpersonal oder beispielsweise Mitarbeiter des Gesundheitsamts alle Anfragen abrufen und die Fälle im Anschluss kontaktieren.

Wie das Projektteam erklärt, beschränkt sich der zentrale Use Case für den Hackathon auf Senioren, die gerne mit einem "echten" Menschen reden möchten. Die Erzeugung der Cases könnte jedoch generell über verschiedenste Wege erfolgen, etwa ein Callcenter, ein Self-Service-Portal oder einen automatisierten Telefonservice (AI Voicebot). Nicht nur dieser kann bereits angerufen werden (+48223970842, Code 699103109) , das ganze System ist aus Sicht von CoronaQueue relativ kurzfristig einsatzbar - und durch die verwendeten Schnittstellen problemlos skalierbar.

Karmakurier: Hilfesuchende und Helfer finden zusammen

Angesichts der aktuellen Lage ist es einigen Menschen - insbesondere Älteren oder Angehörigen von Risikogruppen - nicht mehr möglich, ohne erhöhtes Gesundheitsrisiko Besorgungen selbst zu tätigen und wie gewohnt Lebensmittel, Arzneimittel sowie andere notwendige Artikel zu erwerben. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat sich beim Hackathon ein Team von fast 40 Hackern und Mentoren im Rahmen des Projekts Karmakurier zusammengefunden.

Ziel ist es, Hilfebedürftige zu erreichen und über eine niedrige Eintrittsschwelle (per Anruf oder Internet) mit potenziellen Helfern zu verbinden. Die Plattform befindet sich derzeit noch im Prototypenstatus, soll aber in Kürze live gehen. Anschließend können Hilfesuchende ihre Mission persönlich per Telefon unter +48 732100073 oder über eine nahestehende Person in einem Online-Formular einreichen. Freiwillige Helfer kümmern sich anschließend um die Aufgabe und erledigen diese. Das Matching erfolgt dabei über eine Lokalisierung durch die PLZ und einen vorab definierbaren Kilometerradius.

Bei Fragen gibt es eine direkte Kontaktoption zwischen Hilfesuchenden und Einkäufern via VoIP, wobei die Telefonnummer nicht sichtbar ist (DSGVO). Für die Erfüllung ihrer Missionen erhalten die Helfer anschließend Anerkennung in Form von Karma-Punkten. Diese sind in Form von Gutscheinen oder anrechenbaren ehrenamtlichen Stunden einlösbar.

Symptom Tracker: Digitale Anamnese

Der Symptomtracker ermöglicht es Coronavirus-Patienten sowie Verdachtsfällen, ihre Symptome in einer Art Tagebuch festzuhalten.
Der Symptomtracker ermöglicht es Coronavirus-Patienten sowie Verdachtsfällen, ihre Symptome in einer Art Tagebuch festzuhalten.

Ein interdisziplinäres Team aus Designern, Ingenieuren, Informatikern, Medizinern sowie COVID-19-Betroffenen hat im Rahmen des #WirVsVirus-Hackathons in nur 48 Stunden den Prototypen für einen Symptom-Tracker entwickelt. Dieser ermöglicht es den bereits positiv getesteten Coronavirus-Patienten sowie Verdachtsfällen, ihre Symptome in einer Art Tagebuch festzuhalten. Die Patienten erhalten so einen Überblick über den Krankheitsverlauf sowie den aktuellen Gesundheitsstatus. Die Gesundheitsämter werden durch die digitale Erfassung der Symptome in ihrer Arbeit entlastet. Für Institute und Virologen steht eine bisher nicht dagewesene Symptomverlaufs-Datenbank für Analysen zur Verfügung.

Der als Webseite sowie demnächst als Mobile App (Android/iOS) verfügbare Symptom-Tracker verfügt dabei über zwei Perspektiven: Die Patientensicht zum Erfassen von Symptomen sowie einem Zugriff für das Gesundheitsamt, um einen Überblick über die Lage der Betroffenen zu erhalten und gegebenenfalls Rücksprache zu halten. Der komplette Open-Source-Quellcode ist auf Github verfügbar, wodurch die Ergebnisse des Hackathons direkt weiterverwendet werden können.

Smarthearth: Medizinische Überwachung via Smartphone

Was passiert, wenn die Zahl der Patienten die Anzahl der verfügbaren Monitore um ein Vielfaches übersteigt - wie zum Beispiel in großen Notunterkünften, die beispielsweise in China und Italien für milde bis schwere Coronavirus-Fälle zum Einsatz kommen? Auch in Deutschland ist derzeit angedacht, Kapazitäten in Krankenhäusern durch die Auslagerung nicht kritischer Behandlungsfälle zu schaffen. Ohne ein technisches Monitoring ist es für das medizinische Personal nicht möglich, den Überblick zu behalten und eine schnelle Reaktion auf kritische Zustände der Patienten zu leisten.

Das Team "SmartHeart" hat im Rahmen des #WirVsVirus-Hackathons eine Lösung entwickelt, mit der jedes Smartphone in einen medizinischen Monitor verwandelt werden kann. Das Herzstück des Systems bildet eine ausgeklügelte Signalverarbeitung, die Puls und Atmung der Patienten mit den Beschleunigungssensoren des Smartphones misst. Dazu wird das Gerät einfach auf die Brust der Patienten gelegt. Verlässt einer der Werte den jeweils zulässigen Bereich, gibt das Smartphone eine Alarmmeldung aus. Alternativ kann die Pulsrate bestimmt werden, indem ein Finger auf Kamera und Blitz gehalten wird.

Zusätzlich ist es möglich, die einzelnen Smartphones mit einem Dashboard zu koppeln. So erhält das medizinische Personal einen Überblick über alle Patienten und kann schnell und gezielt reagieren. Das System "SmartHeart" wurde für den PowerOn-And-Go-Betrieb konzipiert, wodurch Aufbau und Inbetriebnahme auch für Laien einfach möglich ist. Die Kopplung der Smartphones mit dem Dashboard erfolgt dabei über einen QR-Code am Dashboard sowie am Bett.

Das System in nur 48 Stunden zu entwickeln, war natürlich nicht ohne Vorarbeit möglich. Wie das Team erklärt, fanden vor dem Hackathon bereits eine Anforderungsanalyse und Interviews zur Lösung der MANV-artigen Lage mit relevanten Stakeholdern des Gesundheitssystems wie Anästhesisten, Pneumologen oder Experten im Bereich des Katastrophenschutzes statt. Darüber hinaus existierten im Umfeld des Teams mehrere Arbeiten zur kamerabasierten (PPGI) Vitaldatenanalyse sowie über Plattformen zum intersektoralen Austausch von Daten mittels Blockchain oder Apps zur Anzeige von Vitaldaten.

Intensive Care Prediction: Mehr Transparenz bei Intensivbetten

Mit der Verfügbarkeit von Intensivbetten in Krankenhäusern beschäftigte sich das Intensive-Care-Prediction-Projekt. Im Rahmen des Hackathon erstellte das Team eine interaktive Deutschlandkarte, die Transparenz hinsichtlich der Auslastung von Intensivbetten in Krankenhäusern schafft (Ampelsystem). Außerdem wurde ein Prognosesystem entwickelt, mit dem die Vorhersagen zur COVID-19-Ausbreitung sowohl auf regionaler, als auch auf Bundesebene darstellbar sind. Resultat sind eine bessere Planbarkeit in den Krankenhäusern sowie eine bessere Verteilung der schwer Erkrankten auf freie Krankenhauskapazitäten.

Während die Berechnung derzeit nur durch Extrapolation auf Basis historischer Daten erfolgt, planen die Entwickler in der Ausbaustufe einen Forecast mit KI-Lernmodell, wobei Faktoren wie Bevölkerungsdichte, Wetterdaten oder die Abdeckung der Immunität miteinbezogen werden. Daraus könnten dann auch relevante Faktoren für die Ausbreitung des Coronavirus identifiziert werden. Das Projekt ist Open-Source-basiert und kann nach Angaben des Teams auf die Gesamtsituation innerhalb der EU erweitert, beziehungsweise skaliert werden. Selbst eine internationale Nutzung sei denkbar.

Small Business Hero: Digitale Hilfe für den Einzelhandel

Seit letzter Woche läuft eine Art Countdown für alle Einzelhändler, die bisher keine Alternativen zum Ladenverkauf haben. Ohne weitere Einnahmen, z.B. über Onlineverkauf, bewegen sie sich unaufhaltsam auf eine Insolvenz zu. Gleichzeitig sitzen Kunden eine Straße weiter zuhause fest und suchen im Internet nach den Produkten. Hier bringt sich Small business hero ins Spiel. Das Team entwickelte im Rahmen des #WirVsVirus-Hackathons eine kostenlose digitale Plattform auf Basis von commerce tools, über die Einzelhändler Waren für Kunden aus der Nachbarschaft anbieten können. Diesen wiederum wird mit smallbusinesshero.de eine Web-App zur Verfügung gestellt, über die sie nach Läden in der Nähe suchen und im Sortiment stöbern oder einfach nur spenden können.

Anja Hendel, ehemals Kopf des Porsche Digital Lab, heute Mitglied der Geschäftsführung der VW-Tochter diconium, hat an der Plattform mitgewirkt: "Mehr denn je kommt es auf solidarische Zusammenarbeit an. Jeder Kollege, jeder Digitalexperte kann in diesen Krisenzeiten etwas für Wirtschaft und Gesellschaft tun!"