Jahrestagung der German Unix User Group

GUUG gibt Orientierungshilfen für den Weg zu offenen Systemen

04.10.1991

WIESBADEN (gfh) - Auch auf ihrer diesjährigen Jahrestagung präsentierte sich die German Unix User Group (GUUG) als Open-Systems Vereinigung. Hauptthema war die Bewältigung gegenwärtiger DV-Probleme durch offene und verteilten Umgebungen. Beim Unix-Markt selbst hat der GUUG-Vorstand trotz rasant steigender Absatzzahlen Stagnationserscheinungen festgestellt.

"Das Unix-Betriebssystem boomt nach wie vor im technischen Bereich - in der Ecke also, in die es von den Gegnern immer gedrängt wird", stellt Ralph Treitz, frischgewähltes Vorstandsmitglied der GUUG fest. Der Grund für diese Fehlentwicklung: Bei gleicher Leistung, so Treitz, ist PC-Software preiswerter als die entsprechenden Produkte für Unix-Systeme. Auf diese Weise werde verhindert, daß Unix in neue Aufgabenbereiche hineinwachse. Gleichzeitig stärke diese Preispolitik den konkurrierenden DOS-Markt.

Aus dieser Diagnose leitet die GUUG Forderungen sowohl an die Hersteller wie an die Anwender ab. Die Software-Anbieter werden aufgefordert, ihre Preise nicht mehr nach dem Motto zu gestalten: "Wer viel Geld für einen Unix-Rechner ausgibt, der spart auch nicht bei der Software." Als Vorbild nennt Treitz Programmiersprachen-Spezialist Borland, dem es gelungen sei, sich mit einem besonders günstigen Pascal-Compiler für 50 statt bis dato 500 Dollar einen Massenmarkt zu schaffen.

Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende warnt die Anwender davor zu glauben, daß Open-Systems-Lösungen von der Stange zu kaufen seien. Unix-Systeme eigneten sich nur dann als preisgünstige Alternative zu proprietären DV-Landschaften, wenn die Anwender bereit seien, für eine offene Umgebung auch Umstrukturierungen und Schulungen in Kauf zu nehmen.

Auf der Veranstaltung selbst ließ sich die Diagnose des GUUG-Vorstandes nur für die Herstellerseite belegen. Mit einer Gesamtzahl von 190 gegenüber 191 Herstellern im Vorjahr stagnierte ihre Beteiligung. Dabei hatte der Ausstellerbeirat die Größenbegrenzung je Stand von 72 auf 80 Quadratmeter erhöht.

Bei den Anwendern hält das Interesse dagegen unvermindert an. So ermittelten die Veranstalter am zweiten von insgesamt drei Tagen eine Zunahme der Besucherzahlen um 30 bis 40 Prozent. Das entspricht der Steigerungsrate vom Vorjahr, als insgesamt 6945 Besucher gezählt wurden.

Etwa die Hälfte der Besucher, so die Erfahrung von GUUG-Vorstandsmitglied Hans-Joachim Brede, sucht nach Produkten zur Lösung von konkreten Problemen. Der Rest informiert sich in den Vorträgen über die neuesten Entwicklungen im Open-System-Bereich. Ihr Hauptinteresse galt in diesem Jahr den Themen grafische Benutzeroberflächen objektorientierte Techniken und Management von verteilten Umgebungen.

Jetzt geht es um die konkrete Implementierung

Die Bedeutung von Benutzer- oberflächen für die Steigerung der Effizienz beim Endanwender nahm bereits im Eröffnungsvortrag von Hans Jörg Bullinger, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) breiten Raum ein. Dieser wurde durch eine Reihe von Firmenvorträgen, ein Tutorial sowie durch vier Fachreferate unterstrichen. Nachdem auf diesem Gebiet die großen Auseinandersetzungen um OSF/Motif oder Open Look abgeklungen sind, geht es Jetzt entweder um die konkrete Implementierung oder um die Möglichkeit einer beide X-Windows-Oberflächen umfassenden Schnittstelle.

Verteilte DV von UI und OSF

Viel diskutiert wurden auch die beiden Konzepte für verteilte Datenverarbeitung Atlas und Distributed Management Environment (DME), wie sie eben erst die Open-Systems-Organisationen Unix International (UI) und Open Software Foundation (OSF) vorgestellt hatten. Vertreter beider Vereinigungen hatten als Gastreferenten ausführlich die Möglichkeit, ihre Konzepte vorzustellen.

Darüber hinaus beschäftigte sich eine Reihe von Referaten sowohl mit dem Distributed Computing Environment (DCE) der OSF, das die Grundlage für deren DME bildet aber auch Teil des UI-Atlas-Konzeptes ist.

Auch das von der OSF in Angriff genommene Architectureneutral Distribution Format (ANDF), mit dem erreicht werden soll, daß ein und die selbe Unix-Software für verschiedene Architekturen ausgeliefert werden kann, war Gegenstand der Gespräche auf den Gängen.

Mit diesen Produkten war die OSF auf der GUUG-Tagung ungewöhnlich präsent, obwohl ansonsten schwarze Schilder mit der Aufschrift "Unix International Member" das Bild bestimmten. Aus diesem Grund nutzte UI auch die Veranstaltung, um hier die Gründung des "Unix International Arbeitskreises Deutschland" (UI-AkD) bekannt zu geben. Vorsitzender der Herstellervereinigung, die nur UI-Mitgliedern offensteht, ist Rüdiger Stubenrecht von ICL Deutschland.

Objektorientierte Techniken im Kommen

Großer Bedarf bestand auch an Informationen über Entwicklungen bei objektorientierten Techniken. Dabei standen neben der Programmiersprache C + + vor allem die Möglichkeiten des Einsatzes von objekorientierten Datenbanksystemen im Vordergrund. Von den Objekttechniken verspricht sich die Branche vor allem wiederverwendbare Programmodule, die sich zu neuen Anwendungen zusammensetzen lassen. Obwohl alle Referenten einräumten, daß derzeit noch kein Produkt mit dieser Eigenschaft existiere, zeigten sie sich für die Zukunft optimistisch. Angesichts dieser Zuversicht warnte ein Entwickler aus dem Publikum vor überzogenen Erwartungen, die die Technik insgesamt diskreditieren könnten. Er verwies darauf, daß es derzeit nicht möglich sei, mit Hilfe der Programmiersprache C + + Embedded-SQL-Statements zu formulieren. Überhaupt sei es fraglich, ob sich das relationale Datenbankmodell mit dem objektorientierten Ansatz vertrage.

Zu den zentralen Themen der GUUG-Tagung gehörten auch das für das OSF/1-Unix verwendete Mach Betriebssystem und die Möglichkeit der Online-Transaktions-Verarbeitung für kommerzielle Anwendungen.

Die User-Group hilft der Network GmbH, ihrem Messepartner, eine Unix-Veranstaltung auszurichten, die im Frühjahr in Chemnitz stattfinden soll. Doch selbst GUUG-Vorstandsmitglied Hans-Joachim Brede meldet angesichts der Schwemme an Unix-Messen Zweifel am Erfolg des Unterfangens an. Die Vertreter von Network fühlen sich jedoch durch die geringe Anzahl von GUUG-Besuchern aus den neuen Bundesländern in ihrer Meinung bestätigt, daß für diese Region eine eigene Veranstaltung nötig sei.

Außerdem hat die GUUG angekündigt, daß sie ihre Anliegen künftig über die Vereinsgrenzen hinaus vertreten möchte: Ab März 1992 will sie gemeinsam mit dem Berliner Springer Verlag eine Zeitschrift mit dem Titel "Offene Systeme" herausgeben.