Gummilöwe

09.01.1987

Alljährlich läßt das US-Wirtschaftsmagazin "Fortune" ausforschen, was amerikanische Topmanager von den bekanntesten Konzernen halten. Die Studien vermitteln unter anderem Erkenntnisse darüber, wie die Qualität des Managements, der Produkte und Dienstleistungen sowie die Innovationsfreudigkeit und Finanzkraft der Unternehmen beurteilt werden.

Wichtigste Feststellung: Zuletzt viermal in Folge "Amerikas Darling", fiel die IBM im Jahre 1986 hinter Gesellschaften wie die deutschstämmige Pharma-Gruppe Merck (Platz 1), den Flugzeugbauer Boeing (3.) und Rubbermaid (5.), einen Hersteller von Gummi- und Plastikartikeln, auf die siebente Stelle zurück - was einem Erdrutsch gleichkommt. Es scheint so, als habe der Computer-Multi seine Rolle als Gallionsfigur der amerikanischen Wirtschaft eingebüßt.

Keine Frage, daß Horrormeldungen über IBMs Quartalsergebnisse die Fortune-Wahl beeinflußt haben. Ironie mit tieferer Bedeutung: Man hat nicht das Gefühl, daß die Situation des Mainframe-Monopolisten in den US-Medien richtig dargestellt worden ist. Wenn man nämlich die gesamte DV-Branche als Maßstab nimmt, dann geht's Big Blue ja noch gold. Die Reaktionen der amerikanischen Wirtschaftsbosse zeigen denn auch nur, wie sehr sie sich von Mother Blue im Stich gelassen fühlen - Politiker würden sagen, die Stimmung ist schlechter als die Lage.

Es muß die Armonker ergrimmen, an "Zwischentiefs" (IBM-Lingo) gemessen zu werden, wo doch klar sein müßte, daß die eingeleiteten Ankurbelungsmaßnahmen (9370 etc.) "spätestens" 1988 greifen werden. Es muß die IBM-Oberen noch mehr fuchsen, daß sie das Opfer ihrer eigenen Ankündigungspolitik geworden sind - im Werbejargon heißt das "Marketing-Flop". Den könnte man als selbsternannter "Marketing-Weltmeister" zwar noch ausbügeln. Die unangenehme Wahrheit aber ist, daß sich die Marktvoraussetzungen für einen "Zentralisten" wie IBM in jüngster Zeit nachhaltig verschlechtert haben.

Über die Ursachen braucht nicht lange gemutmaßt zu werden: Die Dezentralisierung der DV mit Mikros und Minis (Workstations und Abteilungsrechner) wird von den Anwenderfirmen schneller vorangetrieben, als es die Marketing-Experten der DV-Industrie angenommen haben. Daraus resultiert die anhaltende Marktschwäche im Mainframebereich. Kein Wunder, daß traditionelle Universalrechner-Hersteller wie Burroughs, Sperry oder Honeywell - aber auch IBM - zu den großen Verlierern gehören.

Die etablierten Großsystem-Anbieter sehnen sich nach den "Fleischtöpfen Mainframiens" zurück, nach der "festen Bleibe" im klimatisierten Doppelboden-RZ - und garantierten Mieteinnahmen. Rien ne va plus: Aus der Traum, daß die Distributed-Processing-Prozedur letztlich doch in totaler Zentralisierung enden könnte. Hatte nicht Big Blue über ein Jahrzehnt hinweg in Analysen genau diese These verbreitet? IBMs SNA wurde so zum Symbol der Netzwerk-Technokratie.

Indes, der SNA-Erfinder muß erkennen, daß hierarchische DV-Konzepte zu Verkaufsverhinderern werden, ist er doch der Gefangene seiner Marketing-Doktrin, die "Investitionen der Kunden zu schützen". Bitter für Big Blue: Die Fortune-Companies (siehe Rubbermaid) wissen dies offensichtlich nicht mehr zu schätzen.