Guetersloher Verlagsriese plant Engagement als Netzbetreiber Bertelsmann und AOL wollen die europaeische Marktfuehrerschaft

01.09.1995

BERLIN (gh) - Bertelsmann und America Online werden ihren europaeischen Online-Dienst unter dem Namen "AOL" starten. Dies gaben beide Unternehmen auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) in Berlin bekannt. Schwere Bedenken haben die kuenftigen Partner nach wie vor gegen die von Microsoft vorgenommene Zwangskopplung von Windows 95 mit dem neuen Online-Dienst Microsoft Network (MSN). Fuer Aufsehen sorgte die Ankuendigung von Bertelsmann, sich in absehbarer Zeit als Netzbetreiber auf dem deutschen Telecom-Markt zu etablieren.

Als "die spannendste Aufgabe dieser Monate" bezeichnete der fuer die Koordination des Geschaeftsfelds Multimedia zustaendige Bertelsmann-Vorstand Thomas Middelhoff in Berlin das die IFA praegende Bild einer Verschmelzung von Medien, DV, Comsumer- Elektronik und Telekommunikation. Die geforderte Integration bisher getrennter publizistischer und technologischer Felder will der deutsche Medienkonzern nach Middelhoffs Worten mit einer zweigleisigen Strategie vorantreiben. Neben sogenannten Breitbandservices im Zusammenhang mit dem interaktiven Fernsehen (hier vor allem die mit der Telekom und den wichtigsten deutschen Fernsehsendern geplante Gruendung einer Multimedia- Betriebsgesellschaft) geht es dabei insbesondere um den Bereich der Online-Dienste.

Fuer den Erfolg des zusammen mit America Online geplanten Online- Services hat man sich in Guetersloh die Messlatte entsprechend hochgelegt: Ziel ist die Marktfuehrerschaft in Europa mit rund einer Million Abonnenten bis zum Jahr 2000. Beide Partner wollen daher noch vor Weihnachten mit ihrem Dienst starten, fuer den momentan unter dem Titel "One World" ein Feldversuch laeuft. Weltweiter Markenname des Joint-ventures wird, wie der Europa-Chef des Gemeinschaftsunternehmens, Bernd Schiphorst, bekanntgab, "AOL" sein. Damit sei die Basis fuer eine Art elektronische "Community" geschaffen, deren E-Mail-Adressen weltweit mit den drei Buchstaben AOL enden, hiess es in Berlin. Alle deutschen Abonnenten wuerden bei der Inbetriebnahme des Diensts unmittelbaren und nahtlosen Zugang zu AOL in den USA und in anderen europaeischen Laendern haben.

In Deutschland soll es in ungefaehr vier Jahren moeglich sein, ueber den neuen Online-Service Reisen zu buchen sowie Waren und Dienstleistungen einzukaufen, sagte Schiphorst. Bis dahin wolle man in der sogenannten Einfuehrungsphase vor allem mit Computermagazinen, darunter der "Mac World" und der "PC Welt" aus dem Hause IDG, sowie mit dem "Stern" kooperieren. Optimistisch zeigten sich die Bertelsmann- und AOL-Vertreter auch, was die Online-Equipment-Ausstattung deutscher Haushalte angeht. 2,2 Millionen Haushalte verfuegten heute schon ueber eine PC-Modem- Kombination; in rund 15 Jahren werde voraussichtlich in 80 Prozent aller deutschen Haushalte ein PC stehen.

Bertelsmann-Vorstand Middelhoff warnte in diesem Zusammenhang erneut vor der drohenden Gefahr einer Uebermacht von Microsoft. Der US-Software-Gigant sei zusammen mit Partnern schon heute in der gesamten Multimedia-Wertschoepfungskette taetig und werde in absehbarer Zeit zum Hauptwettbewerber von Medienunternehmen in deren Stammgeschaeft mit Zeitungen, Buechern und Informationsdiensten. Durch die Zwangskopplung von Windows 95 mit dem Online-Dienst MSN bestehe die Gefahr eines "Quasi-Monopols", das zu einer Verzerrung des Wettbewerbs fuehre und damit die Entwicklung dieser jungen Branche blockiere. Hier seien die nationalen und internationalen Kartellwaechter aufgerufen, einen fairen Wettbewerb zu sichern und fuer Chancengleichheit zu sorgen. Gelinge dies nicht, werde man, wie der Bertelsmann-Verantwortliche androhte, auf keinen Fall den Weg einer Klage in Bruessel beschreiten, sondern "unternehmerisch in Form einer aehnlich gelagerten Allianz reagieren".

Fuer Aufsehen sorgte die von Middelhoff eher beilaeufig erwaehnte Ankuendigung, den Online-Dienst aller Voraussicht nach auf einem eigenen Netzwerk anzubieten, um nicht komplett von der Infrastruktur der Telekom oder privater Netzbetreiber abhaengig sein. Man habe nachgerechnet, hiess es dazu lapidar, und wolle die sich dadurch ergebenden Kostenvorteile in Form guenstigerer Preise an die Konsumenten weitergeben. Das neue "Bertelsmann-Netz" koennte zudem auch anderen Nutzern, zum Beispiel Unternehmen in Form eines Corporate Networks zur Verfuegung gestellt werden. Middelhoff wollte auch eine Bewerbung um eine Telefondienstlizenz nicht ausschliessen. Partner der neuen Netz-Company soll neben America Online ein Computer-Unternehmen sein. Naeheres werde man schon in wenigen Wochen offiziell bekanntgeben. Insider vermuten, dass es sich dabei um IBM handeln koennte.