Groupware versus Intranet

Groupware wird zu Unrecht totgesagt

16.05.1997

Was die Anwender heute vom Intranet erwarten, stimmt exakt mit den Leistungsversprechen der Hersteller von Grouware-Lösungen Anfang der neunziger Jahre überein. Auf einen gemeinsamen Nenner gebracht, lautet das Lockmittel: Mit Intranet und Groupware lassen sich Informationen schneller verteilen, Kommunikation effizienter in Gang setzen und Gruppenprozesse über technische Hilfsmittel besser unterstützen.

Ob Intranet oder Groupware - Unternehmen investieren kräftig in ihre Kommunikationsstrukturen. Obwohl bereits 80 Prozent der amerikanischen und 25 Prozent der deutschen Unternehmen den Aufbau von Intranets in den nächsten zwölf Monaten planen und laut Forrester Research bis zum Jahr 2000 neun Milliarden Dollar im Markt für Web-Server-Browser, Firewalls, Autorisierungswerkzeuge, E-Mail umgesetzt werden sollen, ziehen weiterhin Groupware-Produkte die Anwender in ihren Bann.

Wie IDC jüngst berichtete, ist die Zahl der professionellen Nutzer von Groupware-Programmen 1996 um gut 40 Prozent auf insgesamt zwölf Millionen angestiegen. Allen Unkenrufen zum Trotz, Groupware sei eine todgeweihte Technologie, soll der Markt von geschätzten zwei Milliarden Dollar im Jahr 1997 laut Computer Technology Research auf fast vier Milliarden Dollar im nächsten Jahr zulegen.

Andererseits deckt sich die Intranet-Euphorie mit vielen anderen Beispielen der IT-Geschichte: Die Industrie generiert künstlich einen Markt. Doch leider gehören die Apologeten der weltumspannenden Kommunikation, nach deren Auffassung bereits ein Mausklick genügt, um die gewohnten Hürden des Büroalltags quasi en passant zu nehmen, zu den Totengräbern ihres eigenen Bestrebens.

Zu diesem Verhalten vertritt auch Helmut Krcmar, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Hohenheim, eine klare Position: "Die Vision, daß sich Leute, die bisher getrennte Wege gingen, nun zusammensetzen, nur weil sie Notes-Datenbanken oder Intranets verwenden, greift zu kurz." Wenn Konzernmutter und -tochter nie miteinander kommuniziert haben, dann wird, so der Dozent, auch ein Intranet kaum ausreichen, um diese Sprachlosigkeit zu überwinden. Leere Kommunikationskanäle entstehen gerade dort, wo man sich mit bester Absicht, jedoch ohne hinreichenden Sachverstand für nichttechnische Belange, von den Versprechungen der IT-Industrie zu massiven Investitionen verleiten läßt.

Einer, der auf dieses Paradoxon hinwies, ist Andreas Zilch, Direktor der Meta Group. Der Kenner der deutschen Anwenderszene weiß, wovon er spricht, denn gerade in Unternehmen hierzulande halten sich hohe Barrieren zwischen Abteilungen, Niederlassungen und externen Partnern hartnäckiger als anderswo.

Aus Feinden werden taktische Brüder

Wenn sich Arbeitsabläufe ändern sollen, torpediert eine wachsame Guerilla jedweden Neuanfang. Stehen Kommunikationsprozesse auf dem digitalen Prüfstand, bedarf es der Order von ganz oben, um Bewegung in die verknöcherten Strukturen zu bringen. Aber nicht nur unten droht massive Verweigerung und damit die gefährliche Investitionsfalle: Information und Transparenz, die Kernbotschaften der neuen Technologien, treffen auf den erbitterten Widerstand der um ihre Macht bangenden Führungscliquen.

Doch kaum beeinträchigt von derlei Unbill ziehen die Promotoren weiter ihre Kreise. Nach dem Hauen und Stechen vor wenigen Monaten im neu entstehenden Groupweb-Markt mutieren die einstigen Widersacher aus taktischen Gründen nunmehr zu potentiellen Liebhabern. So soll Novonyx, das Joint-venture des Netzwerk-Spezialisten Novell und des Internet-Produktanbieters Netscape, die Anwender glauben machen, Groupware und Intranet aus einer Hand erhalten zu können.

Dazu Novell aus Düsseldorf: "Novonyx steht nicht für das Zusammenwachsen der Märkte, sondern vielmehr für die Wahlfreiheit des Anwenders. Er kann nun Netzwerkplattform, Netzdienste und Tools von Netscape und Novell kombinieren."

Von Novell freilich hatte Netscape nicht gerade die heftigste Gegenwehr zu erwarten, sind sich doch viele Marktbeobachter einig, daß der Hersteller des sehr verbreiteten Netz-Betriebssystems Netware wohl den Internet- und Intranet-Zug verpaßt hat und sich darüber hinaus im aussichtslosen Wettkampf gegen Windows NT aufreibt.

Gegenüber proprietärer Groupware verspricht die auf IP basierende Kommunikation in unternehmensweiten Netzen vor allem Unabhängigkeit. Der offene Internet-Standard soll bereits für weltweit 150 Millionen PCs gelten. Erhöhte Produktivität, spürbare Kostenreduzierung sowie beinahe unbegrenztes Informations-Sharing locken Anwender auf die Intranet-Schiene. Kundenkontakte zu pflegen, mit Geschäftspartnern zu kommunizieren und intern kommerzielle und selbstentwickelte Applikationen auf IP zu portieren ist für viele das A und O eines Full-Service-Intranet.

Die Schattenseite allerdings ist die Datensicherheit. Nach einer Umfrage der Yankee Group unter US-Anwendern äußern viele IT-Verantwortliche diesbezüglich erhebliche Bedenken. Vier von fünf Befragten werten den Mangel an Sicherheit als größtes Handicap bei der Installation und Verwaltung der Netze.

Ins gleiche Horn stößt Zilch: "Die Anwender stehen unter Zugzwang. Während die DV versucht, nach dem Wildwuchs der vergangenen Jahre ihre Strukturen und Investitionen zu konsolidieren - zumal inzwischen jeder weiß, daß mittelfristig wegen der Jahr-2000-Diskussion und des Euro große Änderungen anstehen -, trifft das Topmanagement aus Imagegründen seine Entscheidungen zugunsten von Internet und Intranet." Doch Sicherheit und insbesondere Produktreife von Intranet-Applikationen seien laut Zilch noch weit vom erwarteten Niveau entfernt. Die einzigen Anwendungen, die bereits produktiv sind, liefen im Publishing-Bereich. Während Applikationen für E-Mail und Datenbanken kurz vor ihrem Einsatz stünden, sei für Legacy-Anwendungen noch kein Land in Sicht. Der Zugriff auf den Altbestand klingt zwar wie ein attraktiver Intranet-Lockvogel. In Deutschland gebe es hierzu jedoch noch kein einziges Projekt, wie Zilch ermittelte. Intranet-Applikationen für mehrere tausend User sind noch Utopie.

Überhaupt blieb dem Experten auf einem jüngst in München veranstalteten Pressegespräch nichts anderes übrig, als vor allzu forscher Gangart zu warnen: "Java und Active X sind unreife Technologien." Es sei besser, mit Java zu experimentieren, als in die künftige Programmiersprache zu investieren. Generell sei das Intranet-Pflaster hierzulande noch zu heiß. Unternehmenskultur in Deutschland heiße: "Jeder Konzernbereich hat seine eigene Firewall."

Doch nicht nur die kulturellen, auch die betriebswirtschaftlichen Karten sind schlecht gemischt. Entgegen anderslautenden Meinungen - insbesondere der Anbieterseite - ist laut Zilch weder für Groupware noch für das Intranet eine auch nur halbwegs reelle Berechnung des Return on Investment (ROI) aufzustellen. Der Sache näher käme eine Betrachtung, die bei der Analyse der Real Costs of Ownership (RCO) ansetzen würde. Nicht die Investitionskosten geben hier den Ausschlag, sondern die zuletzt kräftig gestiegenen Aufwendungen für den Betrieb. System-Management, so Zilch, und nicht etwa die Netzkapazität sei der eigentliche Kostenfaktor.

Bei 80 Prozent Zeit für System-Management und nur 20 Prozent für Neuentwicklungen muß für die meisten Anwender die Alternative nicht unbedingt Intranet lauten. Zilch: "AS/400 und Terminals sind im Preis nicht zu unterbieten." Vor allem der Mittelstand wird sich so schnell nicht für ein Intranet-Wagnis breitschlagen lassen. Nach einer kürzlich vorgelegten Studie der EU halten einerseits Unwissenheit über die geschäftlichen Chancen viele Mittelständler von einem Engagement in den neuen Medien ab. Ferner verhindern technische Standards und rechtliche Rahmenbedingungen massive Investitionen. Intranet - ein sicherer Weg zur bezahlbaren Vernetzung? Wohl kaum.

Bleibt das Thema Groupware. Was will man mit Notes, wenn alle auf Internet umsatteln? Krcmar: "Internet und Intranet oder Groupware ist nicht die Frage. Mails weiterleiten, Informationen und Datenbanken teilen, Workflow erzielen oder Sitzungen unterstützen: Das läßt sich mit sehr unterschiedlichen Technologien, am einfachsten mit IP-basierten, erreichen." Doch Technologiebündel - Internet beziehungsweise Intranet - und Funktionalität - Groupware - sind zwei Paar Schuhe. Anstatt dazu überzugehen, Informationen nicht in Textverarbeitungsprogrammen, sondern in Datenbanken festzuhalten und sich über Dokumenten-Management zu verständigen, konzentriert man sich lieber auf TCP/IP und Netscape.

Intranet-Argumente

Pro-bessere Information-Prozeßunterstützung-Standardisierung-Homogenisierung-Kosteneinsparung-einfachere Schnittstellen

Kontra-unausgereifte Technologie-Anfangsinvestitionen-schlechte Return-on-Invest-Prognosen-unternehmenskulturelle Aspekte

Angeklickt

Vieles an der Intranet-Euphorie erinnert an einen hausgemachten Marketing-Feldzug der IT-Industrie. Dabei sind die Versprechen, welche die Hersteller zu Groupware- und zu Intranet-Lösungen machen, nahezu deckungsgleich. Allerdings gilt dies auch für die Anforderungen der Anwender an Groupware- und Intranet-Systeme. Wo liegt also der Unterschied? Die einen Lösungen arbeiten mit proprietären Protokollen, die anderen auf IP-Basis. Dabei bleiben die Intranet-Applikationen mit Ausnahme des Publishing aber leider noch vieles schuldig, und auch der Begriff des Groupweb hält nicht, was er verspricht.

Winfried Gertz ist freir Journalist in München.