Software-Entwickler überdenken verkaufsstrategie:

Großkunden fordern eine ortsgebundene Lizensierung

09.08.1985

FRAMINGHAM (CWN) - Zunehmendem Druck der Großkunden sehen sich in den Vereinigten Staaten die Software-Entwickler ausgesetzt: Sie fordern die Möglichkeit von ortsgebundenen Lizenzierungen, im amerikanischen "Site Licensing" genannt. Über diese Philosophie müssen sich inzwischen auch Lotus und Microsoft Gedanken machen. Selbst IBM wird sich nach Ansicht von Marktanalysten auf Dauer diesem Trend nicht verschließen können.

Zwar wehren sich die Verantwortlichen bei Lotus und Microsoft gegen die Bezeichnung "Site Licensing", die grundsätzliche Problematik können sie jedoch nicht in Abrede stellen. "Zum einen wollen die Großabnehmer ein günstiges Preisangebot", kommentiert Jerry Ruttenbur, Microsoft-Vizepräsident für den Bereich Einzelhandel, "zum anderen fordern sie eine Lizenz, die es ihnen erlaubt, Software-unternehmensintern beliebig oft und je nach Bedarf zu kopieren."

Die angestrebte Verkaufspolitik von Microsoft beschreibt Ruttenbur folgendermaßen: Der Großkunde verpflichtet sich, pro Jahr Produkte in einem bestimmten Wert abzunehmen. Je nach Größe des Auftrages wird das Unternehmen in eine von drei Rabattklassen eingestuft. Die Lizenzverträge beziehen sich auf Anwendungen, Sprachen und Hardwareprodukte von Microsoft, aber nicht auf die Betriebssysteme.

Erreicht der Kunde das vorgegebene Kaufvolumen nicht, so wird er zur Kasse gebeten und muß für die Differenz zwischen Vorgabe und tatsächlichem Bestellungsstand zahlen.

In einem weiteren Punkt zeigen sich die Software-Entwickler unnachgiebig: "Wir bieten grundsätzlich keinen Vertrag an, der es dem Kunden erlaubt; selbst Kopien zu erstellen", bekräftigt Ruttenbur. Um Lizenzverletzungen vorzubeugen, plädiert er allerdings dafür, Großabnehmern eine Programmkopie in buchähnlicher Form zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus Duplikate anzufertigen, soll als Verletzung des Lizenzabkommens gelten, wobei jedoch Updates ausgenommen sind.

Auch Lotus hat etwa vier Monate lang die Kundenwünsche analysiert um die künftige Linie in den Geschäftsverbindungen festlegen zu können. Nach Aussagen von Lotus-Manager Kim Shah hat der Software-Anbieter Interessenten ins Firmenhauptquartier nach Cambridge, Massachusetts, eingeladen, um die verschiedenen Möglichkeiten zu diskutieren. Details dieser Besprechungen wurden allerdings nicht bekanntgegeben. Shah betont lediglich, daß Lotus sich in jedem Fall gegen das uneingeschränkte Kopieren beim Kunden wehren werde.

Einer der Gründe für Lotus und Microsoft, sich über ortsgebundene Lizenzierungen Gedanken zu machen, ist der Erfolg der Mitbewerber, die sich bereits auf diese Politik eingeschworen haben. So beispielsweise die Micro Products Division von Computer Associates: Eine neue Lizenzstrategie des Unternehmens erlaubt den Kunden uneingeschränkten innerbetrieblichen Einsatz von Produkten wie "Supercalc 3", "Superproject" und "Easy Writer II" bei einmaliger Zahlung. Über das Ergebnis dieser Experimente äußert sich Michael Crosno, Vizepräsident Marketing bei der Micro Products Division, euphorisch: "Innerhalb der letzten 30 Tage haben sich bei uns die abgeschlossenen Verkäufe sowie die Gespräche mit potentiellen Kunden vervierfacht."

Überrascht zeigt sich Crosno hingegen, daß "Site Licensing" nicht etwa dem l-2-3-Konkurrenzprodukt "Supercalc 3" geholfen hat, sondern dem relativ neuen Projektmanagement-System "Superproject". Eine Erklärung hat der Vizepräsident auch schon parat: "Der Markt für Projekt-Management-Systeme ist noch jung. Folglich sind die Chancen gut, daß sich viele Großunternehmen auf das PMS-Produkt einstimmen." "Supercalc 3" hingegen habe es schwerer, weil es sich gegen das Standard-Spreadsheet "1-2-3" behaupten müsse.

Daß sogar IBM sich auf Dauer den Kundenforderungen nach einer ortsgebundenen Lizenzpolitik nicht verschließen kann, glaubt Andrew Seybold, Chefredakteur des Seybold Report in Professional Computing: "Big Blue hat zweifellos einen schweren Stand, da die Lizenzverträge für Mini- und Mainframe-Software so verschieden aussehen." Um eine wirkungsvolle Strategie zu entwickeln, müsse der Marktführer aber erst einmal erkennen, daß der Trend in Richtung ortsgebundener Lizenzierung gehe.